Erstellt am: 2. 2. 2009 - 01:31 Uhr
Ausländer Forever.
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No Place Like Home
Einwanderungsland Österreich - Ein FM4 Programmschwerpunkt ab 1. Februar
Die nächtlichen Diskussionen, rund um Herkunft, Identifikation mit meiner vergangenen oder aktuellen Heimat (ausgelöst durch Zeitungsmeldungen oder die wie Quecksilber in mich eingesickerte Frage nach der Heimatantwort), beende ich meist mit einer Rede über Nationalsozialismus. Etwas das mir genauso sicher wie polemisch erscheint. Dann noch die Schlussfolgerung, dass es eine hausgemachte Unmöglichkeit ist, sich in diesem österreichischen Land, der Hauptstadt in der ich seit 20 Jahren wohnhaft bin, wohl zu fühlen, stolz zu sein auf seine Herkunft, sein Anderssein und in weiterer Linie mit seiner Vergangenheit klar zu kommen und ein positives Bewusstsein dafür zu bekommen, in zwei Kulturkreisen geboren, mit zwei Sprachklängen aufgewachsen und als Erwachsene/r entwurzelt an zwei Orten aufgewacht zu sein.
Ondrusova
An manchen Tagen und Abenden glaube ich in all dem pathetischen Unrechtgefühl, dass es gar keinen Ort gibt an dem dies möglich ist. So ein Ort müsste einer sein, an dem Herkunft überhaupt nicht zählt. Den Gedanken ins Abseits gestellt, liefert alleine der Klappentext von Julia Kristevas philosophischer Über-Abhandlung "Fremde sind wir uns selbst" die interessantere Antwort als eine rein geographische Auskunft: Kristeva schreibt 1988: "Der Fremde entsteht, wenn in mir das Bewußtsein meiner Differenz auftaucht, und er hört auf zu bestehen, wenn wir uns alle als Fremde erkennen".
Ondrusova
1989 hatte auch meine Familie auf dem Weg in den goldenen Westen einen Zwischenstopp im Flüchtlingslager Traiskirchen eingelegt, meiner Erinnerungen daran soll hier nicht größerer Raum eingeräumt werden, als die Zusammenfassung, dass es andere schlimmer hatten. Schlimmer, weil viele älter, alleine und länger im Heim waren, als meine Familie. Der erste Strohhalm nach dem ich mich als naives Kind klammerte, war schließlich ein pragmatischer Gedanke des Ehrgeiz: "Jetzt lerne ich also richtig deutsch!", um später in im Land meiner Muttersprache nach Vokabeln des aktiven Sprachgebrauchs zu suchen und dafür unverständliche Blicke zu ernten. Aus den nächtlichen Diskussionen, darf man eines nicht unterschlagen: Ich bin in einem Land geboren, das Mähren heißt und früher zu Österreich gehörte. Was meine Heimat-Diskrepanz noch perverser erscheinen lässt, denn befrage ich meine Freunde zu unserer Parallelvergangenheit haben sie am Sonntag auch nichts anderes gemacht, als Schnitzel geklopft oder Knödel gegessen.
Ondrusova
Nein, das "Anders" beginnt nicht hier, aber vielleicht in der Tatsache, dass es als Kind leichter war das Wort "Tschusch" zu deklinieren, als zu erfahren, was dieser Akkusativ eigentlich ist. Die Definition des Ausländers ist im schlimmsten Falle ein von anderen an sich selbst beschimpfter Selbstfindungsprozess. Wenn man diese passive Erleuchtung erlangt, fängt die aktive Aufarbeitung an und ab hier könnte man sich hinter der Aussage "Ich bin Europäer" verstecken oder "erklären". Aber nicht Kinder sind grausam. Erwachsene sind es. Jene, die Uninformiert alle Fremden in "Gut/Schlecht" kategorisieren und Integration mit "Nichtauffallen" und "Anpassung" verwechseln. Sei es sichtlicher (Kleidung, Hautfarbe) oder sozialer Natur: Wegen des „untereinanders“ und den daraus resultierenden Rückzugsorten der Fremden, die an ihren Oasen der Heimaterinnerung im optimistischen Fall nach Orientierung suchen, weil das "Neue" einfach verwirrend ist. Weil Integration mit Aufklärung beginnt. Und Aufklärung fehlt auf beiden Seiten. Auf das "Warum" mit "Lebensstandard" antworten, ist angesichts des nicht nur wirtschaftlichen aber auch gesellschaftlichen "Substandards" eine unverständliche Farce. Den Lebensweg der Eltern nachzeichnen und nachvollziehen - im ständigen Versuch der Gegenüberstellung zur aktuellen Lage hier und dort - kann für manche Geburtsorte irritierend sein. Da wird die entwurzelte Jugend ein Klotz am Bein über das man unter ständigem Hinweis der Undankbarkeit immer selber stolpert.
Ondrusova
Mit einem Dichter als Ex-Präsidenten, der auf die Frage "Warum sind sie nicht geflohen?" ganz ruhig "Ich konnte nicht. Das ist meine Heimat." antwortet, lässt sich das Schuldgefühl weder dort noch da einen Ort der kulturellen Zugehörigkeit gefunden oder in weiter Ferne wertgeschätzt zu haben, auch nicht mindern.
So dass ich für mich immerhin zu dem Entschluss gekommen bin, dass der Trennungsschmerz zwischen "früher" und "jetzt", zwischen "hier" und "dort" normal ist. Was beschwere ich mich nämlich, freiheitsraubende Existenzängste kenne ich nur aus großelterlichen Erklärungen der Besatzungszeit. (Wenn ich möchte, könnte ich auch heute noch die bösen Russen an die Wand malen.) Nie bin ich als Kind über die Grenze geschmuggelt worden, das Land in dem ich geboren wurde, hat sich ohne Krieg in zwei geteilt. Und viel wichtiger: Ich kann meine Verwandten schneller besuchen fahren, als Freunde in Salzburg. Den Pass brauch ich dafür nur als nostalgisches Handgepäck.
Ondrusova
Wenn ich gefragt werde, wo ich herkomme, erzähle ich einfach eine längere Geschichte, als es in einer Nacht möglich ist. Und wenn ich wieder unschlüssig bin, was "Heimat" bedeutet, werd ich erzählen, dass mein erstes geschrieben gelesenes deutsches Wort "Zahnstocher" war. Und dass Heimat kein Ort sondern eher ein Zustand ist. Denn um Kristevas Ort, an dem wir uns alle als fremd erkennen, da fließen keine Landesgrenzen.