Erstellt am: 1. 2. 2009 - 15:27 Uhr
Der alte Mann und die Kinder
"Ich hab den Weltrekord zwar nicht gebrochen, aber es dem Nachwuchs noch mal ordentlich gezeigt."
Etwas in der Art erzählt Terje Haakonsen dieser Tage seinen Kindern, wenn er von der Arbeit, dem Snowboarden, nach Hause kommt. Den Weltrekord in der Quarterpipe muss er gar nicht mehr brechen, denn seit seinem 9,8 Meter Sprung bei der Arctic Challenge 2007 hält er ihn fest in seinen Fäustlingen. Auch nach dem gestrigen Air & Style in Innsbruck, bei dem sich die Snowboard-Ikone offiziell vom Contest-Leben verabschiedet hat.
Nicht, weil er es nicht mehr könnte, sondern weil er seine Lines lieber im Powder zieht. So wie Donnerstag Nachmittag. Während 23 der weltbesten Freestyler wie Anti Autti, Andy Finch und Peetu Piiroinen die Quarterpipe im Bergisel Stadion mit ihren Brettern streicheln, tätschelt Terje am Arlberg einen Tiefschneehang. Der 34-jährige Norweger braucht das Training offensichtlich nicht. In der Pipe ist er groß und für einen Boarder mittlerweile fast greisig geworden.
Billabong Air & Style Innsbruck-Tirol 09 / Florian Auerbach
"Ist das der Alte?", raunt hinter mir eine Zuschauerin, die wie die Hälfte der 13.000 Fans beim Air & Style in enttäuschte Buh-Rufe ausbricht, als Terje nur Fünfter wird. Buh für die Judges, nicht für den Snowboarder, der jetzt entspannt zu seiner Familie und seiner eigenen Bio-Bäckerei zurückfliegen kann. Yoga und ein Fischgetränk mit Omega 3-Öl statt wilder Parties und Alkohol. Die Exzesse überlässt Terje seinen jüngeren Kollegen, und von denen gibt es genügend.
Alkohol darf der Norweger Stale Sandbech aber noch keinen trinken. Denn er ist gerade Mal 15 Jahre alt und damit der jüngste Air & Style-Teilnehmer in diesem Jahr. Klein gewachsen wie die meisten und mutig. Auf der Skisprungschanze im Bergisel Stadion stürzt er sich mit knappen 90 km/h in die Tiefe, direkt auf eine 12,2 Meter hohe Wand zu - die Quarterpipe, eine der größten der Welt. Seinen Kindern, sollte er mal welche haben, kann er erzählen, dass er zwar nicht ins Finale gekommen ist, aber bei einer atmosphärisch dichten Sport-Party mit dabei war.
So wie der Österreicher Werner Stock, der seinen Startplatz zu schätzen weiß: "Das ist schon was Besonderes, da oben zu stehen. Ich bin einfach nur froh, mit dabei zu sein." Als einer der zwei Locals hat er zwar einen Heimvorteil, aber auch mehr Publikumsdruck als der weit gereiste Japaner Daisuke Murakami. Der kann, wenn er nach Hause kommt, seinem neu geborenen Sohn erzählen, dass er den Österreichern das Wort „Ganbatte“ beigebracht hat.
Bei jedem seiner Runs haben 13.000 Münder lautstark "Gib dein Bestes" auf Japanisch gebrüllt. Gut, der Stadionsprecher hat volle Arbeit geleistet, um das Snowboard Völkchen zu animieren. "Die Welle" und jetzt ganz laut "Anti Autti" und noch eine "Welle". Erwachsene Kinderspiele.
Billabong Air & Style Innsbruck-Tirol 09 / Florian Auerbach
Billabong Air & Style Innsbruck-Tirol 09 / Florian Auerbach
Kinder kamen mir zwischen den Versuchen, meine steif gefrorenen Zehen wieder wach zu kriegen, und beeindrucktem Staunen immer wieder in den Sinn. So jung und schon so furchtlos. Oder vielleicht gerade deshalb. Wenn man als Normalsterblicher älter wird, riskiert man weniger, trägt Helm und Rückenprotekoren, weil man weiß, dass ein Sturz sehr weh tun kann. Bei den Boardern hat man aber sowieso das Gefühl, sie wären aus Gummi.
Der stylische Finne Anti Autti knallt aus zehn Metern Höhe auf den betonharten Schnee, steht auf und fährt weiter, als sei nichts gewesen. Eingebautes Airbagsystem in den Knochen oder einfach nur Glück? Weil das Glück ein Vogerl ist, haben die Air & Style Verantwortlichen heuer erstmals ein spezielles Sicherheitssystem in die Pipe eingebaut. Bag Jumps, riesige Luftkissen, am Coping, der oberen Kante der Quarterpipe, die Daisuke Murakami davor bewahren, in mehreren Teilen nach Hause zu fliegen. Stattdessen landet er weich wie auf einer Luftburg. Eine solche hat die Hamburger Spaßtruppe Deichkind dieses Mal nicht mitgebracht.
Billabong Air & Style Innsbruck-Tirol 09 / Florian Auerbach
Dafür das traditionelle Schlauchboot und einen Haufen Regenschirme. Mit einem lauten Remmidemmi, Plastik und viel nackter Haut haben sie das große Finale und einen Flitzer eingeläutet. Ein Nackerter am Snowboard. Eine interessante Überraschung, denn zum Air & Style, vor allem zu dem in München, fallen mir vor allem halbnackte Mädels bei der Preisverleihung ein. Die waren dieses Jahr erfrischenderweise nicht dabei.
Billabong Air & Style Innsbruck-Tirol 09 / Florian Auerbach
Alle Fotos von air-style.at.
Also kann ich meinen Kindern, sollte ich mal welche haben, erzählen, dass das Snowboard-Spektakel in Innsbruck seine Prüfung bestanden hat. Der zweite Anlauf ist immer der schwierigste. Daran wird die Existenzberechtigung festgemacht. Innsbruck ist der richtige Ort. Die Berge ringsum, der Kessel im Bergisel Stadion und 13.000 Menschen, die Spaß haben. Das fühlt sich gut an. So wie die Dramaturgie des Events, ganz nach: wenn es am Schönsten ist, sollte man aufhören. Kollege Daniel Kudernatsch vom "69 Magazin" und ich stehen nach dem Finale verwundert da und fragen uns, warum da plötzlich Treppchen aufgebaut werden. Wo es doch gerade so spannend war.
AIR & STYLE 2009
Platz 1: Colin Frei (SUI)
Platz 2: Peetu Piiroinen (FIN)
Platz 3: Olivier Gittler (FRA)
Air & Style09/Florian Auerbach
Mando Diao waren übrigens dann auch noch da, mit neuem Album, Handschuhen und Gitarrentricks. Nicht schlecht, aber nichts gegen die Rotationen der Boarder.