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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

22. 1. 2009 - 15:04

Geister im Haus

Das Filmfestival Rotterdam ist eröffnet und lockt mit asiatischem Horror und österreichischer Avantgarde.

Wieso werde ich bei niederländischen Schlagern immer melancholisch? Ich möchte mich gleich mit einem Achtel Wein in eine Ecke verkriechen und diesen für mich so exotisch und doch sehr vertraut klingenden Lebensweisheiten lauschen. Es erinnert mich ein wenig an die erhabenen Kompositionen des Hermann van Veen, im Besonderen an die Melodien rund um die liebenswerte, lebensschlaue Ente Alfred Jodocus Kwak.

Das Filmfestival Rotterdam findet in diesem Jahr bereits zum 38. Mal statt: gegründet wurde es 1972 von Hubert Bals, nach dem auch der Hubert Bals-Fund benannt ist. Der renommierte Fund unterstützt und finanziert vorwiegend Filmprojekte von jungen Regisseuren aus Ländern ohne hinreichende Filmfinanzierungsstrukturen.

Jetzt bin ich also wieder hier in Rotterdam: bei diesem gewaltigen Filmfestival mit den hunderten Möglichkeiten - aber auch unter Freunden. Denn in die niederländische Hafenstadt kommen viele nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Da man hier neuen Filmkulturen, neuen Bewegungen in der Kinokunst quasi beim Entstehen zusehen kann, noch lange bevor sie dann irgendwo, in Cannes oder Berlin oder Venedig oder Toronto, in breiter Öffentlichkeit aufblühen.

Mutige Entscheidungen

Rotterdam ist – das muss man sagen – das europäische Zentrum der philippinischen Filmkultur geworden: da das ambitionierte Team hier jungen bis ganz jungen Regisseuren (einige noch in ihren Teens) die Gelegenheit gibt, ihre oftmals noch unrunden, auch unfertig wirkenden Arbeiten – vorwiegend bis ausschließlich auf DV gedreht – einem großen Publikum zu präsentieren. Dazu gehört viel Mut, denn man lehnt sich weit aus dem Fenster: das Rotterdamer Festival hat einen Namen, muss einen Ruf verteidigen, darf schon mal daneben hauen, muss aber Qualität liefern. So oft wie möglich.

Aber es rechnet sich: surft man durch das diesjährige Programm durch, fallen dem langjährigen Rotterdam-Gast sogleich vertraute Namen auf: etwa Khavn De La Cruz, der von der niederländischen Stadt aus mit seinen Arte Povera-Punk-Digitalfilmen große Teile des europäischen Kontinents erobert hat und mittlerweile auch über seine eingefleischte Fan-Gemeinde hinaus bekannt ist. In diesem Jahr präsentiert er in Rotterdam zwei neue Arbeiten: den Ritualfilm The Middle Mystery of Kristo Negro und den irgendwo zwischen Horror und Pornographie angesiedelten experimentellen Angstfilm Three Days of Darkness.

Ein halbnackter Mann zieht eine tote Kuh durchs Gras

Filmfestival Rotterdam

Große Bilder in The Middle Mystery of Kristo Negro

Ein anderer Regisseur, der in Rotterdam bereits für Aufsehen gesorgt hat, ist der Südkoreaner Kim Kyung-mook. Sein so zartes wie grausames Gesellschaftsporträt Faceless Things hat das Publikum vor zwei Jahren mit einem Stricherbuben und einem Geschäftsmann konfrontiert, mit einer pointierten, in nicht mehr als drei Sequenzen formulierten Kritik am südkoreanischen way of life. In diesem Jahr stellt Kim Kyung-mook sein neues Projekt A Cheonggyecheon Dog vor.

Ein Mann mit blonder Frauenperücke hält einen Telefonhörer zum Ohr und steckt sich den Zeigefingern lasziv in den Mund

Filmfestival Rotterdam

Südkoreanische Gesellschaftskritik: A Cheonggyecheon Dog von Kim Kyung-Mook

Film As Subversive Art

Freilich findet man hier auch die Filme, die Fluchtmöglichkeiten bieten: quietschbuntes Pop-Kino von renommierten Filmemachern (etwa Danny Boyle, der hier seinen Slumdog Millionaire vorstellt) etwa. Das zieht das Publikum an, das stellt auch die großen Medien des Landes ruhig, die sich mit den Extremen des Programms weniger anfreunden können. Zentral bleibt aber das Bekenntnis zum Unbehagen, eine Ahnung von Gefahr und Krise, ein Misstrauen an der Gesellschaft: subversives Kino, Underground-Filme eben. Ein Spezialprogramm formuliert den Anspruch des Rotterdamer Filmfestivals ausgetretene Pfade zu verlassen oder umzuleiten in düstere Zonen, besonders deutlich.

Hungry Ghosts versammelt etwa zwei Dutzend Horrorfilme aus dem südostasiatischen Raum: bedrohliche, mit Versatzstücken lokaler Mythen und Geistergeschichten aufgeladene, angstschweißnasse, flirrende Gruselstücke; die eine Ahnung davon geben sollen, wie profund und allumfassend die Angst und der Schrecken eingegraben sind in das tägliche Leben und Fühlen und Denken; etwa in Indonesien, den Philippinen oder Vietnam.

Frau mit Maske küsst einen Mann, Szenenbild aus dem indonesischen Horrorfilm "Faces of Fear"

Rotterdam Filmfestival

"Faces of Fear"

Rotterdam macht auch hier wieder alles richtig; stellt sich dem Japan-Horrortrend in den Weg, verlegt den Fokus auf andere, im Filmverteilungsmechanismus vernachlässigte Regionen. Man setzt auf den Raum; im doppelten Sinn: nicht nur auf den der Leinwand, sondern auch auf den real begehbaren: das Festival hat einige Filmemacher, darunter etwa auch Lav Diaz, eingeladen, einen Raum in einem Kinospukhaus zu gestalten. Die Installation wartet jetzt nur darauf, von den Besuchern begangen zu werden.

Gezeichneter Tigerkopf am Plakat des Filmfestivals Rotterdam

Filmfestival Rotterdam

Festivalpalakat

Österreicher in Rotterdam

Und auch das österreichische Kino zeigt sich in Rotterdam von einer anderen Seite: das Gesellschaftsdrama Schottentor von Caspar Pfaundler feiert im Wettbewerb seine Weltpremiere und der Avantgardist Gustav Deutsch präsentiert seine neue Arbeit FILM IST. a girl & a gun.

Man darf gespannt sein, was hier noch alles kommen wird, wohin man bei diesem Festival geführt wird; es werden dunkle, unheimliche, unbequeme Orte sein; Orte, die im Alltagskino keinen Platz haben; Orte, die es nur hier in Rotterdam geben kann.