Erstellt am: 5. 2. 2009 - 17:08 Uhr
Journal '09: 5.2.
Heute geht es um drei Veränderungen von Sicht- oder Handlungsweisen, eine vergangene und zwei aktuelle. Zwei davon sind im gestrigen Club 2 angesprochen worden, eine vom Historiker Jagschitz, eine vom Historiker Höbelt. Die dritte stammt aus Frost/Nixon.
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Im heute anlaufenden, Mitte der 70er spielenden Ron Howard-Film Frost/Nixon lässt der Drehbuchautor (der interessanterweise einen Teil seiner Lebenszeit auch in Wien und Österreich verbringt) den Ex-Präsidenten gegen Ende laut über das Wesen der Politiker nachdenken und prophezeien, dass sich die Typologie umdrehen würde. Bis dahin wären oberflächliche, auf medienwirksame Zuspitzungen und plakative Erfolge ausgerichtete Charaktere (wie David Frost) als Journalisten aufgetaucht, während sich intellektuelle, nicht an direkter medialer Wirkung interessierte Problemlöser mit einem Verständnis für komplexe Zusammenhänge als Politiker verdingt hätten. Künftig, meinte die Nixon-Figur, würde das womöglich andersrum sein.
Nun ist diese Verknappung durch Filter wie die stark egomanische Sicht Nixons oder durch eine auch durchaus vorhandene Selbstüberschätzung der Politiker-Garde des alten Typus getrübt - im Kern ist dieser Paradigmenwechsel aber durchaus richtig eingefangen.
universal
Allerdings sollte niemand den Fehler machen, diesen Wechsel einfach den Medien und ihrer Wirkungsmächtigkeit anzuhängen. Ähnliches ist u.a. auch bereits im (recht medienlosen) alten Rom passiert - es geht also eher um die Aufgabe von Verantwortung, ums Delegieren des Denkens.
2
Der Publizist und Historiker Lothar Höbelt hat im gestrigen Club 2 zum Thema "Wie rechts ist Österreich" eine hochinteressante These aufgestellt, die zu einer völligen Neubewertung jeglicher drastischen Aktivität, die auf jugendkulturellen Gesichtspunkten basiert, führen muss.
Höbelt ist nicht irgendwer, sondern - gemeinsam mit dem nicht zufällig neben ihm auf dem Club-Sofa sitzenden Andreas Mölzer - das intellektuelle Zentral-Komitee des sogenannten 3. Lagers, Vordenker des öffentlich populistisch, im Kern aber sehr traditionell und streng national agierenden sogenannten nationalliberalen Lagers.
Höbelt nun meinte, nachdem er sich zuerst einmal - freilich eher in falscher Bescheidenheit - als mit dem Wesen von Jugendkultur nicht allzu vertraut dargestellt hatte, dass dieser, quasi per Automatismus, das Vorrecht einzuräumen wäre, sich mit den Mitteln der Provokation immer denjenigen gesellschaftlichen Spannungsräumen zu nähern, die am meisten tabuisiert wären.
Deswegen sei es logisch, dass nach einer Provo-Kultur, die in den 60ern und 70ern gegen das Establishment demonstriert hätte, die heutige Jugend(kultur) die (seiner Meinung nach allzu stark) etablierten 68er mit Provokationen überzieht, und wie selbstverständlich auf die immer stärkste Symbolik zurückgreifen würde (und auch dürfe) - also auch mit Nazi-Insignien hantierend oder Holocaust-Tabus brechend. Das alles wäre kein Problem, weil eben jugendliche Provokation, pubertär, politisch irrelevant, ein bewusst angelegtes Spiel. Der neben ihm sitzende Mölzer nickte diese These deutlich sichtbar ab.
orf
Nun ist diese Ansicht auf drei, vier, fünf Ebenen entgegen- und als zu wenig durchdacht ablehnbar. Aber darauf aufzuspringen hieße, die Argumentation inhaltlich als diskutabel zu akzpetieren - einer der klassischen Tricks jeder Provokation - womit die Grenzen des Denkmöglichen wieder einmal erweitert wurden.
Da dies also bereits in den direkten Repliken geschehen ist, halte ich es für viel interessanter, allen künftigen Beschwerden der Ideologiegänger von Höbelt/Mölzer (und derer gibt es viele - Mölzer schaffte es sogar, sie in nämlichem Club 2 anzubringen) mit der hier gebrauchten Irrelevanz von jugendlicher Provokation zu entgegnen.
Was auch immer wem auch immer von jugendkultureller Seite entgegenschlägt: Solange es nicht per Gesetz verboten ist, sondern "bloß" ideologisch diskutiertbar wäre, gilt dafür der Höbeltsche Persilschein. Ist ja nur eine jugendkulturell legitimierte Provokation.
Ich halte eine solche Blanko-Erklärung, die Höbelt gestern abend jedermann&frau mit seinem Schuld-Freispruch für ideologische Provokation der drastischsten Sorte gegeben hat, natürlich für hochproblematisch - mit den Folgen, die durch jene erwachsen, die diesen seinen Worten mit Taten folgen, wird sich allerdings Höbelt herumzuschlagen haben.
3
In derselben Club-Diskussion gab ein anderer Historiker, einer der führenden heimischen Zeitgeschichtler, der auch international angesehene Gerhard Jagschitz, ein paar ganz bemerkenswerte Sätze zu Protokoll, die nicht direkt mit dem Thema der Debatte ("Wie rechts ist Österreich?") zu tun hatten, sondern tief in die Grundlagen eintauchten. Jagschitz entwarf ein Bild der österreichischen Nachkriegsgesellschaft, die das verdrängte Thema der Mitschuld am NS-Terrorregime nicht nur bis heute nicht verkraftet hat, sondern sich - zu großen Teilen - mittels Einkuscheln in (wie überall durchaus vorhandene, hierzulande aber historisch mehr als belastete) autoritäre Strukturen noch nicht ernsthaft in Richtung Demokratie entwickelt hätte. "Mutationen" nennt er diese Entwicklungen, Mutationen, die aus dem Nachlass der NS-Zeit stammen.
Jagschitz ging weit. "Wir sind keine Demokratie," sagt er, "Wir inszenieren Demokratie. Und in diesem Biotop der Unschärfe... und der mangelnden Zivilcourage..." würde der Hang zum Autoritären dann gedeihen. Auch durch das, was er eine "moderne soziale Entwicklung" nennt, also das multikulturelle Zusammenleben, das für Probleme sorgt, die dann (in einer ohnehin xenophob aufgeladenen und autoritätssüchtigen, in sich undemokratischen Gesellschaft) für Probleme und Spaltung sorgt.
Das, worauf sich viele im Grunde ihres Herzens immer verlassen, den Aufschrei nämlich, den Widerstand der Anständigen, den gibt es nicht, bei uns, sagt Jagschitz.
Ich denke, da hat er recht: ein neuer Heldenplatz ist in Österreich immer und sofort möglich.
Ich weiß nicht, ob den Wagemut - das grundlegende Problem, das Österreicher mit der Demokratie haben - so deutlich, nämlich als Fakt, anzusprechen, im schlimmsten Fall dann gleich wieder als Rechtfertigung (Ja, wenn jemand wie der Jagschitz sagt, dass Österreich keine Demokratie - und wenn auch nur im philosohischen Sinn - ist: wozu das dann noch? Her mit den starken Männern!) für die Freunde des Autoritären herhalten muss. Auch wenn Jagschitz damit das Gegenteil erreichen will (nämlich eine flächendeckende politische Bildungs-Initiative für ein chronisch unterversorgtes Land) ist mir seine Drastik lieber als das relativierende "Wir können uns drauf einigen, dass unsere Demokratie unterentwickelt ist!" der besorgten restlichen Club-Teilnehmer. Im Unterentwickelten nämlich (das entspricht ideal der Selbstzuschreibung des unverstandenen Außenseiters) fühlen sich Österreicher meist recht wohl.
Der Club 2 wird heute nacht um 4.30 in 3sat wiederholt.
Ich weiß nur, dass dieser Gedanke und seine Implikationen die wichtigste Bruchlinie unseres Denkens und Handels sein muss - weil diese Bewusstseinsschärfung und die politische Bildung unsere Zukunft prägen werden.