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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

11. 1. 2009 - 15:00

Akklamation für den Untoten

Über das Alter. Inklusive Staubsaugerbeutel-Frust-Tirade und zwei Straßenbahn-Sitzplatz-Vergabe-Systemen!

Über das Alter

* Es gilt, den Sitzplatz "anderen Personen zu überlassen, wenn diese ihn notwendiger brauchen", wobei diese Personen durch Jahrzehnte alte Hinweise an Tür-nahen Plätzen genauer definiert sind, nämlich blinde, alte, schwangere Menschen und jene mit Kleinkindern.

Lange war ich überzeugt, eine effiziente und gerechte Formel für die Sitzplatzaufteilung in öffentlichen Verkehrsmitteln gefunden zu haben: Zuerst muss das Alter aller Insassen eruiert werden. Sind beispielsweise vierzig Sitzplätze vorhanden, müssen, sofern mehr Fahrgäste als Sitze da sind, die vierzig ältesten vom Rest getrennt werden.

Kürzlich trat in der populären Unterhaltungssendung 'Wetten, dass', die ich hin und wieder zwar leicht gelangweilt, aber doch mit gewisser Passion verfolge, der greise Sänger Johannes Heesters auf. Nach seiner Darbietung akklamierte das Publikum im Saal und teilweise wohl auch in den Wohnstuben 'der Nation' in stehender Haltung gefühlte zehn Minuten lang. Nicht die bescheidene Vorstellung, sondern des betagten Barden ansehnliches Lebensalter verzückte das Auditorium, oder besser gesagt die Tatsache, dass Heesters mit seinen in Zahlen kaum mehr messbaren Lenzen immerhin noch einen unzulänglichen Auftritt zu leisten fähig war, also gebückt stehen kann.

Seit Jahrzehnten speist sich die Popularität des Niederländers eigentlich nur daraus, dass er noch immer nicht gestorben ist. Ein unzerstörbarer Wille zur Existenz, eherne Disziplin und ein genetisches Jahrhundertlos mögen die Zutaten für einen derartig langen diesseitigen Verbleib sein, eine Leistung stellt ein langes Leben aber dennoch nicht dar.

Es ist nicht nur die Erstellung, sondern auch die dreistündige televisionäre Aufbereitung von Listen wie 'Die 100 nervigsten Promis', die eine wirkungsvolle Waffe im Quotenkrieg der Privatsender darstellt. Meine Nummer 1 wäre nicht etwa Dieter Bohlen oder Bruce Darnell, sondern eindeutig Johannes Heesters. Aus Respekt vor dem Alter würde es aber niemand wagen, ihn in die Liste aufzunehmen.

Langzeitbelichtung einer U-Bahn

Medhi

Foto: Medhi

Alleine vom Alter ausgehend hockt also diese Auswahl rechtmäßig.

Nun gilt es aber auch noch, die Zahl der Behinderten und Schwangeren in der Gruppe der Jüngeren zu eruieren. Gibt es derer exemplarisch acht, müssen diese mit den acht jüngsten aus der alten Gruppe tauschen.

Sind bei den acht jüngsten der ältesten Gruppe jedoch Behinderte oder Kleinkinder dabei - Schwangerschaft kommt in der alten Gruppe selten vor - dürfen diese trotzdem bleiben, die Nächstälteren rücken dafür auf die Stehplätze nach, denn körperliche Nachteile in Kombination mit den Einbußen der Betagtheit stechen naturgemäß immer.

Alter ist keine Kategorie, sondern bezeichnet einzig und alleine die Anzahl der Jahre, die seit der Geburt eines Menschen vergangen sind. Man ist nicht so alt, wie man sich fühlt. Man ist zum Beispiel sieben oder neunundfünfzig Jahre alt - mir würden noch hunderte Beispiele einfallen. Respekt und Anerkennung verdient das Erleben einer überdurchschnittlich großen Zeitspanne allerdings nicht.

Vielerorts hat sich mittlerweile die Unsitte eingeschlichen, bei der Bekanntgabe eines Lebensalters, fast schon egal welcher Höhe, reflexartig zu applaudieren. In Talkshows auftretenden Mittfünfzigerinnen, die durch die rote Kolorierung einer Haarsträhne etwas frecher zu wirken begehren, schlägt frenetisches Krähen entgegen, wenn sie ihr Alter nennen, obwohl sie dafür genau nichts getan haben, außer zu warten.

Wenn ich im Rahmen meiner Inanspruchnahme des öffentlichen Nahverkehrs einem alten Mütterchen in edler Selbstlosigkeit meinen Sitzplatz überlasse *, geschieht dies nicht aus Ehrfurcht vor des Mütterchens Geburtsjahr. Ich erhebe mich aus demselben Motiv, das mich auch bei Kleinkindern aufschnellen lässt: Rücksichtnahme auf körperliche Defizite.

Dreierlei sollte man im Rahmen eines handelsüblichen Lebens verlieren: Den Respekt vor dem Alter an sich, die Unschuld und die Bedienungsanleitung für den Staubsauger.

Gerade in letzter Zeit zweifle ich jedoch sowohl an der Genauigkeit als auch an der reibungslosen Durchführbarkeit meiner Methode, nicht zuletzt deshalb, weil sie Kleinkinder ohne Begleitung völlig ausklammert, und denke eher an ein Punktesystem: Für jedes Lebensjahr - bei Kindern läuft die Vergabe invers - bekommt man Punkte, ebenso für jeden Schwangerschaftsmonat und den amtlichen Invaliditätsgrad. Die addierte Punktezahl wird in einer zentralen Datenbank gespeichert, laufend aktualisiert und automatisch auf den Fahrschein gedruckt, der dann natürlich nur noch mit einem Berechtigungschip erworben werden kann. Bei Bedarf, also dem Begehr, zu sitzen, kann man gegebenenfalls den Fahrschein der den Platz in Anspruch nehmenden Person vorweisen und diese durch eine höhere Punktezahl ohne Zank und Missgunst, sich nur auf Fakten berufend, höflich vertreiben. Bei gleicher Punktezahl entscheidet das Los.

Beide Methoden lassen bei genauerer Betrachtung trotz unwiderruflicher Korrektheit aber irgendwie Gefühl vermissen, weshalb ich sie weder in Leserbriefen darlege noch Behörden damit trieze.

Als dieser Text mir gerade ganz smooth, regelrecht easy-cheesy aus dem Federkiel zu rinnen begann, stellte ich fest, dass "die Geschäfte zumachen", es also später Samstagnachmittag war. Jetzt ist es Sonnabend-Abend und ich neurologisch am Ende.
Ich plante nämlich, neben Lebensmitteln auch Staubsauger-Säcke zu erwerben. Ich bin der letzte, der das Wort Zumutung auch nur denken würde, vor dem Sack-Regal war ich aber nahe dran, es auszusprechen. Ich kann mir nicht erklären, warum ich derlei Reinigungs-Zubehör noch nie zuvor gekauft habe. Irgendwie waren diese verfluchten Säcke immer einfach da. Und in einen solchen Sack passen ja schließlich auch mehrere Spinnen-Großfamilien.

Nun ist das so: Diese Dreckssäcke sind nicht etwa genormt - Nein! Es gibt sie in vielerlei Ausführungen, die mit anscheinend willkürlich gewählten Buchstaben-Zahlen-Kombinationen bezeichnet werden. Auf den Rückseiten der Schachteln befinden sich Auflistungen jener Staubsaugermodelle, die mit den jeweiligen Säcken kompatibel sind.

Meistens reicht es mir, bei akutem Groll einen Schokoladenikolaus zu zertreten. In diesem Falle kann ich leider nicht anders, als die geschätzten Leser zu langweilen und mir den Frust von der Seele zu schreiben.

Man kann ziemlich unerfüllt einige Minuten altern, wenn man die vielen Modell-Listen durchgeht, um (natürlich) bei der allerletzten Schachtel das eigene Gerät endlich zu finden. Richtig alt wird hingegen, wer diese Listen auswendig kann. Nicht für ersteres, aber für zweiteres respektiere, nein, verehre ich die Verkaufskraft, die für meinen ebenfalls niedergeschlagenen Nebenmann sofort den richtigen Staubsammelbeutel anriet.

"So eine gestelzte Überleitung!", gellt es da schallend. Erbarmungsvoll blickt da der Autor drein und sagt folgendes:

"Welch Irrtum, Kameraden! Staubsaugen passt super zu dieser Thematik. Könnte man mir eigentlich mal jemand erklären, was genau eine Thematik ist? Oder ist ein angefügtes -atig nur ein Rhetorik-Tool für Menschen, die ihre klobigen Vorträge gerne mit im Endeffekt pimpen, also sprachlicher Sondermüll? Ich hab jedenfalls so meine Problematik damit ... Doch eigentlich wollte ich meinen scheinbar verfehlten Themensprung rechtfertigen! Staubsauger beenden nämlich nicht nur die Biographien von Insekten, sondern inhalieren auch namensgebenden Staub. Und jetzt kommt's! (Folgende Information ist beispielhaft für jenes fragmentarische Viertelwissen, dessen Verlautbarung viele Menschen mit 'Ich habe mal bei Galileo gesehen# einleiten) Hausstaub auf Möbeln besteht zu 80% aus Hautschuppen, also sozusagen aus sterblichen Überresten. Hammer-Info, liebe Motorsportfreunde! Wobei: Warum sagt man eigentlich sterbliche Überreste? Die Überreste sind doch bereits tot, es müsste doch eigentlich gestorbene Überreste heißen. Wobei die Überreste ja auch nicht gestorben sind, es handelt sich ja vielmehr um die Reste dessen, der oder das dahingeschieden ist. Früher hängte man übrigens die Stricke für Sterbliche über Äste."

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.