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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 2. 2009 - 16:08

Journal '09: 3.2.

Schussfahrt Realität - zur Unvermeidbarkeit sich als Österreicher zur Ski-WM stellen zu müssen.

Ein frisch gewählter Sportverbands-Präsident hat heute einen Satz gesagt, in dem neben dem Begriff des Optimismus auch der Wunsch nach einem darin enthaltenen "Schuss Realität" geäußert wurde.
Meine Anregung in diesem Zusammenhang wäre es, den mittlerweile absurde Ausmaße annehmenden Backlash, den die Bedeutung des alpinen Skisports in den letzten Jahren erfahren hat, wieder mit der Realität in Einklang zu bringen.

Denn mehr als die professionellen Bejubler eines jeden Ski-Erfolgs, mehr als die Rattenschwanz-Freunde, die das zu einer Frage der Identität verquicken wollen, haben zuletzt die verbalen Ritzer und Selbstbeschädiger den Diskurs dominiert: Mittlerweile gehört es bereits zum guten Ton bei jeder Erwähnung des Worts "Skisport" überdeutlich drauf hinzuweisen, dass der doch mehr oder weniger nur in dreieinhalb Ländern stattfinden und deswegen eigentlich nur die Bedeutung von Eisstockschießen oder Faustball haben würde (wo Österreich auch Weltspitze darstellt und man derlei tatsächlich nur in drei Ländern treibt) und sich dann dafür quasi stellvertretend ordentlich zu genieren.

Die Lächerlichkeit des Genierers

Irgendwann kippt nämlich jede übertriebene Relativierung ins Lächerliche. Die Ski-WM in Val d'Isere wird von über 70 Nationen in Angriff genommen - Medaillenchancen haben davon vielleicht zehn. Das ist nun nicht überwältigend - aber es würde auch niemand auf die Idee kommen, den Eishockey-Sport als lachhaft zu bezeichnen, weil dessen Ranking nur 48 Nationen aufweist, von denen auch niemals mehr als acht in die Spitzenränge vorstoßen können.

Der alpine Skisport ist eine relativ verlässliche und berechenbare Größe, sowohl sportlich als auch gesellschaftlich und vor allem ökonomisch - und überall recht weit vom Zwergerl-Status entfernt, den die Mäkler ihm in der letzten Zeit zubilligen wollten.

Dazu investieren und projizieren sehr unterschiedliche Weltgegenden wie die USA/Canada, die südamerikanischen Andenländer, Japan/China, die neureichen Ost-Staaten (unter der Führung Russlands) da einiges rein. Es geht stark um Status-Symbolik, um Elitarismus und Abgrenzung - denn an all diesen Orten ist Skifahren eine Sache für den Geldadel und dementsprechend für die Rich Kids (wunderbares Beispiel: die USA, wo Aspen und ein paar andere Ressorts der Inbegriff von mondäner Exklusivität darstellen - auch wenn das durch Gangster-Boss-Kids wie Julia Mancuso dann sopranesk gebrochen wird).

Im Gegensatz dazu ist das Skifahren an sich in den Herkunftsländern des Alpin-Sports eine klassenlose Sache: in der Schweiz, Italien, Frankreich und eben auch Österreich gibt es zwar durchaus Äquivalente zu den Nobel-Orten (Cortina, St. Moritz ...) - der Zugang ist allerdings hier (ebenso wie in Skandinavien) ein selbstvertändlicher und alltäglicher. Den Schul-Skikurs gibts anderswo nicht in dieser Form.

Touristen und Skilehrer

Seit Anbeginn des Skifahrens als touristische Einnahmequelle (die Tiroler z.B., Menschen, die die Berge früher gemieden hatten, wurden von den ersten englischen Touristen quasi gezwungen, sich mit deren neuem Spleen, dem Skifahren eben, auseinanderzusetzen - freiwillig hätten die das nie gemacht) sind die Rollen da verteilt: die Einheimischen sind die Bodenständigen, die Skilehrer - die Besucher sind die Fremden, die Entsprechungen der Oberschicht. Deswegen sind die Deutschen (siehe Piefke-Saga) auch so unbeliebt - da geht es nicht nur um den ganz normalen touristischen, sondern auch um eine Art Klassenkonflikt.

Mittlerweile haben die Russen die Rolle, die früher Deutschen oder Holländern vorbehalten blieb, eingenommen. Darum hat auch Zar Putin die olympischen Winterspiele in Sotschi mit derartigem Nachdruck an sich gezogen - um einerseits die Begehrlichkeiten seiner Oberschicht zufriedenzustellen und um andererseits den nächsten Schritt, den zum selbstverständlichen Massenkonsum hin, erreichen zu können.

Österreichs Know-How als Ski- und Pistenbauer, Material-Bereitsteller und natürlich eben auch als Skilehrer ist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Dass die sehr strikte Beschäftigung damit ein praktisch vollständig von den Alpen umfasstes Land mehr beschäftigt als z. B. Deutschland, Italien, Frankreich, die eben auch noch andere Böden zu bestellen haben, versteht sich. Das alpine Ski-Herz schlägt in den Euro '08-Ländern, in der Schweiz und Österreich. Punkt.

Dieses fatale Minderwertigkeitsgefühl

Die seltsame Angst, international nicht ernst genommen zu werden, weil man in genau dieser Kernkompetenz sportliche Erfolge aufzuweisen hat, führt dann zu den angesprochenen Auswüchsen. Genauso wie international Japan für seine Judo-, China für seine Tischtennis-Kompetenz geschätzt wird, genauso wie man Kanada automatisch mit Eishockey oder Brasilien automatisch mit Fußball verbindet, steht Österreich international für den alpinen Skisport. Der ist jetzt nichts Weltbewegendes, aber auch mehr als nur eine total lachhafte Fußnote - und als solches Mittelklasse-Phänomen wird es international wahrgenommen.

Natürlich freut sich die Schweiz mehr über einen Roger Federer und auch über einen Ausgewanderten der 3. Generation wie Ben Roethlisberger - weil man da im normalen Konzert der Großen mitspielen kann. Deswegen aber die eigene Kern-Kompetenz madig zu reden und sich selber zum Dodel zu erklären, weil man manchmal gar zu arg dominant ist, zeugt von einem grotesken Minderwertigkeits-Komplex.
Und einer Fehlsicht auf die Resourcen des Landes in dem man lebt - wo es viel schwerer ist eine gerade Laufbahn oder einen ebenen Platz zu bauen als den buckligen Hang runterzucarven.

Sich der heute begonnen habenden FIS-Ski-WM in Val d'Isere also mit dieser oder vergleichbaren Naserümpf-Ausreden zu entziehen, anstatt sich zumindest kurz damit zu beschäftigen wie es denn bei den Titelkämpfen eines Sports ausschaut, der die Volkswirtschaft derart stabilisiert und eine Kernkompetenz der Jugend darstellt, ist so an den Haaren herbeigezogen wie die Unterwasser-Existenz von Sandy Cheeks. Und das sag ich, der eins der vielleicht kritischstmöglichen Verhältnisse zum Skifahren oder zum Dachverband ÖSV hat.

PS:

toller Super-G heute, oder? Unfassbar schwere Piste, ganz böse Streckensetzung und ein zufriedenstellendes Resultat mit der Beute-Tirolerin Lindsay Vonn-Kildow als Siegerin, der ersten (unerwarteten) Medaille von Fischbacher und dem Höllenritt von Jungspundin Anna Fenninger. Wer da nicht kurz reingeschaut hat, ist selber schuld ...