Erstellt am: 26. 1. 2009 - 15:54 Uhr
Journal '09: Montag 26.1.
Ich bin ja recht froh (dieser Anfangssatz kommt mir irgendwie bekannt vor...), dass der Ausgangspunkt für mein heutiges Journal inhaltlich gar nicht kontrovers ist. Denn wie wer Franz Ferdinand vorgestern empfunden hat - das mag jeder so halten wie er/sie will; da hab ich keinerlei Emotionen.
So kann die Sicht auf das Wesentliche, nämlich die prinzipiell-philosophische Komponente die hinter jeder Rezension steckt nicht (oder besser: nur schwer) verstellt werden. Und meiner Meinung nach sind die Rezensionen über den Franz Ferdinand-Auftritt beim FM4-Geburtstagsfest, die in den heutigen Zeitungen erschienen sind, ein exemplarischer Anlassfall, sich einmal näher mit dem Wesen der Popkritik auseinanderzusetzen.
Meiner Meinung nach - das darf hin und wieder erwähnt werden, für Weblog-Unerfahrene und Neuhinzugekommene, die so etwas wie Meinungs-Äußerung in Kombination mit einer weitergehenden Erklärung des Wieso verwirrt, weil die derlei (eigentlich eine der zentralen Aufgaben von Journalismus) aus österreichischen Medien kaum kennen.

blumenau
Die heimische Popkritik,
die österreichische Rezensionskultur befindet sich seit eigentlich immer schon in einer scheinbar niemals endenden Talsohle (man mag der aktuell schreibenden Generation nicht so die gesamte Schuld geben - sie haben ihre Haltung ja ererbt, allerdings auch nie ernsthaft hinterfragt) - und die FF-Kritik, vor allem die im Standard, zeigt exemplarisch die zwei Kardinalfehler auf, die dieses Genre unterjochen.
Schuld ist die (von den Gründervätern der heimischen Popkulturrezension verbrochene) Sucht, eigentlich zu den "Großen", also zur Hochkultur, gehören zu wollen. Das ist in einer Situation wie in Österreich, wo die Hochkultur extreme interne Aufmerksamkeit und unfassbare finanzielle Unterstützung erfährt, zwar verführerisch, aber deswegen noch lange nicht legitim.
Die Hochkulturkritik zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass sie die entscheidenden Informationen weglässt - die werden im inneren Ränkespiel verwendet (dazu später mehr). Deshalb sind heimische Hochkultur-Berichte so losgelöst von jeder Realität, ja sie beziehen nicht einmal das unmittelbare Umfeld (Produktionsbedingungen, Reihen etc.) ein.
Die heimische Popkultur-Kritik hat sich (ebenso wie seine Brüder und Schwestern von Film oder neuer Kunst - nur die Medienkritik verfolgt - aus machtpolitischen Gründen - die exakt gegenteilige Route) seit jeher an diesem unsinnigen Modell orientiert.
Das handfeste Beispiel
Ich will ein deppensicheres Beispiel geben: wenn ich über die Abfahrt in Kitzbühel berichte, dann darf ich selbstverständlich den lächerlichen Promi-Aspekt weglassen (wiewohl das auch die sog. seriösen Medien nicht schaffen - schließlich stehen ihre Verlagschefs samt Politiker-Freunden dort ja deswegen herum, um angelichtet zu werden). Eine "Rezension" der Abfahrt, ohne auf die Umwelt/Wetter-Bedingungen einzugehen, wäre allerdings seltsam; und würde sich der Reporter auf die Läufe von Defago, Walchhofer und Kröll beschränken und alles andere ignorieren, dann würde er zwar der aktuellen Häppchenkultur wertloser Gratis-Medien (und der ebensolchen Rezeptions-Kultur sich bewusst selbst verdummender Konsumenten) entsprechen - eine ernstzunehmende Abbildung des Hahnenkamm-Rennens jedoch kann nicht gelingen.

blumenau
In der Hochkultur-Rezension passiert praktisch immer genau das - und keinen störts. Weils nämlich (da gibts einschlägige Untersuchungen mit unfassbar erschreckenden Ergebnissen...) keiner liest - außer denen, für die es gemacht ist: die Szene selber. Die Hochkultur-Journaille versteht sich nämlich als unabdingbarer Teil dieser Szene (etwas, was in medientechnisch zivilisierten Ländern, USA, UK, Deutschland, so ganz und gar nicht der Fall ist), als Player, als Mitspieler, als Akteur - und nicht als Analytiker.
Das, was wirklich interessant ist, das, was sie wirklich wissen und was die Analyse jeder Aufführung wirklich erhellen würde, das behalten sie für sich - um es karrieretechnisch zu verwenden.
Copycats
Die heimischen Popkultur-Rezensenten kopieren nun die Hochkultur-Kollegen. Und wie bei jeder Kopie geht etwas verloren. Im konkreten Fall nicht nur der Sinn (denn es gibt kein Äquivalent zu den Hochkultur-Futtertrögen, die da angestrebt und auch erreicht werden), sondern auch das nicht verwendete Hintergrund-Wissen.
Deshalb bleiben österreichische Pop-Rezensionen immer so nah am Objekt kleben, dass fast ausschließlich Befindlichkeits-Prosa rauskommen kann.
Das zeigt sich vor allem bei Festivals: ich muss immer lachen, wenn ich in einer Tageszeitung die Rezension eines Auftritts einer großen Band bei einem Festival lese, die so tut, als wär's ein Gig in einer Halle oder sonstwo im Vakuum. Das, was direkt davor oder direkt danach war, kommt nicht vor, die Gemütslage des Publikums existiert kaum, sowas wie Wetter und Außeneinflüsse gar nicht. Diese Rezensionen sind genau wie eine losgelöste Beschreibung der Streif-Fahrt von Klaus Kröll.
Ich behaupte, dass selbst der Rezensent des Innungsblattes österreichischer Klavierstimmer, der nur die Aufgabe hat, die Leistung des Pianisten zu bewerten, schlau genug ist, den gesamten Kontext heranzuziehen, ehe er sich an seine Aufgabe macht. Derlei ist im heimischen Print-Pop-Journalismus nur in Ansätzen möglich: Brigitte Schokarth schafft in ihrer Kurier-FF-Rezension immerhin Bilder, die mit der Atmo und dem Publikum spielen, Samir Köck verliert sich in der Presse in persönlich-poetischen Assoziationen, ohne die reale Umgebung einzubeziehen. Beiden ist aber die Lust am zu beschreibenden Objekt deutlich anzumerken.

blumenau
Karl Fluch im Standard schafft es dann aber tatsächlich, einen Auftritt, der in einem Kontext stattgefunden hat, derart passgenau unter den Quargelsturz zu stellen, als hätte kein einziger Außeneinfluß eingewirkt.
Wäre das, die Herarbeitung eines reinen Konstrukts, ein Kniff, hätte es sicher etwas - leider ist dieses ererbte und unhinterfragte Verzichten auf Kontext, Realität und Verknüpfung dort aber die Regel.
In der letzten Reihe
Dabei tut sich dann der zweite Kardinalfehler auf, auch hier wieder am Beispiel gut ersichtlich, weil ganz offen: es ist nämlich für keinerlei Betrachtung sinnstiftend oder gar besonderlich hilfreich, sich muffig in der letzten Reihe, oder gar in engerem Kontakt mit der Bar herumzutreiben, um das zentrale Idiom von Pop mitzubekommen: den Funken.
Der Funke springt nämlich auf die Backstage-Mitwipper, die Vom-Fenster-Aus-Beobachter, die An-Der-Bar-Lehner nur dann über, wenn sie die emotionale Konstitution eines Duncan Larkin haben - und dieses Glück ist nur den wenigsten von uns gegönnt.
Wer das Fest, die Party (und letztlich ist jedes Konzert eines) mitkriegen will, muss sein Sensorium ausfahren und die Informationen reinsaugen. Und, ja, dazu gehört es auch, dass man sich zumindest für kurze Zeit ins Getümmel wirft.
Für die Nachbetrachtung kann jeder abstraktionsfähige Mensch (und nur ein solcher kann Journalist sein) wieder raus und in sein unbestechliches Analyse-Jackerl schlüpfen.
Wer sich nicht einlässt, kann auch nicht berichten.
Der Theater-Rezensent, der sich nicht auf das Bühnengeschehen einlässt, kann gleich daheimbleiben, das Stück lesen und sich die Bilder anschauen.
Der Pop-Rezensent, der ein Konzert als ebendas mit irre unangenehmen Begleiterscheinungen (Wetter, Menschen, ja, wäh, Menschen!, Sicht- und Hörverhältnisse) betrachtet, hat das wesentliche Momentum von Popkultur nicht geschnallt.
Die Welt in der Nuss-Schale
Deswegen lesen sich diese Konzertberichte dann wie sauertöpfische Anmerkungen des Bäcker-Innungs-Kontrollors auf seinem ihm zuwideren nächtlichen Streifzug durch die ihm anbefohlenen Bäckereien. Sie imitieren die offenen Briefe von Theater-Rezensenten an die Direktoren, das anspielerische Geklüngel zwischen Kunstktiker und Galerist oder die offenen Grabenkämpfe in der Opern-Szene. Da sie allerdings niemanden haben, an den sie sich da wenden (denn Franz Ferdinand sind keine Adressaten), haben sie kein Ziel, keinen Sinn und keinen Zweck, bleiben stecken wie die Seele im Körper eines Transsexuellen, der sich noch nicht geoutet hat.
Zugegeben: wären die angesprochenen Rezensenten Autoren wunderbarer Portraits oder sonstwie wichtige Kommentatoren/Analytiker zu Popkultur-Events, die keiner dezidierten über den APA-Kulturkalender ausgesendete Einladung bedürfen, dann wäre ich froh (schon wieder... ) und würde schweigen. Wären die Kollegen feinsinnige kritische Förderer und regelmäßige Begleiter der heimischen jungen Szene (was leider im Musik- und im Film-Bereich GAR nicht der Fall ist - dort ist der Österreicher der Feind; fragt einmal Götz Spielmann, der jetzt allerorten angeschleimt wird, wie man ihn "davor" behandelt hat), dann sogar auf immerdar. Wäre die heimische Popkritik irgendwo imstande die Welt in der Nußschale zu beschreiben, wie das mein Lehrer Wolfgang Kos einfordert, dann wäre ich glücklich.
Da auch dies (und das wäre Thema für ein, wenn nicht zwei andere Journale) deutlich nicht der Fall ist, gilt es, die eklatanten Schwächen aus- und anzusprechen.
Wer sich am Katzentisch beim Hochkultur-Ball unwohl fühlt und deswegen glaubt, Mimikry betreiben zu müssen, ist ausschließlich selber schuld. Denn niemand braucht diesen (grauslichen) Bereich als Vorbild, auch nicht im mit Hochkultur zugeschissenen offiziellen Österreich.
Wer es deshalb oder aus anderen Gründen nicht schafft, eine Kultur-Rezension ans Hier und Jetzt anzubinden und sich deshalb mit Dauerausflügen in einen geistigen luftleeren Raum behelfen muss, ist auf einem gar dumpfen Holzweg.
Und wer merklich keine Lust hat, sich mit dem, was er da beschreibt, zu beschäftigen und sich wirklich und ernsthaft einzulassen, der sollte zum Dschungel-Telefon und die dort angebotene Hilfe dringend annehmen.
So, wie sie derzeit abgeführt wird, ist die Print-Pop-Kritik nämlich eine Lachnummer, ein hinterherwieselnder Imitator scheinbar "erwachsenerer" Kollegen, eine Nestroysche Beamtenfigur. Ja, beamtet, so kommt sie daher, anstatt ihrem Subjekt zu entsprechen.
PS:
Dass ich den auf der FM4-Site stattfindenden Anteil von Pop-Kritik für zu gering (und in Teilen auch für zu mutlos, die Ausnahmen wissen wer sie sind...) halte, erwähne ich hier nicht zum erstenmal. Denn natürlich gilt einiges von dem hier Gesagten auch fürs eigene Haus.