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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 1. 2009 - 15:36

Journal '09: Sonntag 25.1.

Die Sonntagszeitung. Oder: Warum die Haut des Kakao nicht der Kakao selber ist.

Seit dieser Woche ist das offiziell, was die Branche bereits seit einem Jahr munkelt und mir ominöse Insider-Informationen seit etwa einem halben Jahr als "fix" bestätigt haben: Österreich bekommt eine weitere Sonntagszeitung, also ein neues Gratis-Mitnehmerl aus dem Zeitungssackerl: Die Presse wird in dieses Rennen einsteigen.
Das ist deshalb recht besonders, weil der Sonntag bislang exklusiv dem, was man Boulevard nennt, vorbehalten war: KronaKurier sowieso, seit kurzem Fellners Österreich (allerdings nicht flächendeckend, es wird weiter vornehmlich geostelt) und natürlich die Kleine in der Südkurve Steiermark/Kärnten.

Ich denke, dass sich die Presse mit dieser gewagten Entscheidung einen wesentlichen Startvorteil im Überlebenskampf der Printmedien gesichert hat. Auch wenn es auf den ersten Blick komisch daherkommt.
Denn: bislang griff schon die Samstags-Ausgabe der Presse, die (ebenso wie die des Standard), die ab dem mittleren Nachmittag in Ballungsgebieten zur Entnahme aushing, die Wochenend-Leser einigermaßen gut ab.

Presse-Zeitungssackerl - leer

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Nur: um die allein, um das allein geht es bei dieser Maßnahme wohl nicht. Inwiefern sich die Einführung einer Sonntags-Ausgabe (die wohl verstärkt als Lese-Ausgabe angelegt werden wird) auf die Gestaltung der Samstags-Ausgabe auswirken wird, werden wir sehen - wichtigster Punkt der Neuerung ist allerdings ein anderer: die lückenlose Anwesenheit im Bewusstsein der Core-Leserschaft.
Zwar werden auch die "an-sich"-Presse/Standard-Leser am Sonntag weiterhin auf die Gratis-Hefte, die sie (weil Schundblattln) nur verschämt nach Hause tragen, zurückgreifen. Die Bindung jedoch wird durch so eine Maßnahme automatisch stärker. Man kann sich auch am letscherten Lese-Sonntag mit etwas identifizieren.

Presse vs Standard

Dass die Presse dabei die ökonomische Schwäche (auf die ich unlängst hier, im Zusammenhang der Erklärung des Unterschieds zwischen den ORF-Finanzen, die auf der Basis eines gesicherten Eigenkapitals agieren, und den Verlagshäusern, die sich in direkten finanziellen Abhängigkeiten befinden, hingewiesen habe) des direkten Konkurrenten, des Standard (der sich verlegerisch in direkte finanzielle Abhängigkeiten gebracht hat, die weder schnelle noch riskante Aktionen möglich machen), ausnützt, versteht sich.

Aber das ist nur ein Nebenschauplatz, ein Reizthema.
Denn natürlich geht es auch sehr stark darum, sich an die Bundesländer-Platzhirschen heranzumachen, die sich derlei auch nicht leisten können. Wenn die Presse dann also am Sonntag in ganz Salzburg hängen wird, und der Lokalmatador, die Salzburger Nachrichten da noch mit der vortägigen Samstags-Ausgabe im Nebensackerl konkurrieren will, birgt das einigen Zündstoff. Gleiches gilt auch für Linz und OÖ mit den Oberösterreichischen Nachrichten.
In Tirol überlegt der Lokal-Kaiser, die Tiroler Tageszeitung, aktuell den Umstieg auf ein Klein-Format. Das ist auch interessant und mehr als gewagt: denn das vor einiger Zeit eingestellte Experiment mit einem jungen, kleinformatigen halbert-gratis angelegten TT-Ableger (Die Neue, von der nichts als ein dürres Sonntags-Gratisblatt überblieb) war ja schiefgegangen.
Für Vorarlberg gilt das alles weniger: dort haben die in Wien publizierten Blätter nur eine beschränkte Chance, dort regiert die VN und lässt gerade noch die (mittlerweile teil-eingekaufte) Konkurrenz des Kleine-Ablegers NVZ zu - insofern spielt der Styria-Verlag (die Mutter von Presse und Kleine) hier jetzt schon mit.

In der Ostregion (Wien, NÖ, Burgenland) hätte die Sonntags-Presse kein zusätzliches Störfeuer zu erwarten - es sei denn, der Kurier schwenkt um, bekommt vom Verlag das Okay, sich ein wenig weniger um Verkauf und ein wenig mehr um Qualität zu kümmern. Das ist allerdings (schon rein prinzipiell) im Privat-Sektor so wahrscheinlich wie die dieswöchige Mondlandung von Spongebob.

Kauf vs Gratis

Krone-Zeitungssackerl, hinten eines  vom Kurier, im Sonnenlicht.

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Eine weitere Wahrheit hinter der Entscheidung der Presse, auf den Sonntag loszugehen, liegt im Paradigmenwechsel der österreichischen Print-Landschaft. In den letzten 5 Jahren hat sich nämlich hierzulande das, was sich anderswo hauptsächlich im Netz und in Bereichen wie Musik oder Film abspielt, am Zeitungssektor getan: der Konsument will einfach nix mehr zahlen. Und zwar, weil er eh soviel davon gratis bekommt.

Zuerst einen U-Bahn-Express, später ein Heute, dann ein Österreich, dazu ein Live und ein Weekend, die Bezirks/Lokal-Blattln sowieso. In Linz kann man sich an einem Sonntag der Gratisblätter gar nicht erwehren - jeder Markt-Player bietet da einen an. In Graz war es im Vorjahr nötig, eine Art Waffenstillstand herzustellen (wenn du nix publizierst, lassen wirs auch - spart uns allen viel Geld, okay?), damit sich Kleine, Krone uä nicht gegenseitig mit dem Gratis-Kleinformat zu Tode lizitierten.

In diesem Wust gibt sich der tendenziell eh nicht wirklich an weitergehender Information, sondern vielemehr an der reißerischen Grundlage für vorschnelle Kommentare und die Veräußerung von Vorurteilen interessierte Österreicher eh unter-gefühlt. Man hält sich für overinformed (wiewohl man in Wirklichkeit, das zeigen Stichproben, die bei sich für informiert haltenden Zielgruppen, bei bestimmten Themen durchgeführt werden, drastisch, kaum etwas über aktuelle/wichtige Themen weiß), wo in Wahrheit nur die Oberflächen bedient werden.

Man hält, mangels Geschmacks-Wissens die Haut des Kakao für den Kakao selber.

Dick vs Dünn

Presse-Zeitungssackerl, voll. Mit Straßenschild Einbahn drüber.

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Ohne sie jetzt heiligsprechen zu wollen (ich habe zur alten Tante Presse ein mehr als gespaltenes Verhältnis) - die Sonntagsausgabe ist natürlich auch ein Versuch, diese unüberwindbar scheinende Barriere der zunehmenden Illiterarität einer sich selber für lesefit haltenden Mittelklasse (die sich allerdings in Dschungelshows und Sonntags-Krone ergibt) zu überspringen.

Wahrscheinlich hat nur der, der sich in der Gesellschaft der Pisa-Loser (also der Sonntags-Sackerln) aufhält, auch eine Chance, im selben Modus angesehen zu werden und so (subversiv!) in fremde Welten einzudringen.

Denn mit den Samstags-Ausgaben, die auch für gratis herumhängen, haben es Standard/Presse (und der zwergenhafte Bruder, die in Wien aushängende Wiener Zeitung) nicht geschafft, in andere als die bereits aquirierten Schichten vorzudringen.

Aus einem entsetzlich banalen Hauptgrund im übrigen: vor nichts hat der gewöhnliche Zeitungsleser mehr Angst als vor dicken Ausgaben (wie sie am Samstag ja Usus sind). Was den New Yorker oder Londoner verzückt (die fette Sonntagsausgaben von Times oder New York Times), macht den gelernten Österreicher fertig. Je dicker, desto mehr Denkaufgabe - furchtbar.
Kauft einmal probeweise eine dicke Samstags-Süddeutsche oder FAZ (funktioniert unter der Woche auch mit der Zeit!) in einem vollem Zeitungshop/Kiosk und schaut euch die angstvollen Blicke der Menschen an, die nicht wissen, was ihnen unheimlicher sein soll: das unglaublich fette Großformat oder du, der Käufer.

In diesem Spannungsfeld der Lese-Psychologie und des weirden heimischen Zeitungsmarkts wird die Einführung der neuen Sonntags-Presse ein hyper-interessantes Experiment.
Im März soll es soweit sein.