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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 1. 2009 - 17:06

Journal '09: 30.1.

Über die pervertierte Purification.

Wenn die Regisseurin/Autorin Katharina Weingartner ein Projekt vorlegt, dann ist eines garantiert: Haltung.

Dass Sneaker Stories, ihre neue Doku über Streetballer auf drei Kontinenten, deren NBA-Träume und die direkten Einflüsse, die das Marketing von Nike drauf nimmt, trotzdem eine Geschichte geworden ist, in der kein einziger "Experte", kein außenstehender Gutmeiner und nicht einmal ein sich selber via andauernder Making-Of-Haftigkeit selber in die Story drängendes Team den direkten Blick des Zuschauers auf die Protagonisten verstellt, ist hohe Kunst und ein großes Verdienst.

Und es ist auch ein Resultat vieler Erfahrungen, wie Katharina nach einer Vorführung am Dienstag, die in eine kleine Diskussions-Runde mündete, erzählt. Denn natürlich will jeder Filmemacher, der sich der echten Dokumentation annimmt (im Gegensatz zur geskripteten Doku der Marke Seidl/Glawogger, bei der das Wollen des Autors die Richtung zu 100% bestimmt), dass die Grund-Intention, warum man sich eines bestimmten Themas annimmt, so klar wie möglich rüberkommt.
Und da macht man schon einmal zeigefingermäßige Zugeständnisse.

Das mag in Weingartners bitterem Film über die Zustände in der privatisierten US-Gefängnis-Industrie oder in anderen früheren Projekten noch der Fall gewesen sein - Sneaker Stories (ihr gemeinsames Projekt mit Produzenten/Lebens-Partner Markus Wailand) ist frei davon; und funkioniert gerade, weil niemand erklärt, dass Nike böse oder nicht ganz so böse ist.

sneaker stories plakat

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Die hochproblematische Rolle, die die Traumfabrik im Leben der Unterprivilegierten in Wien-Margereten, Red Hook-Brooklyn und Nima-Accra, spielt, offenbart sich in den Alltags-Dialogen der Protagonisten ganz von selber. Und selbst wenn ein Streetballer Nike angreift, findet sich ein anderer, der relativiert.

Mit anderen Worten: Kathi Weingartner, die ich über einen auf- und abwogenden Zeitrahmen von gut 20 Jahren als aufmüpfige, sensible, unverschämte, klug verknüpfende, unmäßige, begeisterungsfähige, mitreißende, also als grandiose und schwierige Freundin/Streitpartnerin/Gegnerin kenne/anpflaume/schätze, ist in einer in sich ruhenden Mitte angekommen. Formal. Inhaltlich bleibt sie und ihr Werk rastlos - wie es auch sein muss.

Das hat sich bei der erwähnten Diskussion exemplarisch gezeigt. Die Regisseurin sah sich da nämlich Kritik ausgesetzt, die mehrfach jenseitig war, reagierte aber mit einer Eselsgeduld - die sie wohl auch aus der Tatsache schöpfen kann, dass sie früher schon mal gerne auch selber so argumentiert hat.
Ein Ansatz war etwa folgender: Die Kamera würde einer wirklich wertfrei sein wollenden Dokumentation doch automatisch im Weg stehen - der Versuch Wirklichkeit abzubilden wäre also gescheitert.

Nun ist es das Wesen von Film, dass die Kamera in etwas Unberührtes eindringt, also per se verfremdet - der Vorwurf gleicht also dem, dass z.B. der Mensch an sich Wasser lassen muß. Derartig pseudo-dekonstruktivistisch vorgetragene Platitüden dienen ohnehin nur einem Ziel: ein Projekt mit Haltung mit dem Ziel anzugreifen, damit auf die eigene, noch viel größere und bessere Haltung aufmerksam zu machen. Intellektuelle Schwanzvergleiche, im gesellschaftspolitisch alternativen Sektor leider unausrottbar.

Eine andere Wortmelderin etwa lehnte den Film ab, weil der sich nicht mit dem weltweit noch viel verbreiteteren Fußball befasst hätte. Ja, und? Unterliegen avancierte Projekte engagierter Menschen einer basisdemokratischen Abstimmung über ihr Thema? Wenn Kathi aufgrund ihrer Kenntnisse von Brooklyn und Streetball sich als berufen fühlt darüber zu sprechen/zu drehen statt über was anderes - wer sollte das warum beeinspruchen?

Gestern schrieb Robert Rotifer in seinem Beitrag zum Thema Musikjournalismus über das Phänomen der Philister, die sich sowohl an den Problemen der zunehmend mühsameren Produktionsbedingungen ergötzen als auch sich als Anteils-Zeichner an öffentlich geförderter Kultur betrachten - komplett illegitimer, künstlerisch absurder und rein neoliberal zu argumentierender Unfug.

sneaker stories plakat & kino-tür

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Da sich populistisch verbrämte Ansichten nicht um die Ideologie scheren, kommen die letztlich selben Gedankenlosigkeiten nicht nur aus dem sich auf gefühlte Mehrheiten stützenden gesunden Volksempfinden, das Kunst/Bildung/Meinung als Luxus hinstellt, dessen Mäzen sie selber wären, sondern auch aus Teilen der hyperalternativen Ecke, wo das Diktat einer pervertierten Purification auch Naturgesetze außer Acht lässt, wenn sich damit Distinktionsgewinn erzielen lässt.

Natürlich kann Sneaker Stories dieses inhaltlich unendlich naive Geraunze egal sein - da sich im eh schon kleinen Österreich ohnehin nur ein verschwindender Prozentsatz (2, 3 oder 4?) an Menschen mit Riskantem, mit Avanciertem auseinandersetzt, ohne den diesbezüglich kulturell aus seiner Blockwart-Ära vererbten Naserümpfer auszusparen, sind diese Scharmützel jedoch zumindest eine Erwähnung hier wert. In den Mainstream-Medien, die diesen Film ebenso wie die meisten anderen (siehe Spielmann, Götz, in der medialen Rezeption vor der Oscar-Nominierung) maximal als Randerscheinung beschnüffeln, würde man überhaupt nicht verstehen, wovon die Rede ist.