Erstellt am: 4. 2. 2009 - 19:39 Uhr
Bär frisst Kino

Berlinale
- Alles rund um die Berlinale 2009 unter fm4.orf.at/berlinale
Ganz in rot leuchten die Fahnen der Berlinale dieser Tage wieder durch Berlin: Schon wenn man mit dem Flughafenbus durch die Innenstadt fährt, wird man eingestimmt auf dieses wichtigste Kulturevent der deutschen Hauptstadt. Für zehn Tage im Februar muss hier alljährlich der Glamour regieren, Negativschlagzeilen, von denen die Metropole in den letzten Jahren genügend zu verdauen hatte, werden beiseite geschoben, zumeist überschminkt, eventuell im einen oder anderen Film thematisiert.
Aber was macht die Berlinale verschieden von anderen Festivals dieser Größenordnung? Denn aufputzen tun sich alle, der rote Teppich wird überall ausgerollt, und dass bestimmte Filme nur der bekannten Schauspielergesichter wegen ausgewählt werden, auch das hat lange Tradition im weltweiten Festivalzirkus.
Die Berlinale ist zum einen anders als die anderen, weil sie in einer Millionenstadt, nicht in einer kleinen, halbverschlafenen Azurküstenstadt, nicht am mittelschwer erreichbaren venezianischen Lido stattfindet und sich die Urbanität für gewöhnlich auch im Programm nieder schlägt. Zwar bauen Festivaldirektor Dieter Kosslick & Co Jahr für Jahr das selbe dröge Potpourri aus wohlmeinendem Kunstfilm und Weltverbesserungs-Kommerzkino für den Wettbewerb, also die Prestige-Sektion der Veranstaltung, in der auch die Bärenpreise vergeben werden, zusammen; aber die anderen Programmschienen konterkarieren diese Visionslosigkeit für gewöhnlich ziemlich gut.
Panorama der Leidenschaften

Berlinale
Wieland Speck etwa ist nun bereits seit 1992 Leiter der Sektion Panorama, die sich nicht nur, aber vorwiegend um queeres Kino bemüht. Speck, selbst Regisseur der sehenswerten schwulen Romanze "Westler", versteht es, das Programm aufzumischen mit einer Jahr für Jahr sehenswerten Kombination aus zielgruppengenauen Pflichtfilmen (in diesem Jahr läuft etwa Gus Van Sants Milk im Programm als Doppelvorstellung mit Rob Epsteins großartiger Dokumentation über den ermordeten Politiker - The Times of Harvey Milk und Vorschlägen zum Genrekino. Da kommt es durchaus vor, dass ein Regisseur im Panorama debütiert und Jahre später dann in den offiziellen Wettbewerb des Festivals eingeladen wird: so geschehen mit Mitchell Lichtenstein, son of Roy, der vor zwei Jahren in der Nebenschiene seine spaßige Teenagerfarce "Teeth" über ein Mädchen mit einer Vagina Dentata, also einer bezahnten Vagina, präsentiert hat und in diesem Jahr mit seiner neuen Produktion Happy Tears, kongenial besetzt unter anderem mit Parker Posey und Rip Torn.
Das Forum des jungen Films
Visionäres Kino im eigentlichen Sinne, also Filme, die sich für gewöhnlich schwer in bestehende Raster eingliedern lassen, unbequemes, eigenwilliges, reizvolles Autorenkino und Avantgardismen jedweden Aggregatszustands serviert das Internationale Forum des Jungen Films. Zwar ist das umfassende Programm ein Teilstück der Berlinale und auch in dessen - wenig ansprechendes - Corporate Design integriert, wird aber autonom organisiert und bestückt. Das Forum war ursprünglich ein Gegenfestival zur Berlinale, aber 1971 an die Großveranstaltung als Parallelfestival angegliedert. Der nunmehrige Leiter Christoph Terhechte setzt im Forum verstärkt auf asiatisches, und insgesamt auf randständiges Kino. Echte Filmfreaks zieht es bei einem Berlinale-Besuch also weniger in die Glitzerwelt rund um den Palast, sondern in die Tiefen des Arsenal-Kinos, der Heimstätte des Forums.
Ein Festival fürs Publikum
Die Berlinale ist - auch das eine Besonderheit im Vergleich etwa zu Cannes oder Venedig - kein beinahe ausschließliches Branchenereignis, sondern als eines der wenigen A-Festivals in allen Programmsektionen geöffnet für zahlendes Publikum. Das hat einen sehr angenehmen, demokratisierenden Einfluss auch auf die Aufnahme der Filme und gibt den Regisseuren sogleich Gelegenheit, ihre neuen Arbeiten an denen auszutesten, die sie schlussendlich auch sehen sollen: nicht die Kritiker oder die Verleihfirmen, sondern die Kinogänger.
Schließlich sind auch umfassende Retrospektiven regelmäßiger Bestandteil der Berliner Filmfestspiele: In diesem Jahr wird dem 70mm-Film gehuldigt. Unter dem passenden Titel "Larger than Life" kommen Breitwand-Perlen wie "Lawrence of Arabia" oder "The Sound of Music" ebenso zur Aufführung wie sowjetische Übergroß-Epen und neuere Versuche, mit der kostspieligen Form zu arbeiten, die immerhin bis zu dreimal mehr Fläche bietet als der industrienormierte 35mm-Film.

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Erste Katalogsichtung
Gerade sitze ich in meiner Wohnung in Berlin, den über 420 Seiten starken Katalog neben mir auf der Couch liegend, noch gar nicht wirklich angekommen, aber doch schon mittendrin im Geschehen, vor allem am Planen, am Organisieren, ja, auch am Arbeiten: Noch habe ich sicher nicht alle Goldstücke des Programms ausfindig gemacht, insofern ist auch die nun folgende Nennung von den für mich spannendsten Filmen der Berlinale 2009 nur eine vorläufige:
The Reader (Wettbewerb)
Ein fünfzehnjähriger Bub hat eine Affäre mit einer viel älteren Straßenbahnschaffnerin. Jahre später erfährt er von ihrer Vergangenheit: Hanna Schmitz war Aufseherin in einem Konzentrationslager. Stephen Daldry (Billy Elliot) inszeniert Bernhard Schlinks großartige Moralgeschichte von der Unmöglichkeit einer historischen Wahrheit als zweistündiges Drama, ungewöhnlich besetzt mit Kate Winslet und dem jungen David Kross (aus Detlev Bucks "Knallhart").

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Cheri (Wettbewerb)
Und noch eine Liebesgeschichte zwischen einer älteren Frau und einem viel jüngeren Mann. Noch eine Romanverfilmung. Wieder inszeniert von einem Briten. Stephen Frears ("The Queen") adaptiert einen Roman der französischen Schriftstellerin und Lebefrau Colette, besetzt mit Michelle Pfeiffer, Rupert Friend und – endlich wieder mal – Kathy Bates.
Happy Tears (Wettbewerb)
Mitchell Lichtenstein hat schon mit der Horrorkomödie "Teeth" bewiesen, dass er Zwischentöne famos beherrscht und auch viel Popkulturverständnis vom Herrn Papa (Roy) mitbekommen hat. Ersten Informationen zufolge soll sich sein neuer Film in eine ganz andere Richtung entwickeln. Freuen tue ich mich trotzdem, auch auf Parker Posey, Demi Moore und Rip Torn.

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Sturm (Wettbewerb)
Hans-Christian Schmid ist für mich einer der besten deutschen Regisseure. Mit Filmen wie "23" oder "Requiem" hat er gezeigt, wie sich potenziell spektakuläre Geschichten durch die Konzentration auf das Kleine, das Wesentliche, das Gefühlte herunterpegeln lassen und zu zarten Monumenten werden können. Sein neuer Film ist dem Vernehmen nach ein Gerichtsdrama, spielt eine Verhandlung beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag durch, stellt allen die Schuldfrage und wird – wenn ich nicht irre – eine sehr filmische Antwort darauf finden. Die Musik kommt erneut von The Notwist.
In the Electric Mist (Wettbewerb)
Tommy Lee Jones als raubeiniger Detective, der im sumpfigen, schwülen Louisiana einem Serienkiller nachstellt und dessen berufliches wie privates Leben schleichend von Dunkelheit ummantelt wird. Der französische Regisseur Bertrand Tavernier verfilmt einen Hard Boiled-Klassiker von James Lee Burke.

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Notorious (Wettbewerb)
Als Rap-Ignorant und Musik-Laie kann ich dem Thema dieser Biografie von George Tillman, Jr. nur wenig abgewinnen: Leben und Sterben des Notorious B.I.G. Ich freue mich trotzdem darauf, irgendwie.
Bellamy (Special)
Eine Sondervorführung für den neuen Film von Claude Chabrol: Dass sich Depardieus Statur immer mehr der von Jean Gabin annähert, ist mir schon aufgefallen. Dass Onkel Claude ihn jetzt aber auch noch als Detektiv, und nicht irgendeinen, sondern als Hommage an George Simenons raubeinigen, blitzgescheiten Commissaire Maigret inszeniert, ist eigentlich schon zu viel des Guten.

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Die Eigenheiten einer jungen Blondine (Special)
Man muss sagen, der neue Film des portugiesischen Altersweisen Manoel de Oliveira hat einen sonderbaren Titel. Mit nur 64 Minuten auch eine sonderbare Laufzeit. Aber allein die Tatsache, dass Herr de Oliveira im vergangenen Dezember seinen 100. Geburtstag gefeiert hat und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – so gut wie jedes Jahr einen neuen Film dreht, macht ihn für mich zu einem Pflichttermin.
Die Gräfin (Panorama)
Julie Delpy inszeniert sich selbst als Gräfin Erzebet Bathory. Sieht sehr nach Machtstudie aus und ist unter anderem besetzt mit William Hurt und Daniel Brühl.

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Das Vaterspiel (Panorama)
Österreich bei der Berlinale, Teil eins: Michael Glawogger adaptiert Josef Haslingers Roman über einen Jungen, der ein Computerspiel erfindet, in dem er seinen Vater tötet.
An Englishman in New York (Panorama)
John Hurt schlüpft nach "The Nakes Civil Servant" erneut in die Rolle von Großbritanniens populärstem homosexuellen Mann. Das allein ist schon Grund genug für mich, auf allen Vieren in den Kinosaal zu kriechen.

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Absolute Evil (Panorama)
Ulli Lommel war in den Achtzigern einer der maßgeblichen Protagonisten des German Underground Cinema. In den letzten Jahren, man kann fast sagen Jahrzehnten, ist der ehemalige Radikale allerdings zum Produzenten von gesichts- und haltungslosen Billigkonserven verkommen. Allein dass sein neuer Film im Panorama gezeigt wird, sollte dafür bürgen, dass "Absolute Evil" an seine alten Provokationen anschließen kann.
Der Knochenmann (Panorama)
Österreich bei der Berlinale, Teil 2: Wolfgang Murnberger adaptiert Wolf Haas’ Roman und schickt den Brenner erneut auf Spurensuche.

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Blaubart (Panorama)
Sind wir uns mal ehrlich: die Französin Catherine Breillat gehört zu den lässigsten Regisseurinnen überhaupt. Vielleicht war es ein Unglück, dass sie durch das Medienspektakel rund um ihren kühlen Beziehungssexfilm "Romance" 1999 so bekannt geworden ist: leicht wird übersehen, welch grundlegend gute Inszenatorin Breillat eigentlich ist.
Restposten
Jetzt bin ich erst durch den halben Katalog durch, muss aber an dieser Stelle aufgrund von Zeitnot Schluss machen. Langweilig wird mir jedenfalls nicht werden. Und jeden zweiten Tag lest ihr meine Gedanken, Beobachtungen, Einschätzungen und Kritiken zu den Filmen der Berlinale 2009.