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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

1. 2. 2009 - 11:16

Die verdammte Vergänglichkeit

Sehr persönliche Notizen zu David Finchers "The Curious Case of Benjamin Button".

Als ich unlängst in Berlin die Pressekonferenz zu diesem Film besuchte, kam ich auch mit einigen deutschen Kollegen ins Plaudern. "Ich bin ziemlich enttäuscht", meinte ein junger Bursche mit einer Wollhaube, "diese spezielle Art von Fantasykino hätte Tim Burton sicher besser hinbekommen als David Fincher."

So können die Oberflächen täuschen. Denn "The Curious Case of Benjamin Button" ist, trotz einer Unmenge virtuoser Digitaleffekte, mancher märchenhafter Sets und bizarrer Ideen, alles andere als ein Fantasyfilm.

"Also bitte", entgegnete ich meinem Gesprächspartner, "es geht doch im Grunde in diesem Streifen um ganz simple und sehr reale Dinge. Es geht ums Altwerden. Um die verdammte Sterblichkeit, der wir einfach nicht entrinnen können."

Mein Gegenüber blickte mich mit großen Augen an. "Vergiss einen Augenblick den ganzen visuellen Zirkus, die Starbesetzung, den Mann im Regiestuhl, dem wir auch 'Seven' und 'Fight Club' verdanken", platzte es aus mir raus. "Das ist der vielleicht beste Film zu einer Angelegenheit, die uns alle betrifft, zur Vergänglichkeit."

Natürlich verstehe ich das folgende Schulterzucken des blutjungen Berliner Journalisten. Und ich kann es auch nachvollziehen, wenn sich ein Großteil der FM4-Zielgruppe an dieser Stelle mit einem Gähnen abwendet.

Denn zugegeben sind sehr persönliche Erfahrungen schuld daran, dass mich "The Curious Case of Benjamin Button" so besonders berührte. All die Begräbnisbesuche, die sich in den letzten Jahren häuften, der Verlust von Familienmitgliedern und Freunden, die Krankheiten im Bekanntenkreis, die Gespräche mit meinem alleinlebenden Vater. Die Unerbittlichkeit, mit der plötzlich überall Uhren zu ticken beginnen, Haare ergrauen, Erinnerungen nachlassen, Ringe unter den eigenen Augen nicht mehr verschwinden.

Brad Pitt in "Der seltsame Fall des Benjamin Button"

Warner Bros

David Fincher macht diese Begrenztheit unserer Existenz, über die wir im Alltag möglichst nie reden, weil wir bloß nicht selbstmitleidig, unsouverän, uncool wirken wollen, mit einem schlichten Kunstgriff überdeutlich: Sein Protagonist erlebt, frei nach einer Parabel von F. Scott Fitzgerald, das Leben im Rückwärtsgang.

Benjamin Button wird am letzten Tag des Ersten Weltkriegs als steinalter Pensionist im Körper eines Säuglings geboren. Die Mutter stirbt bei der Entbindung, der schockierte Vater setzt das verstörende Baby aus.

Für Benjamin, der immer jünger wird, beginnt eine Odyssee, die ihn von einem Seniorenheim in New Orleans rund um die Welt führt und irgendwann wieder zurück. Viele Menschen trifft er dabei auf seiner Reise, nur wenige kommen ihm aber wirklich nahe. Einzig die junge Daisy, die Benjamin als runzeliger Miniaturgreis kennenlernt, wird zu seiner Seelenverwandten, mit der er immer wieder in Kontakt tritt.

Wenn die beiden im letzten Drittel dieses zweieinhalbstündigen Epos für eine beschränkte Phase aufeinandertreffen, der sich unaufhaltsam verjüngende Drifter und die alternde Tänzerin, wenn Benjamin und Daisy dann einige traumhafte Monate genießen, legt sich endgültig ein melancholischer Schleier über den Film.

Alles wird auf einmal völlig nebensächlich: die erlesenen Kameraeinstellungen und faszinierenden CGI-Zaubereien dieses opulenten Bilderbogens, die unzähligen historischen Anspielungen, die von der Weltwirtschaftkrise und dem Zweiten Weltkrieg über die Sechziger und Siebziger bis in die Gegenwart reichen.

Denn zumindest für mich reduzierte sich an dieser Stelle "The Curious Case of Benjamin Button" auf ein Thema: Jede Minute, die Benjamin und Daisy haben, jeder kostbare schöne Augenblick, den auch wir erleben, ist fragil, einmalig, unwiederholbar.

Brad Pitt und Cate Blanchett in "Der seltsame Fall des Benjamin Button"

Warner Bros

Für manche mag diese Erkenntnis, auf die David Finchers Film hinausläuft, durchaus banal und platt wirken. Mich macht sie mehr fertig als sämtliche Desaster der Welt- und Innenpolitik, als alle globale Ungerechtigkeiten und Finanzkrisen zusammen.

Ich gehöre nämlich zu jenen Menschen, die immer an das Ablaufdatum denken, die gar nicht anders können. Bei jedem Urlaubstrip oder jeder Bandtour sehe ich beim Einsteigen in den Bus oder den Flieger schon das Ende vor mir. Den finalen Sonnenuntergang. Die Verabschiedung bei der Rückkehr.

Je außergewöhnlicher der Moment, desto mehr wird mir seine Flüchtigkeit bewusst, desto mehr hasse ich die Zeit, die unerbittlich dahinrast. Jede euphorische Erfahrung kann die letzte sein, jede Minute des Glücks ist Sekunden später Geschichte.

Gleichzeitig - und das ist eine andere fundamentale Wahrheit, die unter der pittoresken Oberfläche dieses Films schlummert - sagt uns "The Curious Case of Benjamin Button", dass diese bestimmten kurzen, intensiven Momente jede Anstrengung wert sind. Weil sie alles sind, was wir haben. Da kommt nichts anderes mehr, kein strahlendes Licht, keine Erleuchtung.

Stimmt schon, ich hätte hier auch ausführlich über andere Aspekte dieses Films schreiben und schwärmen können: die hypnotische Ruhe, die der einst für seine Rasanz und Brachialität berühmt gewordene Fincher auch schon in seinem Vorgängerstreifen "Zodiac" zelebrierte. Das schauspielerische Understatement von Brad Pitt in der perfekten Maske des Benjamin. Die wieder einmal wunderbare Cate Blanchett, die sich als kokette Daisy in mein Herz tanzte. Die fabelhafte Tilda Swinton in einer essentiellen Nebenrolle.

Aber das ist es nicht, was mich seit dem Kinobesuch weiterhin verfolgt. David Finchers neues Werk bringt, auch wenn das unfassbar pathetisch klingt, den ganzen Sinn des Lebens auf den Punkt. Und das ist nicht wenig für einen Hollywoodstreifen.

Brad Pitt in "Der seltsame Fall des Benjamin Button"

Warner Bros