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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

22. 1. 2009 - 16:43

What You'll Come For

Franz Ferdi-Overkill Teil 1: Was euch beim FM4-Fest so ungefähr erwartet, anhand des Londoner Gigs am Dienstag (plus of Montreal...)

Eine beliebte rhetorische Taktik, die Barack Obama beherrscht wie aus dem FF, ist dass man seine Entschuldigung gleich im Vorhinein anbringt: Ja, es wird hart werden, ja wir werden es nicht leicht haben, ja wir müssen Opfer bringen.

Oder in meinem Fall: Ja, ich werde heute und morgen einen furchtbaren Franz Ferdinand-Overkill produzieren, da hilft gar nichts, weil die Anlässe sich eben häufen:

Wir haben das Album der Woche, sie kommen zum FM4-Fest, und ich war vorgestern bei ihrem Gig im Londoner Heaven, einer röhrenförmigen Grotte unterhalb des Charing Cross-Bahnhofs, die derzeit als unterdimensioniertes Ersatzlokal für das gerade geschlossene Astoria herhält.

Es war also ein für die Verhältnisse der Fränze ungewöhnlich kleiner Gig unter dem Vorwand irgendeiner NME-Awards-Sause, aber interessanterweise wurde dieser Umstand eher für die Vorband zum Problem.

Ich hatte of Montreal vor ein paar Jahren das letzte Mal live gesehen, da beschränkte sich der theatralische Aspekt ihrer Show auf Songschöpfer/Hauptego Kevin Barnes' ausladende Gestik und seine unaufhaltsame Tendenz, die Oberbekleidung abzulegen. Mittlerweile hat sich in dieser Hinsicht einiges getan.

Kevin Barnes von of Montreal in einem Brian Eno-artigen Outfit

Robert Rotifer

Ja, ihr habt das Recht, euch auf der neuen FM4-Site Bilder in besserer Qualität zu erwarten, find ich eh auch.

Während "Wraith Pinned To The Mist And Other Games" (ein Song, der unter praktisch jedem anderen Titel wohl ein zwingender Welthit gewesen wäre) wurde das Schlagzeug hinter der spielenden Band abgebaut und durch programmierte Rhythmen ersetzt bzw. der zweite Rickenbacker-Bass für extra Wummern ausgepackt, wodurch im Bühnenhintergrund wiederum Platz für von vier kostümierten Mimen verkörperte Tableaus entstand:

Das älplerisch gekleidete Pärchen, der langhaarige Animator im symmetrisch ausgeschnittenen rosa Ganzkörpertrikot, die goldenen Buddhas (einmal mit Moränenkopf) oder der Priester, dem das suggestiv vor ihm knieende Schweinchen den roten Talar auszieht. Katholische Schuldgefühle sind also auch in Athens, Georgia, nicht unbekannt.

Kevin Barnes enthüllte in der Zwischenzeit seinen Oberkörper, trug einen Lorbeerkranz, eine Halskrause und eine Gesichtsmaske aus Rasierschaum.

Nachher verriet mir Paul Thomson, dass of Montreals Showeinlagen wegen der begrenzten Möglichkeiten des Clubs erheblich reduziert werden mussten. Ursprünglich waren lebendige Schweine vorgesehen gewesen. In New York sei Barnes gar in goldenem Slip auf einem weißen Pferd auf die Bühne geritten.

Da hatte London also was versäumt, aber andererseits hätte sich das - wie so oft in dieser Stadt - schrecklich statische, klatschfaule Publikum sowieso keinen Bonus verdient.

"You ain't got no soul power", skandierte Kevin Barnes in einer besonders leidenschaftlichen Version von "Bunny Ain't No Kind Of Rider" aus dem "Hissing Fauna"-Album. Eine offensichtlich berechtigte Diagnose.

Aber die meisten hier waren wohl nur für die Ferdis gekommen.

Die karierten Hemden von Nick McCarthy und Alex Kapranos bedeuteten nach der glamourösen Darbietung von of Montreal jedenfalls einen derben Kulturschock.

Verschwommene Zuschauermenge

Robert Rotifer

meine verkühlte Perspektive

Analog zum ehrlichen Holzarbeiterlook war "No You Girls" ein sehr solider, aber noch nicht ganz so umwerfender Opener, gefolgt vom alten Hadern "Matinee", dessen Zeile "well I'm on BBC2 now, telling Terry how I've made it..." deutlich spürbar machte, wie lang es schon her ist, dass das noch nach der frechen Anmaßung einer kecken kleinen Band klang.

Gleich danach folgte allerdings schon der erste, unerwartete Höhepunkt: "Send Him Away", einer der weniger spektakulären Songs des neuen Albums, erreicht in seinem beinahe Doors-artigen Moll-Akkord-Shuffle erst live die volle Wirkung -nicht die einzige Überraschung der kommenden anderthalb Stunden:

"Live Alone" entpuppte sich als gänzlich unwiderstehliches Disco-Monster und "Turn it on" erfüllte das Versprechen seines Titels mit spielerischer Verve. Der Kontrast zwischen dem chansonartig melancholischen Intro und der Garagen-rockigen Klimax von "Bite Hard" war wiederum dreimal so dramatisch wie auf Konserve, nicht zuletzt dank Herrn Nicks neuerdings erweiterter Rolle an der Keyboard-Burg.

A propos erweiterte Rolle: Alex Kapranos' Hendrixismen werden langsam auffällig. Hier setzt sich einer immer ungenierter über das gitarristische Trockenheitsgebot des Neo-Post-Punk hinweg.

verwackelter Blick auf die Bühne

Robert Rotifer

Überhaupt lässt sich allzu leicht vergessen, mit welch einer mitreißenden Dynamik die Fränze selbst abgespielte Gassenhauer wie "Take Me Out", "Michael" oder "Do You Want To" auf der Bühne aufzugießen wissen.

Die fließenden Tempo-Variationen in "Walk Away" waren zwar schon ein bisschen zu viel des Schlauen, aber insbesondere in "40 ft" und "Ulysses" stellten sich Paul Thomson und Bob Hardy in ihren ungeziert funkigen Grooves, mit denen die rhythmisch geforderte britische Indie-Rock-Konkurrenz einfach nicht mithalten kann, als die heimlichen Helden des Gigs heraus.

Ganz so heimlich dann andererseits auch wieder nicht, denn nach der Saurock-Coda von "What She Came For" hing in den Zugaben "This Fire" und "Outsiders" die längste Zeit über alles nur mehr an Thomson, der das eherne Pop-Gesetz, wonach Schlagzeugsoli immer sturzfad sein müssen, auf eine seiner bisher härtesten Proben stellte.

Und am Schluss regneten hunderte durchsichtige Ballons aufs Publikum nieder. "A bit of a sexual metaphor", wie Paul vorher angekündigt hatte...

Luftballons über der begeisterten Menge

Robert Rotifer

Keine schlampige Party-Band habt ihr euch da eingeladen, muss man schon sagen.

Morgen mehr.