Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Faust im Nacken"

Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

28. 1. 2009 - 19:04

Faust im Nacken

Das Filmfestival Rotterdam verteilt Schläge und präsentiert Jean-Claude Van Damme und Charles Bronson

Wer hat an der Uhr gedreht? darf man sich fragen, wenn man frühmorgens in einem der ledernen Ohrensessel der Rotterdamer Central-Bar Raum und Zeit vergessen, aber immerhin schon wieder ein gefülltes Glas in den Händen und eine brennende Zigarette zwischen den Fingern hat und meint zu wissen, in welche Straßenrichtung man später gehen muss, um dann irgendwann in der angemieteten Dreipersonenwohnung anzukommen.

Was für eine abenteuerliche Zeit in dieser Stadt, die im vorigen Jahrhundert zerbombt und wiederaufgebaut worden ist:, wenig findet man hier von dem Charme Amsterdams mit seinen engen Gassen und roten Ziegelwänden. Rotterdam wirft einem afrikanische Kosmetika und Bollywood-DVDs, Surinam-Fast-Food und Belegde Brodjes sozusagen hinterher; die anonymen Glastürme, die Vielbuntheit dieser so reizend reizlosen Stadt, in der man noch an jeder Ecke die Spuren der kolonialistischen Vergangenheit spüren kann, all das scheint wie gemacht für das Filmfestival Rotterdam. Hier sieht man alles und nichts. Aus alt mach neu und aus neu wird ganz neu. Zack! Zack!

Blutveilchen und Schmerzrosen

Schau dem Trend beim Wachsen zu! Wow: neue Männer braucht das Kino und hier werden sie angeliefert. Mabrouk El Mechri, bisher noch nicht nennenswert in Erschienung getretener Franzose mit algerischen Wurzeln zeigt uns Jean-Claude Van Damme in J.C.V.D.

Filmfestival Rotterdam

Mabrouk El Mechri, Regisseur von J.C.V.D.

Aus dem Pop sprießt das Leben: die Muscles from Bruxelles schieben sich traurig, desillusioniert durch ein schwarz-weißes Belgien. Und dann kommt Jean-Claude, bei dem es beruflich gerade gar nicht so super läuft, bei dem es privat gerade gar nicht so super läuft, zu einem Banküberfall hinzu und reißt sich nicht das Leiberl vom Leib und macht auch nix von seinen Kickbox-Kunststücken, für die ich ihn jahrelang so verehrt und angehimmelt habe, zeigt uns nicht seine Sehnen und Muskeln, also diesen Körper eines griechischen Gottes (und wäre Van Damme fünfzig Jahre früher geboren, dann wäre er zum Star von Kolossalfilmen geworden, ganz sicher!), sondern ist überrumpelt und verängstigt und verstört, sozusagen so wie du und ich in der Situation wären. Was ist das für ein großer Film! Eine essenzielle Arbeit zu Ruhm und zur Vergänglichkeit von Ruhm in diesen unseren Zeiten, ein Metafilm ohne Kunstgewerblichkeiten und Prätention.

Bizepsberg und Muskeltittentanz

Die Helden der Achtziger, das wissen wir ja schon, die sind tot. Nur der coole Jason Statham zieht noch eine Spur durch das Gegenwartskino, die ein bisserl was erahnen lässt von der lässigen Lakonie und der leichtfüßigen, bleifaustigen Weltverbesserung im Damals. Heutzutage muss ein Michael Clayton korporatistische Verschwörungen aufklären und vor Gericht für Gerechtigkeit sorgen, die PC gibt den Ton an; nur Indiana Jones darf noch stereotype Genossinnen und Genossen verdreschen und auspeitschen. Ansonsten ist alles klarer als klar, alle Komplexität der Welt soll durchscheinen selbst im noch so dummen Action-Reißer. Und genau jetzt brechen diese umformulierten Schlagmaschinen wieder durch im Kino.

Männer auch wie Charles Bronson, nicht der Schauspieler aus "Death Wish", sondern der britische Langzeitgefangene und Parade-Psychopath Michael Gordon Peterson, der sich als Alias den Namen des schnauzbärtigen US-Actionmimen gewünscht hat.

Boxer im Scheinwerferlicht

Filmfestival Rotterdam

Charles Bronson wärmt sich schon mal auf

Nicolas Winding Refn, der talentierte Regisseur der "Pusher"-Trilogie hat als Däne die Lebensgeschichte des Briten inszeniert, ohne jedwede Psychologisierung, sondern als Aneinanderreihung von ins Groteske hinein gesteigerten Gewaltminiaturen, die den Zuseher mit einer unbequemen, schon aus "A Clockwork Orange" bekannten Frage konfrontierten: Wie geht eine auf humanitären Grundsatzwerten aufgebaute Gesellschaft mit so einem asozialen Schläger wie Bronson um? Die Antwort ist nicht einfach, der Film ist es auch nicht und wird mit seinen vulgären Figurenzeichnungen und seiner schamlosen Pop-Räudigkeit für einiges Aufsehen sorgen: wenn er denn auch in Österreich zu sehen sein wird. Hoffen wir mal das Beste.

Filmfestival Rotterdam

Nicolas Winding Refn inszeniert das Leben des Langzeitgefangenen Charles Bronson: viel Farbe, viel Blut

Korea-Knaller

Dass Yang Ik-Junes Breathless bei uns zu sehen sein wird, ist eher unwahrscheinlich, es sei denn die Viennale schnappt sich dieses herausragende Debüt des jungen Südkoreaners, das so mühelos und charmant hin- und hergleitet zwischen Gangsterballade, Screwball-Komödie und Melodram.

Filmfestival Rotterdam

Breathless-Regisseur Yang Ik-June

Erzählt wird von einem weiteren Gewalttäter und Choleriker, einem Small Time Crook und Geldeintreiber, der nichts lieber macht, als die verängstigten Schuldner grün und blau zu prügeln. Den Rest des Tages vertreibt er sich mit Beleidigungen und anderem asozialem Zeitvertreib, bis er eines Tages im Vorbeigehen ein Schulmädchen anspuckt und die ihm dann mit offener Hand ins schweinsbackige Gesicht schlägt. Ja, die Liebe tut weh und der Soziopath erwärmt sich für die kratzbürstige, junge Frau. Es sind die schönsten Momente dieses schönen Films, wenn sich die beiden gegenüber sitzen und Vulgaritäten an den Kopf werfen, aber innen drin doch voller Liebe und Zuneigung füreinander sind, nur darauf warten, dass sie endlich aus den Schalen von „Gangster“ und „Girl“ ausbrechen darf. Der Moment kommt dann, wenn „Breathless“ endlich in ein handfestes Melodram überführt wird, die tragischen Lebensgeschichten der Figuren mehr und mehr an Form gewinnen und sich Yang, trotz der Vielzahl an einzelnen Charakteren, nicht verläuft in seinem ersten Langfilm. Das sollte allein schon als Qualitätsbeweis für diesen jungen Regisseur taugen, der drauf und dran ist zum neuen Hot Shit des koreanischen Kinos zu werden.

Meine Güte, so viel gesehen hab ich in den letzten Tagen. Hab gar nicht die Zeit, das hier jetzt alles - so ausführlich wie es sein müsste - zu besprechen. Ich glaube, einen Text schaff ich noch vor meiner Rückkehr nach Österreich. Jedenfalls hoffe ich das. Wenn dem so ist, dann steht sicherlich was zu Shinya Tsukamotos Nightmare Detective 2 drin.