Erstellt am: 25. 1. 2009 - 13:34 Uhr
Staatskörper und Frauenkörper
Das Volk, vor allem das weibliche, ist ja bekanntlich dumm und stinkt. Und in seiner Unmündigkeit staunt es nicht schlecht, als Barack Obama bereits nach drei Tagen Präsidentschaft die sogenannte "Gag Rule" außer Kraft setzt, und das noch mit den Worten: "Ich fühle mich weiter dem Recht der Frau auf freie Entscheidung verpflichtet."
Barack Obama fürchtet sich nicht vor kontroversen Themen – und vor allem bei diesem muss er auf einen Krieg mit der Neuen Rechten gefasst sein. Die "Gag Rule", 1984 vom republikanischen Präsidenten Ronald Reagan eingeführt, besagt, dass im Gesundheitswesen tätige Einrichtungen, die finanzielle Zuschüsse der Bundesregierung für Serviceangebote im Rahmen der Familienplanung beziehen, Frauen in Abtreibungsfragen nicht beraten dürfen. Ebenso wenig erlaubt sind öffentliche politische Äußerungen zum Thema oder das Anbieten oder die Durchführung von Abtreibungen.*
Money talks
*Siehe: Sarah Diehl "Deproduktion" (Alibri Verlag)
Neben dem Wunschdenken "Worüber man nicht redet, das existiert auch nicht", wurde durch die Gag Rule das Recht auf straffreien Schwangerschaftsabbruch in den USA (und den Ländern, in denen US-amerikanische Organisationen "Entwicklungshilfe" leisten) massiv in Frage gestellt.
Sobald Abtreibung kriminalisiert wird, staatliche Förderung, Unterstützung und Informationsmöglichkeiten wegfallen, regiert die Sprache des Geldes. Wer es sich leisten kann, "überredet" willige ÄrztInnen. Frauen aus ärmeren Schichten (und in diese Gruppe fallen sehr oft Migrantinnen) verlieren dadurch sichere Möglichkeiten, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Die Folgen sind katastrophal: Laut WHO stirbt alle sieben Minuten auf der Welt eine Frau an den Folgen eines illegal oder medizinisch nicht korrekt durchgeführten Schwangerschaftsabbruchs.
Ping Pong
Bill Clinton war sich dieser Tatsachen scheinbar bewusst, denn auch er setze die Gag Rule 1993 bereits außer Kraft. Nicht so unser guter Freund George W. Bush. Auch ihm war es gleich bei Antritt seiner Präsidentschaft ein Anliegen, die Verordnung wieder zu ändern - und nicht genug: Er unterzeichnete 2003 auch noch den "Partial Birth Abortion Ban Act", der das "unveräußerliche Recht auf Leben und Menschenwürde" noch einmal hervorhob. Dieser Act war ein Zugeständnis an die Neue Rechte und ihren Kampf gegen Abtreibung. Und er war die Basis für eine Verschärfung der Situation. So wurde beispielsweise bei Minderjährigen die Einwilligung der Eltern verlangt, die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche wurden in die Höhe getrieben, und es wurde eine gesetzliche Wartepflicht von 24 Stunden zwischen Konsultation und Eingriff eingeführt (für viele Frauen zeitlich und reisetechnisch noch schwerer machbar). Die New York Times sprach 2003 von einem "Krieg gegen Frauen", den Bush führe.
Pro Life gegen Pro Choice
Obama setzt mit seinem neuerlichen Kurswechsel in der Abtreibungspolitik also das PingPong der politischen und fundamentalen Kräfte seines Landes weiter fort: Pro Life against Pro Choice. Es ist eine Debatte, die stets stark emotionalisiert und nur sehr schwer objektiv und sachlich geführt wird/werden kann.
"Hinzu kommt, dass die Abtreibungsdebatte zu großen Teilen enthistorisiert und enttextualisiert verläuft", wie Daniela Hrzan in ihrem Bericht "Weißer Terror" schreibt. Denn wirft man einen Blick in die jüngere Geschichte Amerikas, wird deutlich, dass der so vehement geforderte "Schutz des Lebens" etwas sehr Relatives ist.
Tod einer Nation
women on waves
Es ist gerade mal 100 Jahre her, als Präsident Theodore Roosevelt angesichts der rückgängigen Geburtenzahlen bei weißen Frauen forderte, die "Reinheit der Rasse" müsse "bewahrt" werden. Seine 1906 verkündete "Erklärung zur Lage der Nation" enthielt den Wortlaut, dass die weiße Frau aus gutem Hause, die sich freiwillig der Sterilität unterwerfe, eine Sünde begehe, die mit dem Tod der Nation bestraft werde.
Für die schwarze Bevölkerung allerdings standen zur selben Zeit Zwangssterilisationen und die Einführung der verordneten Geburtenkontrolle auf der Tagesordnung der Politik. In einem Bericht von 1919 aus der Zeitschrift der "Amerikanischen Liga für Geburtskontrolle" war beispielsweise zu lesen, dass das hauptsächliche Anliegen der Bewegung sei, mehr Kinder von Tauglichen und weniger Kinder von Untauglichen zu produzieren. (Wer "tauglich" und wer "untauglich" war, bestimmten natürlich die Mitglieder der Liga.)
Staatskörper und Frauenkörper
Sobald das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung gesetzlich beschnitten wird, geht es niemals um die "Würde" der wachsenden Zellanhäufung im Körper der Frau, sondern immer um politische Einflussnahme auf dieses schwer greifbare Ding, das sich "Staat" oder "Nation" oder "Rasse" nennt. Der "Staatskörper" speist sich nun mal aus dem Frauenkörper. Und gerade deshalb ist letzterer so umkämpft.