Erstellt am: 3. 2. 2009 - 19:19 Uhr
"Years of Refusal"
You were good in your time
And we thank you
You made me feel less alone
You made me feel not quite so
Deformed uninformed and hunchbacked
So könnte meine persönliche Eintragung in Morrisseys Stammbuch lauten. Sie stammt aber vom Meister selbst und ist seinem neuen Album "Years of Refusal" entnommen. Morrissey ist bekanntlich seit ein paar Jahren und dem Album "Your Are the Quarry" "wieder da", wie die Popschreiber gerne behaupten. Der mitunter hymnische Ton der Rezenszionen korreliert meistens mit dem Alter der Rezensenten. Eine musikalische Sozialisation in den Indie-80er Jahren samt heftigen Schüben von Anglophilie hilft beim Verständnis von Morrissey jedenfalls ungemein. Bleibt die Frage, ob dieser graumelierte Mann samt seiner aktuellen Lad-Rockabilly-Proll-Gangster-Begleitband für die Nachgeborenen noch eine Rolle spielen kann?

Polydor
Riff-O-Rama
Das in Los Angeles aufgenommene "Years of Refusal" macht die Sache jedenfalls nicht einfacher. Weder ist das Album ein reifes Alterswerk, noch eine überraschende Neuerfindung der Figur "Morrissey". Nicht, dass irgendjemand mit so etwas wirklich gerechnet hätte, Morrissey ist ein Sturschädel, aber ein bisschen mehr "wow!" wäre schon noch drin gewesen.
Nach der durchwachsenen, aber immer "interessanten" letzten Platte "Ringleader of the Tormentors" rudert Morrissey musikalisch wieder zurück in das mittlerweile seit Jahren von ihm bevorzugte Gewässer des "Rock" (und diese Anführungszeichen würde ich jetzt gerne mit einer fuchtelnden Handbewegung unterstreichen). Die Vorabsingle "I’m Throwing My Arms Around Paris" mit den süßlichen Streichern, die ein wenig an alte "Viva Hate" Tage anknüpfen, führt auf die falsche Spur und bleibt eine Ausnahme. Der Großteil der Platte ist einem großspurigen riff-verliebten Glamrock Idiom verpflichtet, das von den Knechten rund um den musikalischen Direktor Boz Boorer "straight" (schon wieder diese Anführungszeichen!) exekutiert wird. Zwei klassische Morrissey Schmachtfetzen "It‘s Not Your Birthday Anymore" und "You Were Good in Your Time" unterbrechen das mitunter recht monotone Gebretter. Als Gast darf ausgerechnet Jeff Beck, der Gitarrengott der "Yardbirds", auf einer Nummer mitspielen. Virtuose Bluesrockerei auf einer Morrissey Platte? Bei den Smiths hätte es das wohl nicht gegeben.
Wie geht's ihm denn?
Den mehr oder weniger ergrauten Die-Hard Morrissey Fans der alten Schule wird das alles sowieso egal sein, die sind über jedes Lebenszeichen vom Meister des larmoyanten Wortwitzes froh und fröhnen der fröhlichen Textexegese. Aber auch hier wenig Neues: Das Album beginnt mit der Zeile "I‘m doing very well", und endet mit "I’m okay by myself, and I don’t need you and I never have". Nichts was wir nicht schon längst geahnt hätten. Die Texte der Morrissey Songs waren bisher, auch auf den mühsamsten seiner Platten, in ihrer sprachlichen Gewitztheit über jeden Zweifel erhaben, sieht man von der einen oder anderen politischen Tollpatschigkeit ab. Aber auf "Years of Refusal" wirken die Lyrics auf mich generisch. Vieles klingt, als sei ein Morrissey Text-Bausteingenerator angeworfen worden.

Polydor
Hörproben des neuen Morrissey Albums "Years of Refusal" am Dienstag, 3. Februar, ab 20.30 in der FM4 Homebase
Masculin-Feminin
Woran Stephen Patrick Morrissey zu Zeit augenscheinlich länger arbeitet, als an musikalischen Innovationsschüben, ist die Inszenierung seiner Männlichkeit. Das Ergebnis dieses Role Playing sieht man am Coverbild von "Years of Refusal". Morrissey steht mit einem Baby - übrigens das Kind der Freundin seines langjährigen Tourmanagers - im Arm, halb heilige Maria, halb Zuhälter im etwas zu weit aufgeknöpften Fred Perry Hemd, samt reichlich Brustpelz und Geschmeide um den Hals. Es sieht jedenfalls nicht so aus, als hätte Morrissey vor diesem Fototermin jemals auch nur etwas ähnliches wie ein Kleinkind im Arm gehalten. High Camp, und großer Spaß. Was ich allerdings vom aktuell kursierenden Coverbild für die Singleauskoppelung halten soll, weiß ich nicht so genau. Da lässt es sich Morrissey samt seiner vier köpfigen Band nicht nehmen, in beinahe "full frontal nudity" zu posieren. Nur zierliche 7" Singles verdecken das Gemächt.

Polydor
Man könnte es als Remake des alten Sockentricks der Red Hot Chili Peppers missverstehen, oder als emphatisches Bekenntnis zu Wohlstandsbauch und Körperbehaarung. Vielleicht ist es eine Grußadresse an einen schwulen Bärenclub? Das Gericht der Fans tagt noch zur Causa. Morrissey geht im Frühjahr/Sommer wieder auf Tournee. Man munkelt, dass der grandiose Entertainer und Sänger auch einen Österreichtermin Anfang Juli ins Auge fasst. Hoffen wir das Beste, dann können wir das ewige Enigma vielleicht persönlich fragen, wie er das alles gemeint hat.