Erstellt am: 1. 2. 2009 - 12:27 Uhr
Komm, sei unser Gastarbeiter
von Johanna Zechner
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No Place Like Home
Einwanderungsland Österreich - FM4 Programmschwerpunkt ab 1. Februar
Der türkische Bauarbeiter, die Putzfrau aus Serbien. Zwei Bilder, die sich in das österreichische Bewusstsein eingeprägt haben. Aber woher kommen diese Zuschreibungen? Wie und warum kamen und kommen seit den 1960er Jahren Menschen nach Österreich, um hier zu leben und zu arbeiten?
Du nix trinka Gsprista mit Chefe, ich imma trinka Gsprista mit Chefe.
Schon vor 20 Jahren, Ende der 1980er Jahre parodiert der Burgenland-Kroate und Kabarettist Lukas Resetarits in seinem Programm "I Rekapituliere" mit dem Sketsch "Tschusch, Tschusch" das Verhältnis und den Umgang zwischen "Gastarbeitern" und "echten" Österreichern. Drei Arbeiter treffen in der Bim aufeinander. Der Türke und der Jugoslawe streiten sich darum, wer der bessere Gastarbeiter und der bessere "Österreicher" sei.
Hermann Mayer
"Ich imma arbeiten, arbeiten, du nicht immer arbeiten..." Als sie bei dem Dritten, einem "echten" Österreicher Bestätigung suchen, weist dieser sie überheblich auf ihren Status als "Ausländer" hin und beschimpft sie beide: "Schleichts eich ham! Ausländer raus aus Österreich, Ausländer raus aus dem Ausland!" Resetarits' Parodie ist nicht nur heute - 20 Jahre später - noch schockierend aktuell und treffend, sie weist auch auf die Auswirkungen und auch die Versäumnisse der österreichischen Arbeitsmarktpolitik in der zweiten Republik hin.
Einwanderungsland Österreich
Schon während der k.u.k. Monarchie kam es ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - ausgelöst von der industriellen Revolution - zu Massenmigrationen von Menschen aus den Kronländern (dem heutigen Tschechien, der Slowakei, Polen oder Ungarn) ins heutige Österreich, vor allem nach Wien. Um 1880 war mehr als die Hälfte der EinwohnerInnen (damals mehr als 2 Millionen) nicht in Wien geboren, der Großteil der EinwandererInnen kam aus Böhmen, was sich heute noch unter anderem in Form von Knödeln und Mehlspeisen kulinarisch widerspiegelt.
Nach dem zweiten Weltkrieg, zum Jahresende 1945, gab es in Österreich rund 1 Million EinwohnerInnen ohne österreichische Staatsangehörigkeit, darunter ehemalige ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene, Vertriebene und Flüchtlinge auf österreichischem Staatsgebiet.
Komm und sei unser Gastarbeiter
Anfang der 1960er Jahre begann Österreich - so wie auch Deutschland und die Schweiz - so genannte "GastarbeiterInnen" anzuwerben. Vor allem in Jugoslawien (in Österreich immer die größte Gruppe) und in der Türkei wurden gezielt Arbeitskräfte für gewisse Branchen wie zum Beispiel Bau- oder Textilgewerbe rekrutiert.
Von 1962 bis 1964 wurden jeweils "Kontingente" von rund 37.000 Arbeitskräften vereinbart, jedoch nicht völlig ausgeschöpft. Die ursprüngliche Idee der Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik war es die ArbeitsmigrantInnen nur für kurze Zeit ins Land zu holen. Als sich jedoch zeigte, dass dieses "Rotationskonzept" mit dem Arbeits- und Lebensalltag der Menschen schwer vereinbar war, wurde es noch in Laufe der 1960er Jahre durch die Perspektive einer längerfristigen Beschäftigung und einer endgültigen Niederlassung der Zuwandererfamilien ersetzt. 1970 wurden 100.000 und 1973 und 1974 wurden über 160.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland zugelassen. Bis zum Ende der 1970er Jahre ließen sich Hunderttausende Menschen nieder, holten ihre Familien nach, gründeten welche und bauten sich neue Existenzen in Österreich auf. Bei der Volkszählung 1971 hatten von 7.492.000 EinwohnerInnen rund 212.000 eine ausländische Staatsangehörigkeit, davon waren 138.000 berufstätig. 605.000 EinwohnerInnen waren im Ausland geboren.
Archiv Bosfor Reisebüro / gastarbeiterj.at
Die österreichische Gesellschaft war mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Welche Rechte und Pflichten hatten die so genannten "Gastarbeiter", die eigentlich längst keine Gäste mehr waren? Was tun mit Schulkindern mit nicht deutscher Muttersprache? Hinzu kam, dass ein Großteil der österreichischen Mehrheitsgesellschaft sich durch die "Fremden" im eigenen Land bedroht fühlte. Alte und neue xenophobe Stereotypen prägten den öffentlichen Diskurs, es mangelte an Konzepten für ein gelungenes Zusammenleben und einen Austausch zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die damals von öffentlichen Stellen begonnenen "Integrationsmaßnahmen" hinken bis heute inhaltlich und konkret hinterher.
Go West: Die Ostöffung Ende der 1980er-Jahre
Ende der 1980er Jahre kamen neue ArbeitsmigrantInnen wie zum Beispiel Pflegepersonal aus Mittel- und Osteuropa und aus anderen Teilen der Welt nach Österreich. Die Befürchtung, dass AusländerInnen ihnen den Arbeitsplatz streitig machen würden, nahm bei vielen ÖsterreicherInnen zu. Die Politik reagierte mit der Verschärfung von Fremden- und Ausländerbeschäftigungsgesetz, sowie des Aufenthaltsrechts.
Die "neuen" ArbeitsmigrantInnen unterscheiden sich von den "klassischen" ArbeitsmigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei. Sie bilden keine homogenen Gruppen mehr. Neue Formen einer weiblichen "Dienstbotenwanderung" oder "Pendelwanderer" und Saisonarbeitskräfte, die vor allem im Baugewerbe, in der Landwirtschaft und im Tourismus beschäftigt sind, füllen vorhandene Lücken im österreichischen Arbeitsmarkt. Wie viele Menschen als ZuwandererInnen nach Österreich kommen können, orientiert sich, wie schon in den 1960er und 1970er Jahren, hauptsächlich an den Bedürfnissen der Wirtschaft und wird seit 1993 durch Quoten festgelegt. Das Berufsspektrum ist im Vergleich zu den 1960er und 1970er Jahren zwar breiter, die überwiegende Mehrheit der ArbeitsmigrantInnen in Österreich war und ist in schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen tätig, Männer etwa im Baugewerbe, Frauen in der Reinigungsbranche.
gastarbeiterj.at
Die Konzentration bestimmter Gruppen auf einzelne Branchen ist vor allem eine Folge des eingeschränkten Zugangs für MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern zum österreichischen Arbeitsmarkt. Für ArbeitnehmerInnen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten aus Osteuropa wurde eine Übergangfrist hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt der bisherigen EU-Mitgliedsstaaten eingeführt. Hiernach können die "alten EU-Mitgliedsstaaten" nach 2, weiteren 3 und wiederum 2 Jahren entscheiden, inwiefern sie ihren Arbeitsmarkt für die neuen EU-BürgerInnen öffnen. Österreich hat bereits angekündigt, die volle Übergangsfrist von sieben Jahren (d.h. bis 2011) ausnützen zu wollen.
Unter 8.033.000 EinwohnerInnen sind 2001 rund 711.000 ausländische Staatangehörige, 1 Million sind im Ausland geboren.
Herausforderungen und Versäumnisse
Nach wie vor sind Menschen mit nicht-österreichischem Pass, die nicht aus einem EU-Land kommen, aber hier leben und arbeiten, von demokratischen Mitbestimmungsrechten weitgehend ausgeschlossen. Sie können anders als etwa in Deutschland keine Betriebsräte werden und haben keine Möglichkeit in der Kommunalpolitik mitzubestimmen.
Im europäischen Vergleich wird in Österreich auch die Einbürgerungspraxis restriktiv gehandhabt: Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht stellt auf das so genannte "ius sanguinis", das "Recht des Blutes", ab. In Österreich geborene Kinder von AusländerInnen gelten somit per "Abstammung" automatisch als AusländerInnen und müssen für den Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft erst bestimmte Bedingungen erfüllen. Anders gilt etwa in Großbritannien das so genannte "ius soli", das "Recht des Bodens", nach dem auf britischem Boden geborene Kinder von ImmigrantInnen einen Rechtsanspruch darauf haben, eingebürgert zu werden.
Zahlreiche Empfehlungen des Europarats und der EU-Kommission liegen vor, die sich für eine stärkere Integration und Gleichberechtigung von ImmigrantInnen in den EU-Mitgliedsstaaten aussprechen. Österreich zählt in diesem Bereich jedoch zu den Schlusslichtern innerhalb der Europäischen Union. Trotz der langen Tradition als "Schmelztiegel" und den wirtschaftlichen Vorteilen, die die über Jahrzehnte andauernde Zuwanderung von arbeitswilligen Menschen nach Österreich gebracht hat, versteht sich das offizielle Österreich nicht als Einwanderungsland.