Erstellt am: 25. 1. 2009 - 11:22 Uhr
Asian Delights
Wo ist denn diese Hand, die gerade noch in der meinigen gelegen ist, die mich durch dieses ewige Dunkel geführt hat? Jetzt bin ich allein. Bei mir sind nur die Geister.
Der philippinische Regisseur Lav Diaz hat hier in Rotterdam einen Dark Room gebaut: eine Kammer im alten Fotomuseum der Stadt, in der er Stofffetzen verschiedentlicher Beschaffenheiten; von sanft bis kratzig, von der Decke baumeln lässt. Die Seelen der Verstorbenen, sagt Diaz, sind das, die einen streicheln und berühren, in die man hinein rennt, die einem jegliche Orientierungsfähigkeit zu rauben scheinen, da sie den eigentlich recht kleinen Raum auszudehnen scheinen.
Filmfestival Rotterdam
Und die Geister, sie sind hungrig
Ich weiß in dem Moment, in dem ich diese Installation, Teil des Kunstprojekts "Hungry Ghosts", betrete, dass ich in Rotterdam bin, bei einem Filmfestival, dass ich gerade mit einem Werk interagiere, ich mich in Sicherheit befinde. Aber es bringt nichts. So eine Urangst nimmt mich nach nur wenigen Sekunden gefangen, so eine Urangst, die in mir hoch kriecht und mir bedeutet: vielleicht findest du hier schnell wieder raus; vielleicht aber auch nicht. Und dann bist du für immer in dieser Dunkelheit; allein, mit all den Seelen.
Verlässt man Diaz’ Dark Room, blickt man in die Gesichter von Toten: von Menschen, die vom philippinischen Regime kalt gestellt worden sind. Man blickt also nicht in die Vergangenheit oder in eine Zauberwelt, sondern in die Gegenwart. Das ist Diaz, diesem wichtigsten politischen Filmemacher des südostasiatischen Landes, wichtig. Das ist keine Geisterbahn, keine Realitätsflucht; ganz im Gegenteil: er stößt dich rein in die Wirklichkeit. Und man spürt sie.
Friss mich auf!
Die hungrigen Geister sausen durch Rotterdam, ihnen gehört eine der weitläufigsten und umfassendsten Schienen des renommierten Filmfestivals: den Gespensterfilmen aus Fernost. Nicht alle davon gehören dem Horrorgenre an; denn, das versichert Kurator und Programmverantwortlicher Gertjan Zuilhof, in vielen Teilen Asiens haben die in unserer Lebenswelt hängen gebliebenen Seelenreste von Verstorbenen eine andere Bedeutung als im durch und durch entgeistlichten Westen. Sie gehören für viele zur Familie, sind selbstverständlicher Bestandteil des Alltags: sind sie zornig, so muss man sie beruhigen.
Unglücklicherweise zeigt Zuilhof bei der Detailauswahl ein weniger glückliches Händchen als im Formulieren des Konzepts: denn was sich auf Papier noch wie eine Jahrhundertschau anliest, ist tatsächlich oftmals enttäuschend.
Liebe bis zum Tod
Die Ambition des Festivals war es ja, so viele mögliche Zugänge zum Geisterwesen im asiatischen Kino wie nur möglich aufzutun, dementsprechend auch die "Hungry Ghosts" nicht zur Genre-Schau "verkommen" zu lassen. Aber viel zu viele Beiträge lassen sich überhaupt nicht mit dem thematischen Überbau in Verbindung bringen: etwa My Love Yurie des Koreaners Ko Eun-Ki; eine in surrealistischen Bildern formulierte Variation auf große literarische Stoffe; im Besonderen Faust und Romeo & Julia.
Irgendwo im koreanischen Nirgendwo verliebt sich ein junger Mann, der mit seiner Mutter eine Tankstelle führt, in das Nachbarmädchen, das von seinem teuflischen Vater für wenig Geld an diverse Freier verscherbelt wird. Teils um sie zu retten, teils um seine eigenen Gelüste zu befriedigen, schließt der 19-jährige einen Pakt: ratet mal, mit wem. Dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird, ist keine Überraschung.
Folterkino aus Indonesien
Ebenso fehl am Platz wirkt The Anniversary Gift des jungen indonesischen Regisseurs Paul Agusta: die Geschichte einer brutalen Racheaktion, formuliert in grieseligen, schwammigen Bildern, aufgenommen mit einer zwanzig Jahre alten Videokamera. Arte Povera, allerdings ohne Dringlichkeit, vielmehr mit dem respektablen, aber nicht wirklich originellen Ansinnen, den Schmerz-Level von der Leinwand auf das Publikum zu übertragen.
Filmfestival Rotterdam
Selbst die Filme, die inhaltlich in den thematischen Geister-Rahmen hinein passen, waren bestenfalls Durchschnittsware. Zwei ordentliche Beispiele will ich herausgreifen: zum einen den indonesischen Schocker-Omnibus Takut: Faces of Fear, den Horror-Visionär Brian Yuzna (Society) produziert hat. Formbedingt ein Gemischtwarenladen durchschnittlich durchwachsener Qualität, insgesamt aber dennoch überzeugend: vom Publikum am meisten goutiert worden ist die Episode „Dara“ eines Regie-Kollektivs namens The Mo Brothers.
Filmfestival Rotterdam
Was sich bedrohlich schick anhört, löst das in den Bildern auch ein: geschniegelt und gestriegelt, mit durchdachtem Beleuchtungskonzept und slickem Design kommt die Geschichte einer menschenfressenden Köchin daher, die zukünftige Filetstücke mit Körperreizen anlockt, um sie im weiß gekachelten Kellerverlies mit Kettensäge und anderem Werkzeug zu zerteilen.
Gesellschaftshorror
Der zweite sehenswerte Geisterfilm kommt aus Malaysien, heißt Susuk und war in seinem Entstehungsland ein Riesenerfolg. Die Geschichte ist allerdings so komplex, dass westliche Hirne sie nur schwerlich verarbeiten können. Das Mehrpersonenstück, ausschließlich aus weiblicher Perspektive erzählt, kreist um eine alte malayische Tradition, die sowohl an die Alchemie wie auch an andere magische Rituale denken lässt. Denn wer es sich leisten kann, lässt sich Metallstücke unter die Haut schieben, und soll dadurch mehr Erfolg im beruflichen wie im privaten Leben haben.
Eine junge Krankenschwester, die vom Leben als Popsängerin träumt, will vermittels Susuk endlich in die oberen Zehntausend aufsteigen, unwissend, dass es in dieser Zwischenwelt nicht nur Götter, sondern auch Dämonen geben muss. Grottige CGI, bewusstes Spiel mit Camp-Ästhetik und ein massives Tempoproblem können dem saftigen Kern dieser bewunderswert flüssig ablaufenden Geschichte nichts anhaben: im Zentrum des Horrorreißers hockt nämlich eine klassenkämpferisches Herz.
Filmfestival Rotterdam
Coming Soon
Ich könnte jetzt noch so viel schreiben, werde einiges davon das nächste Mal nachholen. Dann erfahrt ihr Näheres zu Danny Boyles "Slumdog Millionaire" und zum neuen Actionfilm von Pusher-Regisseur Nicholas Winding Refn: "Bronson".