Erstellt am: 23. 1. 2009 - 18:18 Uhr
Ich ... und Franz Ferdinand
Soll keiner sagen, ich hätte nicht gestern schon vor dem Overkill gewarnt. Von mir war ja wohl auch nichts anderes zu erwarten. Seit sie 2003 in mein Leben getreten sind, hab ich wie weiland Murray The K in seiner Beatles-Perücke mit geborgtem Hipster-Slang das Wort der Ferdis in die Welt hinaus getragen.
Aber so weit, hier gleich zwei Stories in zwei Tagen zu veröffentlichen, bin selbst ich noch nie gegangen. Andererseits war diese "Ich und..."-Geschichte schon lang lang geplant und außerdem und überhaupt genug der Entschuldigungen jetzt, es reicht, also moi et les Franz:
Domino Records
Das neue Franz Ferdinand-Album "Tonight" wurde in einem aufgelassenen alten Theater in einem schäbigen Viertel von Glasgow aufgenommen.
In der Mitte des leeren großen Saals stellte die Band ihre Instrumente und Verstärker im Kreis auf und suchte dort gemeinsam ihren neuen Sound.
Im Keller stapelten sich Unmengen antiquierter elektronischer Instrumente und Drum Machines, die meisten davon auf Ebay ersteigert.
Unter der Aufsicht von Produzent Dan Carey wurde das ganze, ausladende Gebäude zu Spielplatz und Studio zugleich.
Franz Ferdinand
Der Opa weiß ja oft nicht mehr so genau, welche seiner Schrullen er wem genau schon erzählt hat, aber wenn ich mich recht entsinne, kam damals ein Email von Domino Records rein, das ganz enthusiastisch von dieser neuen Band namens Franz Ferdinand schwärmte, die das Label gerade unter Vertrag genommen hatte.
Das Jubelmail war keine Selbstverständlichkeit. Es gab damals erstens noch nichts zu promoten, und zweitens war Domino Records im zehnten Jahr seines Bestehens noch nicht das bei weitem am besten aufgestellte Indie-Label des Landes, sondern hauptsächlich die britische Heimat lizensierter Amerikaner wie Sebadoh, Stephen Malkmus, Will Oldham, Jim O'Rourke, Smog, den Silver Jews oder Elliott Smith, mit deren respektablen Verkäufen sich Leute wie James Yorkston, King Creosote, Clinic, Pram, das Fridge-Kollektiv oder Stephen Pastels Geographic-Sublabel durchfüttern ließen.
Aber das sollte sich grundlegend ändern. Durch Franz Ferdinand.
Franz Ferdinand
Damals konnte das zwar noch niemand ahnen, aber Zufall war es auch keiner: Der seit den Achtzigern in der Indie-Szene umtriebige Cerne Canning hatte Domino-Chef Laurence Bell ein Demo unter die Nase gerieben. Der von den geographischen Gegebenheiten der Musikindustrie nach London verdammte Exil-Schotte muss in der darauf enthaltenen Musik eine perfekte Ausformulierung jenes "Sound of Young Scotland" gehört haben, den Orange Juice oder Josef K ein knappes Vierteljahrhundert zuvor auf dilettantische Art versprochen aber nie ganz eingelöst hatten.
Franz Ferdinand
Er wusste wohl auch, dass es für ein Indie-Label wie das seine in der Zukunft nicht leichter werden würde. Ein Ausweg war die Flucht nach vorne. Domino beschloss, das in der ersten Dekade seiner Existenz angesparte Kapital in diese perfekte, tanzbare Pop-Band zu investieren.
Von der dabei losgetretenen, für die Verhältnisse dieses Labels völlig unüblichen PR-Kampagne war überhaupt noch nichts zu bemerken, als ich meinen ersten Interview-Termin mit Franz Ferdinand und Cerne in einem greasy spoon (Frühstückscafé) nahe der Old Street hatte.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt gerade erst eine Vorab-CD ihrer ersten Single "Darts of Pleasure", auf der es mir vor allem die B-Seiten "Van Tango" und "Shopping For Blood" angetan hatten. Aber um mein Interview hatte ich ehrlich gesagt schon vorher, gleich nach dem Erhalt des ersten Mails, angefragt. Aus purer Neugier, aber nicht des Namens, sondern des darin spürbaren Enthusiasmus wegen.
Funktionierende Bands sind nicht bloß Gangs, im besten Fall haben sie sowas wie eine kollektive Persönlichkeit, eine keineswegs synchrone, aber einander auf undurchschaubare Weise komplimentierende Art zu gehen, zu sprechen, sich zu bewegen. Bei Franz Ferdinand war das vom ersten Blick weg sichtbar. Der erste, den ich sah, war Bob, der an einer Häuserecke nach mir Ausschau hielt. Er trug die Art von klobiger Früh-Achtziger-Brille mit rot-weiß-blauem Rahmen, die vergangenen Sommer - fünf Jahre später - überall als Remake zu kaufen waren. Zu einem flaschengrünen Hemd.
Die anderen drei ließen sich im Passantengewimmel hinter ihm schon ausnehmen, bevor er sie mir vorgestellt hatte. Dass Nick McCarthy mich gleich freundlich auf süddeutsch ansprach, war auch ein netter Bonus.
Franz Ferdinand
Ebenfalls von Anfang an klar war, dass alle in dieser Band was zwischen den Ohren hatten. Was als Interview geplant war, wurde zu einem gemeinsamen Suchen danach, was wir uns alle von Pop erwarten dürfen. Und Alex Kapranos war selbstbewusst genug, das als Auftrag an sich und seine Band zu verstehen.
Alle guten Popbands müssen so anmaßend sein.
Ein paar grob-pixelige Bilder von dieser ersten Begegnung sind in dieser alten, ein paar Wochen drauf veröffentlichten Geschichte nachlesbar. Pausbäckiger sehen sie alle aus. Interessant im Nachhinein übrigens auch die hype-skeptischen Kommentare im Forum.
Franz Ferdinand
Im folgenden Jahr, als "Take Me Out" gerade vor seinem Charts-Einstieg stand, traf ich die völlig erschöpfte Band in einem Londoner Fernsehstudio. Irgendwann später in der Garderobe, nach endloser Filmerei und Interviews im heißen Scheinwerferlicht, fragte Paul, ob ich denn Bands kenne, die sich durch ihren Erfolg als Menschen verändert hätten.
Ich nannte ein paar einschlägige Beispiele mit passenden Anekdoten.
"Wir haben beschlossen, dass wir keine Arschlöcher werden", sagte er.
Sie haben sich daran gehalten. Lasst sie schön grüßen.