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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

5. 2. 2009 - 15:58

Rassismus ohne Rassisten

Warum es bei uns so schwer ist, über Rassismus zu sprechen

Österreich-Flagge

getty images

No Place Like Home
Einwanderungsland Österreich - Ein FM4 Programmschwerpunkt ab 1. Februar

Ich habe grade mein Tochter ins Bett gebracht und schau mir auf youtube Schmidt & Pochers "Bayern WG" an. Meine Tochter schläft noch nicht und fragt, was ich da mache. Als ich ihr erkläre, dass ich mir einen Film über einen Fußballer anschaue, will sie genaueres über den Fußballer wissen: Welche Farbe hat das Trikot? Rot oder blau oder grün? Welche Farbe haben die Haare? Blond oder braun oder schwarz? Und welche Farbe hat die Haut? Hautfarben oder braun?

Ich habe mir in dem Moment vorgenommen, ihr diesen unschuldigen Blick auf Hautfarben und andere körperliche Merkmale so lange wie möglich zu erhalten. Ob das möglich ist weiß ich nicht, letztens kam eine ihrer Freundinnen jedenfalls schon mit dem Satz, das da drüben, das sei ein "süßes Chinesenmädchen". Woher die 5-Jährigen das haben? Ich weiß es nicht, vielleicht von einer herzensguten Oma, die sicher aus allen Wolken fallen würde, würde man ihr sagen, dass solche Bezeichnungen rassistisch sind. Sie hätte, so male ich mir aus, sicher etwas von "gut gemeint" beteuert und dass sie - jetzt kommt Empörung in die Stimme - ganz sicher keine Rassistin sei. Ist sie natürlich auch nicht. Oder doch?

Rassismus und Rassismus

"Weit in aufgeklärte Milieus hinein“, schreibt Philipp Sonderegger von SOS Mitmensch in der Nullnummer der hauseigenen Zeitschrift moment, "wird unter Rassismus lediglich feindselige Einstellung und gewalttätiges Handeln verstanden; gegen Angehörige von Gruppen, denen man aufgrund von Äußerlichkeiten zugehört. Und weil die TäterInnen dies absichtlich oder zumindest bei vollem Bewusstsein tun, sind sie böse."

Und weil die imaginierte Oma weder feindselig noch böse ist, ist sie natürlich auch, in diesem Sinne, keine Rassistin.

Your Mind Controls You

Ein T-Shirt mit einer Grafik eines Affen mit Banane und dem Schriftzug "Obama in '08"

TimothyJ / flickr.com

Warum man hier doch über Rassismus diskutieren sollte, liegt daran, dass der Rassismusbegriff des Mainstreams viel zu kurz greift. Rassistisch ist nicht nur die böse Tat des Skinheads, rassistisch geprägt sind wir alle, bis in die Tiefen unserer Wahrnehmung hinein. Kurz und etwas polemisch gesagt: Wir alle sind Rassisten.

Das hat vor allem damit zu tun, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Unsere Wahrnehmung, also das Verarbeiten von Sinneseindrücken, basiert auf dem Erkennen von Mustern oder Bildern. Hat sich also das "Chinesenmädchen"-Bild erst einmal eingeprägt, erkennt unser Hirn Menschen mit ähnlichen äußeren Merkmalen automatisch unter dieser Kategorie. Das hilft, mal ganz vereinfacht gesprochen, beim Verstehen der Komplexität unserer Sinneseindrücke. Der Welt da draußen.
Und das ist auch der Grund, warum erfolgreiche Politiker und Zeitungen es schaffen, Bilder zu entwerfen und in die Köpfe der Leser oder Fernsehzuschauer zu setzen, anstatt Fachdiskurse zu führen. Denn habe ich die Hoheit über die Wahrnehmungsmuster, dann habe ich schnell die Hoheit über einen Diskurs.

Und eine zweite Crux hat unser Hirn: wir können keine Lücken denken. Die Aufforderung, nicht an grüne Elefanten zu denken funktioniert nicht. Und so kommt mir fast jedesmal, wenn ich einen dunkelhäutigen Menschen sehe, das verbotene N-Wort in den Sinn, wie vom bösen kleinen Teufelchen hineingeschossen.

Control Your Mind!

Doch unser Hirn kann noch was: die Wahrnehmungsmuster einordnen und bewerten, also aus dem unbewussten Automatismus etwas bewusst machen. Dazu braucht es aber ein Bewusstsein und den Willen, solche Bilder als nicht stimmig anzuerkennen. Den kleinen Gutmenschen eben, der das Teufelchen zurück in seine Kiste steckt. Wer jetzt "Selbstzensur" schreit hat schon verloren, denn dass wir Wahrnehmungsmuster haben heißt natürlich nicht, dass sie stimmen.

Rassist ist also nicht nur der böse Skinhead, Rassist ist auch das kleine Teufelchen, das in allen unseren Köpfen sitzt.

Punschkrapfen die Köpfe mit verschiedenen Hautfarben darstellen.

mussels / flicks.com

Und weil eben beide Seiten mit unterschiedlichen Rassismusbegriffen arbeiten, laufen Diskussionen zum Thema auch so oft und so gerne hoch emotional aneinander vorbei. Verständlich, wer will sich schon einen Rassisten schimpfen lassen? Und, auch verständlich: Wie kann das sein, dass selbst der gutherzige Mainstream sich so vernagelt gibt? Das - und die hierzulande grassierende Definitionsfaulheit - führt dazu, dass eben dieses Bewusstsein viel zu wenig geschult wird, weil die Diskussion mit Emotion und Schuldzuweisungen vergiftet ist. Da beißt sich die Diskurskatze eben in den Schwanz.

Faulheit und Bewusstsein

Rassistische Wahrnehmungsmuster sind in allen westlichen Gesellschaften vorhanden. Das beschreibt der amerikanische Sozialpsychologe Philipp Goff anlässlich des Obama/McCain Wahlkampfes im Interview mit Spiegel Online: dass Rassismus keine Rassisten braucht und dass selbst (potenzielle) Opfer von Rassismus diskriminierende Wahrnehmungsmuster der eigenen Gruppe abgespeichert haben.

Was hierzulande aber besonders ausgeprägt ist, ist die Weigerung, sich Wahrnehmungsmuster bewusst zu machen, und das hat natürlich auch mit der politisch-populistischen Debatte der vergangenen 20 Jahre zu tun, und mit der Diskriminierung eben solcher Bewusstsein schaffender Arbeit via Gutmenschenbashing. Das hilft wiederum dem Populismus, schließlich lassen sich Wahrnehmungen viel leichter steuern und politisch nutzen, wenn ich sie nicht bewusst mache.

Dass auch der ganz normale, unreflektierte mainstreamige Rassismus tötet, beschrieb Robert Misik anlässlich des Todes von Cheibani Wague in der taz sehr treffend – und dass Cheibani Wague nicht das einzige Opfer war, wissen wir alle.

Antirassismus beginnt also in unseren eigenen Köpfen – um noch einmal Philipp Sonderegger zu zitieren: Antirassismus bedeutet gegen Rassismus als selbstverständlichen Teil des Alltags zu arbeiten - bei sich selbst und den anderen.