Erstellt am: 31. 1. 2009 - 17:05 Uhr
Protestsongcontest 2009
Chili Gallei / Rabenhof
Am 12. Februar steigt im Wiener Rabenhoftheater das Finale des Protestsongcontests. Das Datum kommt nicht von ungefähr, immerhin gilt der 12. Februar als Höhepunkt des so genannten Bürgerkriegs (a.k.a Februarunruhen) und die sind jetzt auch schon genau 75 Jahre her. Der Protest per se hat sich noch nicht so recht als etwas etabliert, was nur um seiner selbst Willen geschieht, sondern hängt von der Welt ab, in der er geschieht. Vor 75 Jahren waren das hohe Arbeitslosigkeit, Frustration über das Anschlussverbot und das Wettrüsten zwischen Heimwehren und Schutzbund. Heute titelt mein Lieblingsmagazin "Magersuchtsrückfall" (Cover: Lindsay Lohan), mein zweitliebstes Magazin "Alles liquidieren!" (Cover: Adolf Hitler) und der Teletext befasst sich aktuell mit einer AMS-Affäre, einem Castingshowsieger namens Oliver und den NATO-Verhandlungen mit dem Iran.
Damit haben wir auch den zeithistorischen Kontext erklärt, in den der Protestsongcontest mit dem gestrigen Vorfinale in seine öffentliche Phase eingetaucht ist. 25 Protest-Sängerinnen und -Sänger hat eine Vorjury aus über 100 Einsendungen ins einzigartige Ambiente des Haus der Begegnung in Wien-Rudolfsheim eingeladen, einige davon haben am Freitag live gespielt, einige andere sind derweil noch zuhause geblieben und haben sich von CD-Zuspielungen vertreten lassen. In zwei Wochen beim Finale gelten solche Tricks dann nicht mehr.
Den Geist der Veranstaltung schön auf den Punkt gebracht hat die Band Vitrine 7 aus Tirol. Gegen "Massenkonsum und das System" richtete sich ihr Song nach Eigendefinition. Gut, dass die entsprechenden Künstlerinterviews mit Moderator Mathias Zsutty immer vor dem jeweiligen Song stattgefunden haben: hat sich das Publikum seine Rauch- und Getränkepausen nach dem eigenen Geschmack einteilen können. Das Bühneninventar war da weit weniger flexibel aufgestellt. Marilies Jagsch, Fritz Ostermayer und der Vorjahressiegersänger von Rupert's Jazz Construction, waren als Juroren total der Vollständigkeit verpflichtet und haben sich tapfer durch schweizerdeutschen Ragga (Dodo), Gangsterrap-Parodie (MC Max New M Eggs) oder ironischen Alpenboogie (Billy G.a.h. Knabenquintett St. Veit) kritisiert.
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Dass vieles, was da auf der Bühne passiert, bizarr wirkt, hat aber nichts mit den auftretenden Bands zu tun. Der Protestsongcontest probiert auch in seiner Auflage den abenteuerlichen (weil unmöglichen) Spagat zwischen Protestlied und Wertungsexzess. Dazwischen liegen so viele Unvereinbarkeiten, Apfel und Birnen, Dos and Don'ts, dass sich die Bretter vorm Kopf nur so biegen. Darf Protest lustig sein? Wogegen kann man in unserer Gesellschaft noch protestieren, ohne gegen Spiegel, Wände und Windmühlen zu laufen? Wie sinnvoll ist institutionalisiertes Aufbegehren? Und was ist überhaupt Protest?
Trotzdem oder gerade deswegen ist der Protestsongcontest die vielleicht superste und aberwitzigste Veranstaltung im FM4 Schulkalender 2009. Weil's eh schon wurscht ist. Weil Dagegensein der einzige Antrieb ist, aus dem Kreatives entstehen kann. Und weil hinter allen Masken, Plattitüden und Verschwörungen jeder Protest seine Richtigkeit hat, und sei er auch noch so reaktionär wie Meisis Anti-Ghettoblasterhandysong.
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Weil's eh schon wurscht ist
Hauptsache dagegen!
Alle 25 TeilnehmerInnen des Vorfinales zum Anhören und Download
Allein schon der Angabetext erlaubt fast jedes Format. In den letzten beiden Jahren hat sich total meta der Protest gegen den Protest durchgesetzt. Mieze Medusa fand 2007 "das ist nicht meine Revolution", und Rupert's Jazz Construction räumten 2008 mit dem Mythos auf, dass früher (1968 ff.) alles besser war. Im Vorfinale jedenfalls kristallieren sich schon mindestens zwei Publikumsfavoriten heraus. Das Ski-Schuh-Tennis Orchester ist zumindest im Haus der Begegnung eine Mogelpackung, weil der Sänger allein antanzt. Der Manfred Pranger des nueva canción, der Funny van Dannen der Flyschzone, hat mit seinem Testbericht aktueller Jugendsubkulturen die Demo auf seiner Seite. Würden die Automatencasinos zwischen Kardinal-Nagl-Platz und Altem Platz Wetten auf den Ausgang des Protestsongcontests annehmen, hätten auch The I Fratelli Ramoreo Quoten wie das Team von CSI NY. Der Bandname klingt zwar nach schlecht übersetztem Pizzeria-Italienisch, dafür können die beiden Kärntner ganz gut Slowenisch singen und treten den Beweis zur Melodie von Falcos "Junge Römer" an. Denn: Junge Kärnter wählen anders, als die anderen.
Weitere Infos:
Hipster-Folk gänzlich ohne Bart präsentiert Der Nino Aus Wien, dessen "Spinat" Chiffre für das Elend und das Böse schlechthin ist. Ebenfalls im Finale stehen Squishy Squid (bester new waviger Gestus zwischen Angst und Boredom), Tanaka (beste Bühnenshow mit Molotowcocktails aus dem Pennymarkt Sackerl), Die Söhne der Liebe (bestes und leider einziges Saxofon auf der Bühne), das Erste Wiener Heimorgelorchester (okay, Mozart wird in Köchel gemessen, aber Kraftwerk?), Dodo feat Steff La Cheffe (beste Verwendung von genitalassoziiertem Vokabular in Schweizer Mundart), die Controverse und MTS feat. NomadEE.
Die FinalistInnen im Überblick
- Der Nino aus Wien: Spinat Song
- Die Controverse: Alles wird gut
- Die Söhne der Liebe: Paranoia
- Dodo presents feat. Steff la Cheffe, Knackeboul, Namusoke, HmK & DaaWue und Dabu Fantastic: Plan B (Allstars Remix)
- EWHO (Erstes Wiener Heimorgelorchester): Widerstand ist Ohm
- MTS feat. NomadEE: Großer Bruder
- Ski-Schuh-Tennis-Orchestra: Ode an die Jugendsubkultur
- Squishy Squid: Langeweile
- Tanaka: Lied von der vertagten Weltrevolution
- The I Fratelli Ramoreo: Young Romance
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