Erstellt am: 30. 1. 2009 - 16:19 Uhr
Mick Harvey verlässt die Bad Seeds
Wir wissen nichts, wir unken nur
Neulich in der Mailwelt von FM4 entspann sich folgendes Gespräch:
Susi Ondrusova: "Mick Harvey verlässt Nick Cave And The Bad Seeds - Gründungsmitglied verabschiedet sich nach 25 Jahren von der Band - "aus verschiedenen persönlichen und geschäftlichen Gründen", Story anyone?
Robert Rotifer: Das ist jetzt genau die Frage, bringen wir solche News? Ich bin grundsätzlich schon dafür, obwohl es hier abgesehen von der Weitergabe der Meldung halt wenig zu sagen gibt... Außer, dass halt doch offensichtlich Warren Ellis Harveys Rolle übernommen hat und die Zusammenkunft nach Grinderman offenbar den alten Kern der Band zerbrochen hat.
Aber das denken sich die Fans eh, und den anderen is' es wurscht, oder? Was sagt ihr?
SO: Ich bin ja großer Warren Ellis-Fan und kann Mr. Harvey nicht so einordnen, würd ihm sicher auch unrecht tun, wenn ich zusammenfassend sag: "mir wurscht, Warren rules".
Boris Jordan: Ich denke ja, dass das ein Endpunkt des Umbaus der Bad Seeds ist, der damit begonnen hat, dass Cave und Harvey nach dem Abgang von Blixa Bargeld - statt diesen durch einen von 100 Noise Gitarristen zu ersetzen - den Rest der Band verdoppelt hat (2 Drummer, 2 Keyboarder), bis es ein komisches Soul-Hybrid wurde. Ich hatte das in Wiesen gesehen, ich mochte das nicht, es war ohne Magie. Das war vielleicht sogar Cave selber zu fad geworden und er ist mit den Bärtigen in seinen "Boy's Club" (Harvey) Grinderman geflohen. Auf diese Frage, warum man die Bad Seeds zu Tode umgebaut / aufgeblasen hat und somit auf den Kernsound (Wydler, Harveys akustische) verzichtet hat, wollte Harvey im Interview mit uns letztes Jahr nicht eingehen. Die Jungs haben wohl auch viel Frust, weil sie nicht mehr trinken dürfen ...
RR: Ich glaub das Kernthema ist die beendete, 35 Jahre währende Jugendfreundschaft (obwohl, wer weiß, vielleicht sind sie eh noch Haberer)
SO: "O brother, buy me one more drink, I'll explain the nature of my pain, Yes, let me tell you once again, I am the captain of my pain…"
RR: Mir hat der Cave ja vor Erscheinen der letzten Bad Seeds-Platte gesagt, dass Harvey neben Ellis eine neue Rolle hat finden müssen, und dass er sie in seiner treibenden Akustischen gefunden hätte. Man kann das aber im Kontext so einer elektrischen Partie auch als Herabsetzung seines Rangs betrachten. Wir haben die Meldung, wir unken, was sie heißen könnte. Weil wirklich wissen tun wir's ja nicht (verweise zum Beispiel auf Blixas Abgang, wo Blixa angeblich selbst gestreut hat, er habe wegen der grassierenden Spießigkeit die Band verlassen, und Cave damit konfrontiert ganz empört dementiert hat, dass Blixa sowas je gesagt haben könnte).
BJ: Du, Robert, hattest mir doch Caves Backstage-Gerücht erzählt, dass es mit der Trockenheit von Cave zusammenhing, dass der Wodka-Vernichter Bargeld nicht mehr in die Band passte. Ich tendiere immer dazu die Macht der Drogen (und des Alkohols) zu überschätzen, aber ähnliches würde auch zu "Ende einer Männerfreundschaft" passen. Und: Harveys große Kunst,- neben dem anfänglichen, grandiosen, dilettantischen Akzentschlagzeug, das dann, als der damals beste Drummer der Welt, Thomas Wydler ganz dazu kam, keinen Sinn mehr hatte - find ich, war ja genau diese treibende Protest-Akustische. Dem Elektrischen (o.k. dem "lead") hatte er sich ja schon als 17-Jähriger in der Birthday Party untergeordnet, als Rowland S. Howard mit der Sägesirene dazugekommen ist. David, was meinst du? Traurig um den Abgang oder froh, dass aus den Bad Seeds die Dirty Three werden?
RR: Hab ich das so gesagt? Kann schon sein, es ist ja eine lange, lange Weile her. Sechs Jahre? Fuck... Übrigens sollte wohl erwähnt werden, dass auch ein neues Grinderman-Album im Köcher ist. Weiß nicht, ob das dem Herrn Harvey so gut gefallen hat, von den dicken Kumpeln seines alten Freunds zwischendurch wieder ausgeschlossen zu werden. Wie gesagt, ich unke!
BJ: Ich hatte überspitzt formuliert. Einer von beiden darf jedenfalls mehr trinken als der andere, daran erinnere ich mich... Leider mag ich selber trotz Harvey / Wydler-Verehrung ja Grinderman hundert Mal lieber als den Cave (und auch Harvey) der "The lyre of orpheus" phase, von Harveys Solozeug nicht zu reden.
David Pfister: Anlässlich Mick Harveys Album 'One Man's Treasure' aus dem Jahr 2005 hab ich folgendes auf der alten seligen FM4-Seite geschrieben: "Der Mann ist ein stiller Monolith. Er hat die alternative Rockmusik maßgeblich mitgestaltet, auf unzähligen Tonträgern mitgewirkt - fühlt sich aber trotzdem in der zweiten Reihe am wohlsten. Genießt es, still die Fäden zu ziehen und mitunter seine Marionetten geschickt zu dirigieren, wenn nicht sogar manchmal zu manipulieren."
Und ja, Cave hat in seiner nüchternen Verzweiflung alles Undogmatische sektenguruartig ausradiert und auf Linie gebracht. Das macht musikalisch und textlich sicher Sinn. Cave als strenger Prediger macht auch 2009 noch eine gute Statur. Seine konservative Gospelmusik ist herrlich, ist aber Meter vom Bad-Seeds-Universum abgerückt. Und das hat nur bedingt mit dem Älterwerden zu tun. Weil Bargeld schafft es ja auch recht anständig, älter zu werden. Und noch dazu immer lustiger zu werden. Cave hat einfach keine Lust mehr Rücksicht zu nehmen und musikalische Visionen in Ansätzen demokratisch zu erarbeiten. Wenn er dazu Lust hat, gründet er sich inzwischen ja eine Zweitband. Das wird Harvey einfach nicht mehr ausgehalten haben. Der Mann hat viel zu wenig Respekt bekommen. Kein Wunder, dass es ihm reicht. Interessanterweise war Rowland S. Howard vor einiger Zeit Special Gastmusiker auf einem Cave-Konzert...
BJ: Was glaubt ihr nun, was mit Harvey weitergeht? Crime and the City Solution Wiedervereinigung? Nach Tribute-Platten für Hazlewood und Gainsbourg nun eine für Glenn Campbell? Jimmy Webb? Bert Brecht? Arrangeur für Hollywood? Oder fristet er sicher sein Dasein als Backkatalog-Verwalter?
SO: Er wird Sachverwalter der Vergangenheit.
RR: Ich bin mitschuldig, die nicht ganz so mitreißende letzte Solo-Platte 2007 nicht mehr als ein, zwei Mal in meiner Sendung angespielt haben. Vielleicht war das ungerecht. Vielleicht würde auch ein bisschen Zorn seinem Werk ganz gut tun. Ich finde, er sollte mit Robert Forster eine Supergroup gründen.