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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

31. 1. 2009 - 17:37

Journal '09: 31.1.

Von der zufälligen Sekunde und vom Sich-gläsern-Machen.

Ob ich den kleinen Einführungs-Vortrag zum Thema Jugendkultur, den mir als Panel-Leiter bei der Tagung "Kultur - Harmonie und Konflikt" zufiel, bis Ende Jänner niederschreiben und an das Forum Alpbach schicken könnte?
Sicher.
Ist vermerkt.
Und hoppla, dann ist auch schon der letzte Jänner-Tag da und ich übertrage meine handschriftlichen Skripten. Und weil die ihre Gültigkeit seit November nicht verloren haben, kommt's gleich auch hier daher. Der Text schließt an das Vorgänger-Panel (Thema: Gegenkulturen, Diskutant war u.a. Rainer Langhans, Thema also '68, der Ansatz eher philosophisch) an und leitet zu drei Impulsreferaten samt anschließender Diskussion über, von der ich schon damals erzählt hatte.

Eine kleine Einführung zum Thema Jugendkultur

Nachdem am Vormittag die Philosophie das Gespräch über Gegenkulturen gekapert hat, werden wir hier den klassischen Kulturbegriff von einer anderen Seite unterlaufen.
Jugendkultur ist Ausdruck aktuellen Lebensgefühls unter starker Berücksichtigung des Individuums, der Abgrenzung und der Kreativität. Jugendkultur bringt ein starkes Gruppengefühl hervor, was nur scheinbar dem angesprochenen Kriterium der Individualität widerspricht.

Die Panelisten sind Julia Zaremba vom renommierten Institut für Kunstpädagogik in Frankfurt, mit der Leitung des dortigen Jugendkulturarchivs betraut, das vielen durch die Ausstellung "Coolhunters" bekannt sein dürfte. Paul Ringler ist Projekt-Manager beim GfK-Institut, Sozialwissenschaftler, aber auch Obmann der Plattform Generation Praktikum. Manfred Zentner vom Institut für Jugendkulturforschung ist Marktforscher für die T-Factory und Österreichs Vertreter im European Youth Research Network. Mein Name ist Martin Blumenau, ich bin langjähriger Jugendkultur-Praktiker beim Popkultur-Radio FM4, das von der Süddeutschen als bestes seiner Art im deutschsprachigen Raum, und von Wallpaper-Gründer Tyler Brulee, der Jugend/Popkultur als Selbstverständlichkeit für einen modernen Radiosender betrachtet, als Lieblingssender benannt wird.

Das würde eine Spur legen, wie anders der Begriff Jugendkultur im angloamerikanischen Raum besetzt ist – bleiben wir aber, nicht zuletzt wegen des um die Chiffre 1968 kreisenden ersten Panels, im deutschsprachigen Raum.

Die aktuelle Jugendkultur, die sich aus der da angesprochenen Gegen/Subkultur entwickelt hat, ist KEIN einmaliges und erstmaliges historisches Beispiel – die Berliner 20er-Jahre, die Jazz-Beatniks der 50er waren, wie Dutzende andere historische Vorläufer, auch schon vor diesem turning point nach heutigem Verständnis nichts anderes als Jugendkulturen.

Aktuelle Jugendkultur hat das Pech an einer kurzen Sekunde gemessen zu werden, in der sie mehrheits-, konsens- und entwicklungsfähig war, irgendwann in den 60ern, schon vor dem zum Symbol verkommenen Jahr 68.

Für eine Sekunde, ich nenne das den Beatles/Dylan/Warhol-Moment, war die damals frische Gegenkultur eine kollektive Utopie, die etwas fühlte, was auch die Mehrheitsgesellschaft mittragen konnte. Für eine Sekunde schien auch eine Umsetzung greifbar.

An der Fiktion dies seitdem immer wieder leisten zu müssen, müht sich die Jugendkultur bis heute ab, daran wird sie gemessen. Das ist nicht nur eine Frage der Zuschreibung, auch eine nach der Eigenleistung.

Dieser unabsichtlich geschaffenen inhaltlichen Bürde für die Nachfolgenden steht aber die große strukturelle Aufbauarbeit der 68er entgegen. Sie haben ein kulturell erfolgreiches Projekt in die Welt gesetzt. Zwar wollte der politisch bewusste Kern der 68er eigentlich politisch und gesellschaftlich bewegen – was ihnen nur zum Teil gelungen ist. Sie wollten nicht so sehr kulturell verändern, was ihnen aber nachhaltig gelungen ist.

Das hat damit zu tun, dass es sich bei ihnen um die erste globale Bewegung handelte, die frühzeitig Strukturen hochzurrte, anhand derer sich eine zunehmend vernetzte Welt auf Augenhöhe und ohne viele Übersetzungs-Tools austauschen kann. Der lange Marsch hat also eine globalisierte Jugendkultur zustande gebracht.

Die kollektive Utopie der gemeinsamen Sekunde wurde seit den 60ern manchmal leicht gestreift. Punk (1976-79) ist so ein Beispiel, wo erstmals Begriffsumdeutungsmodelle aus der Kunst in die Jugendkultur eingeflossen sind, die Sampling Revolution Ende der 80er, die bewusst mit Versatzstücken hantierte, läutete das damals in seinen Ausmaßen noch nicht abzusehende digitale Zeitalter ein. Seit den 90ern, in der komplett desillusionierten Post-Nirvana-Phase, in der sich das Bewusstsein, dass jede Basis-Äußerung innerhalb von kürzester Zeit industriell veräußerbar sei, durchgesetzt hatte, hat sich die Jugendkultur ergeben.

Wem oder was hat sie sich ergeben?

Zum einen den Mechanismen des Kulturbetriebs. Der orientiert sich im Rahmen des Markts an ökonomischen Interessen einerseits und dem Distinktionsgewinn (via Mäzenaten-Denken) andererseits. Darum geht es in der Hochkultur, seit jeher auch in der aktuellen Eventkultur, also der Mainstream-Unterhaltung, auch den erst jüngst von der Gegenkultur in den Mainstream rübergewachsenen Genres (Performance, neue Medien) und – noch nicht ganz so lange – auch in den zuletzt gezählten 467 Jugendsubkulturen.

Jugendkultur, das sind viele verschiedene Sub-Genres, Stämme, die allesamt ihre eigenen Codes und Systeme entwickelt haben und sich im Optimal-Fall über diese Gemeinsamkeit verständigen können. Im digitalen Zeitalter gelingt das zunehmend leichter.

Durch die mittlerweile fast flächendeckende Vereinnahmung von Jugendkulturen durch den von strengen ökonomischen Interessen getriebenen Markt und durch den neuen Voyeurismus, die Lust an der Selbstdarstellung via neue Medien hat zeitgenössische Jugendkultur ein völlig anderes Weltbild als 68.

Wir haben in Österreich 07/08 ein paar ganz hervorragende Beispiele gehabt: die Krocha auf der einen, die Emos auf der anderen Seite. Gruppen wie diese erfüllen immer noch die anfänglich angeführten Kriterien (Stichworte: Individualität, Abgrenzung, Kreativität, Gruppengefühl), sind aber in alle Richtungen offen – sowohl für mediale als auch gesellschaftliche Vereinnahmung.

Das Konzept des gläsernen Medien-Konsumenten ist für die offen zur Schau gestellte Gruppen-Glückseligkeit kein Angstmacher, sondern eher ein Motor.

Derlei war im prädigitalen Zeitalter unvorstellbar, galt als automatischer Sell-Out an den Konsumismus und ist deshalb von der nach klassischen 68er-Regeln geschulten Väter-Generation nicht nachvollziehbar. Daraus ergeben sich die durchaus notwendigen Konflikt-Potentiale zwischen den Generationen: der Vorwurf, dass aktuelle Jugendkultur nicht mehr „echt“ im Sinn der einzelnen zufälligen Sekunde sei, speist sich aus dem aktuellen Unverständnis, das die Elterngeneration den Medien ihrer Jugend entgegenbringt.

Deshalb wird aktuelle Jugendkultur von den Veteranen auch gerne verachtet – was aber (auch ein Klassiker) den jugendlichen Proponenten nicht nur wurscht ist, sondern sie auch noch antreibt.

Einzig der aktuelle Jugendkultur-Diskurs leidet darunter. Da die Definitions- und Deutungs-Hoheit (selbst in den Neuen Medien!) immer noch bei der prädigital geprägten Generation liegt, bleibt die zentrale Bruchlinie des Konflikts großflächig unerkannt.

Ich will die aktuelle Haltung der bereits in die digitale Welt hineingeborenen Generation am Beispiel eines Kunstkurators aus New York erklären. Der Mann, er ist arabischer Abstammung, hatte das Pech für den 12. September 01 ein Flugticket aus den USA raus gebucht zu haben, bekam so also die gesamte Härte der Rasterfahndung/Überwachung zu spüren.

Der Mann wehrte sich schlussendlich damit, dass er (in der Folge als Kunst-Projekt) sein gesamtes Leben komplett öffentlich gestaltete: Über seine Website ist sein Aufenthaltspunkt jederzeit aufzuspüren, er stellt Bilder jeder Mahlzeit, jeden Konsums, alle Daten und Fakten permanent und flächendeckend ins Netz: Der Mann hat sich gläsern gemacht, um der Überwachung zu entkommen.

So ähnlich verhält es sich mit aktueller Jugendkultur: Sie hat sich gläsern gemacht, weil sie keine andere Chance hat, weil jede noch so versteckte nur für den inneren Gebrauch erfundene Äußerung oder Geste innerhalb von Tagesfrist von Trendscouts aufgedeckt und in den kommerziellen Verwertungsbetrieb übergeführt würde. Dieser Ausbeutung lässt sich nur durch komplette Öffnung entgehen – was wiederum den prädigitalen Old-School-Jugendkulturisten nervös macht.

In sich langsam bewegenden Gesellschaften wie der unseren, wo nicht nur das digitale Zeitalter, sondern auch die zielführende Nutzung der entsprechenden Medien jahreweit hinterherhumpelt, wo die Fixierung auf museale Kulturen als das Nonplusultra gilt, und die Beschäftigung mit lebendigen Biotopen automatisch verdächtig ist, gibt es dazu – noch – keinen Diskurs. Dieses Panel will mithelfen einen Anfang zu leisten.