Erstellt am: 21. 1. 2009 - 17:35 Uhr
Der rechte Rand
Seit Herbst 2008 ist es in Österreich zu einer Häufung rechtsextremer und neonazistischer Vorfälle gekommen, wie etwa ein Überfall auf eine Antifa-Organisation in Wien, die Teilnahme oberösterreichischer Neonazis an NPD-Aufmärschen in Passau und ähnliche Vorfälle.
FM4 Connected hat das zum Anlass genommen, sich heute Nachmittag in einem Schwerpunkt mit verschiedensten Aspekten von Neonazismus in Österreich zu beschäftigen.
Interview mit Andreas Peham
Andreas Peham vom DÖW beschäftigt sich seit Jahren mit der neonazistischen Szene in Österreich. Irmgard Wutscher hat mit ihm darüber gesprochen, wie die Neonazi-Szene in Österreich derzeit aufgebaut ist, welche neuen Entwicklungen sich abzeichnen und wie es mit Mädchen und Frauen in der rechten Szene aussieht.
Wie ist denn die Neonaziszene in Österreich derzeit aufgebaut, wie sind ihre Strukturen?
Andreas Peham: Sie ist regional sehr verschieden, sowohl in der Struktur wie in der politischen Ausrichtung. Entweder sich versteckend, als Traditionsverband gebend, oder in manchen Regionen, wie z.B. Oberösterreich oder Tirol mehr die Linke kopierend, mehr auf „autonom-nationalistisch“ machend. Vom sich harmlos gebenden Brauchtumsverein bis zu den Straßenkämpfern, die entsprechend posieren, ist die ganze Palette in Österreich vertreten.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass der Neonazismus sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht in den letzten Jahren enorm zugelegt hat. Es begann quantitativ mit einem Zulauf zur rechtsextremen und zur härteren Neonazi-Szene. Ich darf daran erinnern, dass laut Innenministerium die Anzeigen wegen rassistischen Gewalttaten sich von 2006 auf 2007 fast verdoppelt haben. Das ist immer auch in Beziehung zu setzen zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Denn gerade Jugendliche sind Seismografen von gesellschaftlichen Entwicklungen, sie greifen Stimmungen auf und exekutieren sie – hier vor allem den Rassismus. Das ist also parallel zur politischen Großwetterlage zu sehen, und die ist ja durch einen Rechtsruck gekennzeichnet, auch durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000. Man braucht sich also nicht wundern, dass so viele Jugendliche nach Rechts gegangen sind in den letzten Jahren.
Und dieses quantitative Wachstum schlägt natürlich an einem gewissen Punkt um in qualitatives, in eine organisatorische Verdichtung. Es kommt zur Ausbildung von Strukturen, hier vor allem in Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich aber auch im Wiener Raum. Und die Neonazis haben auch dazugelernt, sie reagieren auf behördlichen Druck, indem sie sich verstellen, v.a. die Sprache, aber auch indem sie ihre Organisationsformen anpassen. Nämlich durch Zellenbildung – und das haben sie von den Linksradikalen abgeschaut. Diese Zellen haben oft gar keinen Namen, die heiße freie Kräfte hier, Kameradschaft dort, und sind von Außen betrachtet sehr lockere Zusammenschlüsse. Das Wichtige ist: Es sind nie mehr als zehn, zwanzig Leute. Weil man weiß, ab einer gewisse Gruppengröße ist die Wahrscheinlichkeit, dass Spitzel hineinkommen oder Verräter hinauskommen, ungleich größer. Außerdem kennt die breite Basis sich untereinander nicht mehr, das heißt, man kann das auch nicht mehr so aufrollen wie früher. Das macht es natürlich auch sehr schwer für die Behörden, diese Neonazis aufzuspüren.
Sehen Sie auch die Tendenz, dass die rechten Organisationen weggehen von diesem Image des Schlägertrupps, hin zu einem seriöseren Auftreten?
Andreas Peham: Ja, aber diese Tendenz ist nicht wirklich neu, sondern gerade in Österreich wegen seiner Spezifika – Stichwort Verbotsgesetz und die sehr alten und gut verankerten rechtsextremen Parteien plus burschenschaftlichem Vorfeld – eigentlich schon lange gegeben. Und es zeigt sich auch oft, dass die Burschenschaften – gerade wie Grafs Olympia – als Scharnier zwischen dem noch legalen rechtsextremen und dem militanten bis neonazistischen Bereich dienen.
Die Tendenz zur Professionalisierung der rechten Szene zeigt sich aber auch in der Ästhetik. Da kommen ihnen natürlich auch die modernen Kommunikationsmittel zu Gute. Gerade in den Neunzigern, das ging auch von Deutschland aus, haben sie sich modernisiert, zum Beispiel die Homepages und die Publikationen. Wenn man so will, in gewisser Weise sind sie poppiger geworden. Sie haben auch ihr jugend- und subkulturelles Angebot diversifiziert. Es gibt - außer im HipHop, aber sogar hier gibt es im Bereich Gewalt, wildgewordene Männlichkeit und Homophobie einige Berührungspunkte - über Hardrock, Gothic oder Neofolk kaum eine Jugendkultur, die von sich behaupten könnte keine Probleme mit Rechten zu haben. Also das ist nicht mehr nur die Oi-Musik der Skinheads, die immer der Nazirock war.
Man kennt den Neonazismus auch nicht mehr beim ersten Hinsehen, so wie früher. Und ich halte das gar nicht einmal für so schlecht. Weil früher haben sich die Leute das zu einfach gemacht. Wenn einer nicht fünf Bier bestellend mit der rechten Hand und mit Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel herumzieht und „Sieg Heil!“ und Ausländer Raus!“ schreit, dann ist er schon kein Neonazi. Also das habe ich schon für ein bisschen bigott gehalten und es ist auch falsch. Insofern ist das vielleicht ganz gut, dass man sich von dieser Vorstellung verabschiedet, einen Neonazi äußerlich erkennen oder sofort identifizieren zu können.Das heißt, sie haben ihr Angebot diversifiziert, sie sehen auch anders aus, die klassischen Boneheads gibt's aber nach wie vor, auch in Österreich. Bei aller Professionalisierung, bei aller Modernisierung in jeder Hinsicht, eines bleibt gleich: Sie sind extrem gewalttätig und das nimmt zu. Das merken wir seit einem Jahr etwa. Das ist auch nicht überraschend: Wenn der Neonazismus gewachsen ist, sowohl qualitativ als auch quantitativ, dann wundert es nicht, dass die Zunahme an Gewalt nur eine Frage der Zeit war. Und es gibt da natürlich auch Signale an die Neonazis. Und wenn Drohungen und Überfälle von Neonazis zunehmen, dann ist gerade irgendwas. Und die haben im Herbst signifikant zugenommen. Das führen wir schon auf den Freispruch von vier Aktivisten des neonazistischen BFJ und ihres „alten Herrn“ von der Mutterorganisation AFP zurück. Dieser Freispruch hat eine ganz fatale Signalwirkung gehabt.
Aus dem Verfassungsschutzbericht erfährt man in einem Nebensatz, dass auch die Anzeigen gegen Frauen wegen rechtsextremer Straftaten gestiegen sind. Was wissen Sie denn von den Frauen in der rechten Szene?
Andreas Peham: Grundsätzlich sind mit dem Wachstum natürlich auch die Mädchen bzw. Frauen, die in der Szene sind, sichtbarer geworden. Ich würde aber behaupten, dass der Anteil Männer-Frauen relativ gleich geblieben ist. Generell kennen Rassismus und Antisemitismus keine Geschlechterunterschiede. Aber während Männer und Frauen gleich rassistisch und antisemitisch sind, sind Frauen nachweisbar weniger bereit ihre Vorurteile zu exekutieren. Das beginnt mit den weichen Formen, wie dem Wählen einer rechtsextremen Partei. Je weiter du dann nach rechts außen gehst, das heißt auch je gewalttätiger, desto weniger Frauen. Im Skinheadmilieu gibt es deutlich weniger Frauen als jetzt noch beim Ring Freiheitlicher Jugend, aber auch die sind sehr männerdominiert, wie überhaupt dem Rechtsextremismus als Ganzes eine männerbündische Struktur zu Eigen ist. Und das ist wenig überraschend, wenn man das Frauenbild des Rechtsextremismus kennt, das ja bestenfalls Reproduktion für die Frauen vorsieht. Also das macht den Rechtsextremismus auch aus, diese pronatalistischen Zumutungen an die Frauen in Zusammenhang mit Rassismus. Zu diesem Frauenbild kommt dann in den rechtsextremen Jugendkulturen, Stichwort Boneheads, auch noch eine extreme Abwertung als Sexualobjekt hinzu.
Gibt es so etwas wie eigenständige Frauenorganisationen in Österreich?
Andreas Peham: Nein, gibt es nicht. Es hat in Deutschland Versuche gegeben, wo die Frauen nicht nur auf Eigenständigkeit bedacht waren, sondern das war tatsächlich „völkischer Feminismus“ oder „Feminismus von Rechts“. Die haben gesagt: Wir wollen uns nicht länger auf den Status von Schutzobjekten - der zweite Status neben dem als Sexualobjekte - reduzieren lassen. Dagegen haben sie sich aufgelehnt und auch eigenständig organisiert. Es ist aber immer wieder dasselbe passiert, sie haben aufgegeben, weil sie von den eigenen Leuten tätlich angegriffen worden sind.
Eine eigenständige Organisierung ist in Österreich nur möglich in Form von Mädelschaften. Da gibt es in Wien und Graz zwei. Aber das darf man nicht überschätzen, denn die Mädelschaften sind die Entsprechung zu den Burschenschaften. Und sie sind, dadurch, dass es sie gibt, auch Teil des Ausschlusses. Die Mädchen dürfen nicht rein, deswegen organisieren sie sich so ähnlich wie eine Burschenschaft. Und - deswegen ist das auch nicht als frauenpolitische Organisation zu verstehen - sie dürfen ja bestimmte Sachen nicht: Sie dürfen keine Mensur fechten, sie trinken auch kein Bier, sondern Wein. Sie bleiben also eher ein Anhängsel. Die Hauptfunktion von solchen Mädelschaften ist für den WKR-Ball, der jetzt wieder droht, für die Burschen Mädels bereit zu stellen. Wir haben es hier eher mit einem „völkischen Heiratsmarkt“ zu tun. Also das würde ich nicht überschätzen.
Es kann sich auch etwas ändern. Es ist gerade auch sehr viel Dynamik in der Szene. Wenn die Mädels wirklich mehr und selbstbewusster werden, können sie auch in Österreich so etwas versuchen, aber die Erfolgsaussichten sind, wie wir aus Deutschland wissen, sehr gering. Vor allem weil die eigenen Männer das gar nicht gerne sehen, dass ihnen der Rang als Beschützende abgelaufen wird.
Und es gibt noch ein Phänomen, da weiß ich nicht, wie ich das bewerten soll, daher möchte ich es nur in den Raum stellen: Die FPÖ ist ja eher eine Männerpartei. Und bei der letzen Wahl war die ja Erste bei der Gruppe der ErstwählerInnen. Aber interessanterweise haben wir bei der Altergruppe der 16-Jährigen im Unterschied zum Rest der Bevölkerung einen Überhang der jungen Frauen bei den FPÖ-WählerInnen. Die schnelle Erklärung, und die will ich so nicht stehen lassen, weil sie die jungen Frauen auch entmündigt, ist, dass die den Strache so fesch finden und dass der sie anzieht. Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht Schutzbehauptungen sind. Also da muss man in nächster Zeit schon genauer schauen, was da passiert. Aber im Großen und Ganzen ist der Neonazismus eine männliche Subkultur und eine männerbündisch strukturierte Ideologie.
Schwerpunkt in Connected
Im Rahmen des Schwerpunkts "Neonazis in Österreich" gibt es heute, 21. Jänner 2009, in Connected (15-19 Uhr) unter anderem noch ein Interview mit Oliver Rathkolb, Professor für Zeitgeschichte der Universität Wien über das Verbotsgesetz.