Erstellt am: 22. 1. 2009 - 14:39 Uhr
Der Teufel sitzt im Detail
"Ich will aber nicht aufallen, unter keinen Umständen. Mir ist eh schon alles peinlich genug. Ich schäme mich zu Tode seit ich denken kann, und weiß nicht wofür, wird schon stimmen."
Schon wieder ein Strunk da. War da nicht grad einer? Stimmt. Im Oktober hat sich der deutsche Humorist mit der "Zunge Europas" zurück gemeldet. Hat versucht, an seinen Erfolg mit dem Erstling "Fleisch ist mein Gemüse" anzuknüpfen. Das hat aber, zumindest im Kulturkanon, nicht ganz so funktioniert wie geplant. Dafür hat er den gesamten medialen Zirkus durchgemacht, von les.art bis polylux, von MTV bis Lesereise durch ganz Deutschland. Sicherlich haben einige die "Zunge" unter ihrem Weihnachtsbaum gefunden aber das kollektive "Wow!" ist ausgeblieben.
Mein Damen und Herren, hiermit gibt es die zweite Chance mit Heinzer- reloaded. Denn während er die "Zunge" angepriesen hat, hatte der Gute die ganze Zeit ein viel, viel besseres Buch in petto. Nur dank undankbaren Marketingstrategien, ökonmischer post-Weihnachtsflaute und Übersättigung hat es irgendwie noch niemand gemerkt. Aber ich sage euch, der "Fleckenteufel" ist der wahre, neue Strunk.
Rowohlt Verlag
Scharbeutz City
Damals beim Interview hat mir Strunk erzählt, er würde bald eine Replik an Charlotte Roches "Feuchtgebiete" herausbringen. Vom Coverdesign her fast ident, nur in bubenblau gehalten statt in mädchenrosa. Inhaltlich sollte es die "männliche" Version so einer Geschichte, so eines "Körperromans" werden. Viel Zweifel, viel Schmunzeln - wie soll denn das gehen bitte? Aber wie er schon damals betont hat, es würde funktionieren, denn im Vergleich zu Charlotte "kann" er es - den Ekel so aufs Tapet zu bringen dass es, pardon, flutscht.
"Fleckenteufel" ist tatsächlich dann gar nicht so sehr Replik aus männlicher Sicht, sondern die Geschichte des sechzehnjähirgen Thorsten, der mitten in der Pubertät steckt. In einem schicksalshaften Sommer geht es nach Scharbeutz, auf Sommerfrische mit der Kirchengruppe. Es ist vielleicht sowas wie der Prolog zu "Fleisch ist mein Gemüse", denn Thorsten ist auch so eine Existenz, die nicht viel auf die Reihe bekommt, und das durch einen fast schon manischen inneren Monolog ausdrückt.
"Das Leben als Teenager. Wenn man sich die Ehe als eine Portion Eis vorstellt, dann ist die Sexualität die Sahne darauf, so hat Gott sich das gedacht."
Diese Sommeridylle spielt in den 70er Jahren und die Religion hängt wie ein ominöses Kruzifix über den heranwachsenden jungen Männern. Und natürlich fahren auf Sommerfrische auch Mädchen, die neuentdeckte Verlockung, mit. Diese Verlockungen ringen in Thorstens Kopf allerdings mit den Schwulenfantasien, die er über seine Bettnachbarn hegt. Die Geschichte, die Heinz Strunk damit erzählt, ist keine neue, aber durch den Underdog-Status, den er seinen Protagonisten umhängt, bekommt sie eine charmante Dimension. Man kann sich mit dem Scheitern identifizieren, mit den ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, mit dem ersten Mal alleine Fortfahren. Und mit den Blähungen.
"Eigentlich ist alles irgendwie geil"
Äh ja, genau. "Fleckenteufel" ist relativ grauslig. Wobei grauslig relativ ist. Hat uns Charlotte Roche scheinbar unbegründet erklärt, was sie sich wann wo reinsteckt, verwebt Heinz Strunk seine Abhandlungen mit körperlichen Wundern und Verzweiflungen perfekt in seine Geschichte. Denn wer schon mal das Vergnügen hatte, längere Zeit mit pubertierenden Buben ohne der Aufsicht der Eltern unterwegs zu sein, der weiß wie's dort zugeht. Es passt einfach. Es ist echt.
www.heinzstrunk.de
"Ist das alles peinlich. Das ganze Leben ist peinlich. Vor der Abfahrt muss ich unbedingt kacken, ich weiß nicht, wie ich die Fahrt sonst überstehen soll. Das Busklo ist, wenn überhaupt, nur für kleine Geschäfte zugelassen, für's Scheißen kommt man ins Gefängnis."
Außerdem hat Strunk zwei Dinge, die Roche bei "Feuchtgebiete" gefehlt haben: Schreiberfahrung und Humor. Obwohl er zwar noch immer keinen perfekten Spannungsbogen schreiben kann, weiß er es, Dialoge und Szenen gekonnt zu beschreiben. Weiters ist Strunk hauptberuflich Humorist - und versteht es eben, die Peinlichkeiten als solche darzustellen. Denn, was bei "Feuchtgebiete" wirklich gefehlt hat, war der Humor, die Erkenntnis, dass die Auslieferung unsererseits an diese eigenwilligen Körper und die eigenwilligen Funktionen etwas sehr absurdes ist. Deswegen ist "Fleckenteufel" wahnsinnig lustig und man versteht die Motivation hinter dem Darstellen des explizit Ekligen. Insofern kann es Strunk wirklich besser.
Reise, Reise
"Fleckenteufel" ist ein coming-of-age Roman, mit Betonung auf "coming". Strunk schafft es, uns diese insulare, abgekapselte und durchaus bizarre Welt des vergessenen Ferienparadieses näherzubringen. Nach dem Kollegen Schamoni möchte ich meinen, dass Heinz Strunk einer der besten Beobachter in der deutschen Literatur ist - auch wenn man seinen Stories vielleicht nicht so viel abgewinnen mag, ist sein scharfer Sinn für das, was Menschen und Charaktere ausmacht, bewundernswert. Die Seite lebt, die Anekdoten funkeln und nach 220 Seiten wollte ich gleich wieder von vorne anfangen. Und mein Urlaub an der Ostsee, der ist fix.
"Ja, ja, 'dirty old man'. So fühle ich mich auch, obwohl ich doch erst sechzehn bin."
Philipp Rathmer
"Fleckenteufel" von Heinz Strunk ist im Rowohlt Verlag erschienen. Auch als Hörbuch. Am 23. April liest er im Rabenhof Theater in Wien.