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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

27. 1. 2009 - 18:45

Das letzte Lied

What would you want to play when you're dead? Ein Berliner Sampler beantwortet die letzte der Musikerfragen. Mit missverständlichen Antworten.

Programmtipp!

Mehr zum Sampler Final Song #1 gibts am Dienstag, 27. Jänner, ab 19 Uhr in der FM4 Homebase zu hören.

Die Frage ist so alt wie der Musikjournalismus oder die Starbefragung selbst. Neben der Frage "welche Musik würdest du auf eine einsame insel mitnehmen" - eine Frage aus der Zeit, als es noch einsame Inseln gegeben hat - mussten sich Popstars und Promis die folgende wohl am häufigsten gefallen lassen: "Welche Nummer soll auf deinem Begräbnis gespielt werden?"

Es ist auch eine makaber endgültige, ultimative Frage. Die Frage nach dem Footprint, den man auf der Erde noch hinterlassen haben möchte.

Cover von Final Song #1

Get Physical

Jetzt hat das Berliner Label Get Physical ernst gemacht und 13 DJs und elektronischen MusikerInnen diese Frage gestellt. Das Ergebnis heißt Final Songs#1.

Final Songs#1 ist eine Compilation von 13 sehr unterschiedlichen Titeln, die alle irgendwas mit dem Tod oder der Art des Gedenkens zu tun haben sollen. Entweder die Musik ist besonders getragen oder sphärisch oder zäh oder entrückt oder sie bedient Cherubim oder Styx-Assoziationen oder der Titel ist transzendent oder melancholisch oder rätselhaft oder alles zusammen.

Es stellt sich bei der Frage nach dem letzten Lied auch nicht zuletzt die Frage, was ein Begräbnis überhaupt für eine Veranstaltung sein soll:

Ambient aus zwei Jahrhunderten

Ein Begräbnis kann eine leise, nachdenkliche Veranstaltung sein. Trauer, Erinnerung und das Denken an die eigene Endlichkeit bestimmen die Zeit, die den Überlebenden mit den Toten noch gegeben ist. Das haben sich wohl die meisten KünstlerInnen auf "Final Song" gedacht, und zu solch Vorstellungen von innerer Einkehr passt wohl alles ziemlich gut, was sich unter dem Begriff "Ambient" zusammenfassen lässt. DJ T., Gründer des Groove Magazin und Labelinhaber von Get Physical, hat vielleicht eine Vorgabe gesetzt, indem er als Opener des Samplers die Mutter aller Ambient Tracks zu seinem Abgesang erklärt, Erik Saties 1.Gymnopedie aus dem Jahre 1888.

Coldcut nehmen den Vater des modernen Ambients, Brian Eno. Vielleicht hauptsächlich, weil das Lied (darf man das sagen: Ambient Lied?) den unüberraschenden Titel "an Ending" trägt. Ich gebe zu, den Ambient-Eno nicht auseinanderhalten zu können und unterstelle hier ein Googleergebnis nach Stichwortsuche "Tod".

Engelsstatue auf einem Friedhof

Smitty42 / flickr.com

Origineller hier die Ergebnissuche von Ritchie Hawtin, die ihn zu einem Titel namens "Anmut" geführt hat, was (bewusst oder nicht) etwas transzendent-dekadentes hat, die romantische Ästhetisierung der Leiche, der "Frau in Weiß" als vom Leben entrücktes Schönheitsideal, oder auch den Tanz des Schnitters als schnörkellos unrelativierbaren letzen und daher schönen, anmutigen Akt. Die Britische Drum 'n' Bass DJ Storm, die vor 10 Jahren schon den traurigen Unfalltod ihrer kongenialen Partnerin Kemistry beklagen musste, erfüllt sich schließlich den Wunsch nach einem spröden, leise groovenden, Kontrabass-lastigen Hinscheiden mit dem Drum 'n' Bass-Kollegen Photek und dessen Erstling Modus Operandi.

Pop

Ein Begräbnis kann auch eine romantische Veranstaltung sein. Die Erinnerung an die schönen Zeiten des beendeten Lebens, vielleicht sogar an die Liebe, die zu den Verstorbenen empfunden wurde, wird lebendig und jeder und jede Trauernde sucht und findet eine private Erinnerung, die nur ihr selbst und der Verstorbenen gehört. So etwas drückt sich wohl am besten in Liebesliedern aus. Oder in solchen, die nachdenkliche Themen zum Inhalt haben, aber dennoch wie Love Songs klingen. Hier etwa DJ Hells Wahl von Golden Brown von den Stranglers (vielleicht wegen des makaberen Bandnamens). Ursprünglich eine Huldigung von Heroin oder einer Frau, auf jeden Fall ein Liebeslied, das aber wegen seines Taktwechsels und des berühmten Cembalo-Klangs auch eine gotische Assoziation bereitstellt. Im Übrigen ist das der einzige Hit auf der Compilation. Eine Hit-Compilation mit Begräbnissongs wäre auch etwas merwürdig gewesen. Laurent Garnier möchte das tiefmelancholische "sit down and stand up" von Radiohead - ob hier an "Nimm dein Bett und Geh" gedacht werden soll?

Rock und Jazz

Ein Begräbnis ist der Zeitpunkt der inhaltlichen Auseinandersetzung. Wer bin ich, wo gehe ich hin, war das schon alles? Was passiert nachher? Wird das Atheist/ Christ/ Gläubiger/ Hippie/ Zyniker sein etwa doch nicht der Finalität des Ereignisses gerecht? David Holmes erinnert daran, dass der depressive Brian Wilson mit "Till I Die" 1971 im Alleingang diese Fragen beantwortet und ausgerechnet auf einem Album namens "Surfs Up" veröffentlicht hat.

Grabsteine

grisei / flickr.com

Peggy Lee - ja genau die - stellt sich die "war das alles"- Frage auf "is that all there is". Ein Kohelet’scher Rückblick darauf, wie sinnlos, öde und eitel nicht alles war, an das man sich am Ende doch unvergesslich hätte erinnern sollen, und dass man am Ende nur "einen Trinken und feiern kann", aber sich niemals umbringen, denn der Tod wäre eine ebenso große Enttäuschung wie das Leben. Geschrieben wurde das von einem Duo, das für Lieder, die "Yakety Yak" und "Hound Dog" hießen, weltberühmt wurde. Die Wahl von Francois K., Pharoah Sanders' "Astral travellling", eine atheistisch-esoterische Sicht vom Tod als Reise durch das Weltall ist ein Track mit mutmaßlich autobiographischem Hintergrund: Pharao Sanders' bester Freund, der Jazzwitzbold und Mystiker Sun Ra hatte auch zeitlebens behauptet, er würde vom Saturn kommen, und sein Tod wäre nicht das Ende seines Lebens sondern nur die Rückkehr nach Hause ins Weltall.

Disco

Schließlich ist das Begräbnis auch eine Party. Die letzte vielleicht, aber logischerweise eine möglichst heftige. Das Leben will gefeiert und die Lebensfreude des Toten ein letztes Mal möglichst ausschweifend begangen werden. Parallel zur wienerischen "schenen Leich" oder zu New Orleans'schen Totenorgien fordert DJ Kevin Saunderson für sein Begräbnis einen ausschweifenden elfminütigen Dancefloor-Exzess. Erstaunlicherweise, bei dieser Teilnehmerliste, den einzigen. Und auch einzig der Titel soll daran erinnern, dass wir auf der CD "Final Song" Begräbnisse inszeniert werden. So heißt Cerrones Song der von Saunderson gefordert wird stilecht "Supernature" - handelt allerdings von einem Krieg von Mutanten gegen Menschen.

Rätsel

Grabstein

flickr.com / ME00

Die Originellste Wahl von "Final Song" kommt von Ricardo Villalobos, der ein Lied der chilenischen Widerstands- Folkloristen Inti Illimani auf diesen mondän-städtischen Hipster Sampler gepackt hat. Also eines (um die Archäologie des Anden-Liedguts verdienten) indigenen Kollektivs, das als Symbol im Kampf gegen Pinochet ihren Fixplatz in die WGs der Post 68er des Westens gefunden hatte, und es nie in einen hippen Kontext geschafft hat. Einerseits deshalb (wie hier schon mal bemerkt, hat es nahezu niemand aus diesem Plattenregal Kanon geschaftt, sich in die Zeit nach Punk und Postmoderne rüberzuretten und vielleicht sogar heute wiederentdeckt zu werden), andererseits wegen des Totmusizierens ihrer eigentlich rührigen und vielsagenden Musik durch hunderte, gleich aussehende, Mafiaverdacht auslösende, wollbehemdete Zweiviertelsynkopen-Panflöten- Straßenmusikergangs in mitteleuropäischen Metropolen. Herauszufinden, wovon ihr Lied handelt, ist uns trotz Übersetzung nicht gelungen.