Erstellt am: 28. 1. 2009 - 22:24 Uhr
Glasvegas: übertrieben, ernsthaft, gelungen.
Als ich in einer stressentladenden Situation einmal „Geraldine“ aufgelegt habe und mich im taktvollen Akkordaufwasch von vorne nach hinten und zurück verneigt habe, meinte ein ungarischer Kollege über den DJ-Pult gebeugt entsetzt: „Why do you play this?“ Dann folgten Worte wie “rubbish?? und “taste?? und die rhetorische Frage „You surely do like the White Lies as well???. Derselbe Kollege hat mir dann das neue Album der 1990s zugesteckt und nennt alle offiziell erhältlichen Mogwai-T-Shirts sein eigen. Während die White Lies das Songschreiben – wenn man „es“ auf stimmige Akkordfolgen reduziert – zwar perfekt beherrschen, aber im Grunde vom Banddasein absolut uninteressant („Wir möchten so groß werden wie U2“ oder „Ich lese nicht so viele Bücher um beim Schreiben nicht beeinflusst zu werden!“) sind, kochen Glasvegas eine andere Suppe.

Steve Gullick
Wer schon mal über „Daddy´s Gone“ oder „Geraldine“ gestolpert ist und mit demselben entsetzten Gesicht einen Satz mit „rubbish“ und „taste“ gereimt hat, kann vielleicht eh nicht mehr überzeugt werden, denn Glasvegas sind eine Band die man entweder liebt oder hasst. Die Geschmäcklerischen Argumente auf der Daumen-hoch-Seite sind ident mit den geschmäcklerischen Argumenten der Kontra-Seite. Oder: Der Satz „Glasvegas sind auf Tour!“ kann ebenso als positive Reaktion auf ihren Erfolg gelten, wie auch als „Na wenigstens laufen sie mir nicht über den Weg!“ übersetzt werden.

Sonia Grace
Im Glasgower Club King Tut´s Wah Wah Hut hat Alan McGee schon die Gallagher-Trüffel ausgegraben. Am selben Ort hat er 2006 ein Konzert von Glasvegas besucht, ob geplant oder zufällig ist nicht überliefert. 2006 waren Glasvegas eine Band mit einer Schlagzeugerin, die ein Jahr Zeit hatte sich an ihrem Instrument zu Recht zu finden - um sich dann für das Spielen im Stehen zu entscheiden.
Die ungeschliffenen Ecken und Kanten, der verzerrte Wahwah-Sound, der eine Nähe zu The Jesus&Mary Chain vermuten lässt, haben es dem Creation-Records Gründer angetan. Und nicht nur ihm. Es folgte eine Single, die vorprogrammierten NME-Erwähnungen, die „Sound of 2008“-Nominierung der BBC, die Majors ziehen aufs Schlachtfeld, die Band geht nach New York und das Album wenige Wochen später in die Plattenläden. Es heißt schlicht und einfach wie die Band: „Glasvegas“. Ein Name, der Glanz und Glamour von Las Vegas mit der Bodenständigkeit von Glasgow vereint.
Glasgow ist nicht die reichste Stadt der Insel und als die drittgröße Stadt im Königreich eine Stadt der Kontraste: Industrieflair trifft auf Jugendstil Architektur, Autobahnabfahrt trifft auf People´s Palace in Glasgow Green. Arbeiterstadt trifft auf Artschool und ihre Studenten. Glasgow East End verhält sich zu West End so wie Donaustadt zu Boboville. Wo die Barrowland Markets („Barras“) beginnen könnte man (lange und) weiter zum Celtic Fussballstadion laufen, dort wo sich River Clyde im Halbkreis windet, führt die Dalmarnock Bridge nach Hause zu Glasvegas.
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Oft bestätigen Bands aus Schottland, dass gerade durch die Entfernung zur Hype-Hochburg London die Szene in Glasgow mit einer eigenständigen Infrastruktur wachsen konnte. Alan McGee war überrascht, dass er in Glasgow eine Band gesehen hat, die ihn begeistert hat und nicht wie eine „wee version of The Pastels“ war, er war auch überrascht mit welchem Stil sie ihn beeindruckt hat. "Best band since The Jesus&Mary Chain – which was a long time ago. It´s a mix of Mary Chain and Motown!??
60ies sweetness gepaart mit trostlosen Texten. Ein reiches an Poplärmen beladenes Soundgerüst also, die Spektor´sche Idee von Wall Of Sound und ein 99prozentiges Mitsing-Potential (watch Youtube), was kann schon schief gehen eigentlich?
Glasvegas bringen theatralische Themen, wie auf der Straße überfallen zu werden aufs Parkett, wie im spoken word track „Stabbed“ (mit Beethoven im Hintergrund!) Sie schreiben den ultimativen Song über die fehlende Vaterrolle (die Ursache jedes psychologischen Übels bei Erwachsenen) in „Daddy´s Gone“. Freudentränen und Durchatmen beim Lalalala-Teil inklusive.

Sonia Grace
Sie verfassen als scharfe Beobachter ihres sozialen Umfeldes diese Ode an eine Frau namens Geraldine: stellvertretend für alle SozialarbeiterInnen, die sich in der täglichen Arbeit mit Arbeitslosen, vielleicht auch drogenabhängigen KlientInnen aufopfernd um das Wohlergeben ihres Gegenübers kümmert. Sätze wie „When your lost in the deep and darkest place around, may my words walk you home safe and sound!?? schreien Romantik! Romantik! Romantik! Das musikalische Korsett möge dabei auch nach Kitsch rufen, aber Happy End gibt es bei Glasvegas keines. Die Songs dienen der Katharsis und zeigen keine pragmatische Erkenntnis zur (Ver)Besserung auf. Ist auch besser so.
Höre auch „Ist my own cheating heart that makes me cry“ ein Über-Break-Up-Song der die Innensicht des Arschloch-Boyfriends beschreibt: „So this is the grand finale, the crescendo of demise, this is the happy ending where the bad guy goes down and dies? This is the end with me on my knees and wondering why???
Eines kann man Glasvegas sicher nicht vorwerfen: Keine Leidenschaft zu besitzen. Wie es mit der vier Jahre jungen Band weitergeht und ihrem Songschreiber, der eigentlich Fussballspielender Dichter war und in Interviews gerne sagt, er hatte die Melodien und Songs schon im Kopf bevor er zur Gitarre gegriffen hat, bleibt eine andere Frage.
Glasvegas wäre nicht die einzige Band, die im schnellen Erfolg den Boden unter den Füßen verliert und auf ihre Stärken vergisst. Spätestens wenn sich der Sänger und Joe Strummer-Lookalike James Allan entscheidet, aus irgendeinem absurden Grund den schottischen Akzent abzulegen und nach London oder gar New York zu ziehen, werden wir es mit trauriger Gewissheit analysieren können. Dann werden Glasvegas zu „just another rock band“. Jetzt sind sie noch die Band „with just another perfect debut record“.
As in „rekrd“, wie Geraldine sagen würde.