Erstellt am: 20. 1. 2009 - 15:46 Uhr
Edgar Allan Poe Cottage
Gruselig die Anfahrt. In einer notdürftig versehrten U-Bahnstation am Columbus Circle plärrt eine Stimme Unverständliches aus dem Lautsprecher. NY-Besucher kennen das: gefangen in der Fahrplanänderung, verloren in der Kakophonie der Stationsdurchsagen. So warte ich vom C-Train umsteigend vergeblich auf den D-Express, der mich in den Norden der Bronx zur Kingsbridge Road bringen sollte. Die MTA und ihre Wochenendeingriffe in die Routen und Linien = The Horror, the Horror. Eineinhalb Stunden und einige Umwege später stehe ich vor der Edgar Allan Poe Cottage. Mein Tour-Guide, Mr. Green von der Bronx Historical Society, wartet schon.
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Hier, im ehemaligen Fordham, hat Poe seine letzten Lebensjahre verbracht. Hier ist seine abgöttisch geliebte Frau Virginia gestorben. Hier hat der Fürst des analytischen Horrors die hymnischen Gedichte Annabel Lee (angeblich als Hommage an seine Frau) und The Bells geschrieben. Und hier steht es noch immer, das kleine Landhaus aus dem Jahr 1813, die Edgar Allan Poe Cottage, die mittlerweile von der Bronx Historical Society verwaltet wird und zugleich Museum und Schrein für Literatur- und Gruselreisende aus aller Welt ist.
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Tatsächlich verirrt sich kaum jemand in die gut 12 Meilen nördlich vom Stadtzentrum gelegene Holzklitsche mit kleiner Südstaaten-Porch. Dementsprechend klamm und muffig wirkt die karge Bleibe. Die dunklen Räume und Abgründe, die Poe der Literatur erschaffen hat, sie finden sich auch in diesem Haus, mit seinen knarrenden Dielen und kargen Wänden.
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"Poe war bankrott, alkoholsüchtig und hatte eine Schreibblockade, als er 1846 mit seiner Frau und Schwiegermutter hierher gezogen ist", erklärt Tour-Guide Antony Green. Virginia litt an Tuberkulose. Fern vom Trubel Manhattans erhoffte sich die kleine Familie Ruhe und vor allem saubere Luft. Doch nur knapp ein Jahr nach dem Umzug aus Manhattan schied Virginia aus dem Leben.
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"Das Sterbebett ist eines von drei erhaltenen Originalstücken im Haus", so Green. Daneben ein kleines Kästchen, ein Profilbild der Hinweggerafften und ein leerer Stuhl. Wie viele Stunden hat Poe hier wohl ausgeharrt, an der Seite seiner sterbenskranken Frau? Zugegen, da ist ein Hauch von history thrill. Ein bisschen Trauer auch.
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And this was the reason that, long ago,
In this kingdom by the sea,
A wind blew out of a cloud, chilling
My beautiful Annabel Lee;
So that her high-born kinsman came
And bore her away from me,
To shut her up in a sepulchre
In this kingdom by the sea.
Anabell Lee (1849)
Antony erzählt die wechselvollen Geschichte des Hauses. Von zwei großen Stadtstraßen eingeschnürt liegt es heute am nördlichen Ende des winzigen Poe Parks unweit der Fordham University. Der Dichter berappte gut 100 Dollar Jahresmiete und spazierte stundenlang durch die Gegend, streunte an den Ufern des Hudson und East Rivers herum, um sich schließlich in eine der lokalen Tavernen zu verdrücken. Als nach seinem Tod das Dörfchen Fordham zu den Bronx von NY wurde, drohte die Cottage der rasanten Stadtentwicklung zum Opfer zu fallen. Eine Umbettung auf die gegenüberliegende Straßenseite in den Park rettete das Häuschen vor der geschichtsblinden Abrissbirne. Umgeben von Tenement-Buildings aus dem frühen 20. Jahrhunderts wirkt das Landhaus klein und zerbrechlich, so wie das kurze Glück der Familie Poe.
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Dem Sujet entsprechend verschlägt es jede Menge Obskuranten und schräge Vögel zur Cottage. Sie ist zwar weit entfernt von Fanaufläufen wie in Graceland oder Père Lachaise, "aber wir bekommen immer wieder Anfragen von Organisationen oder einzelnen Personen, die Séancen oder Geisterbeschwörungen im Hause abhalten wollen. Wir erlauben das aber nicht. Uns geht es ausschließlich um das historische Erbe Poes", so Mister Green von der Bronx Historical Society.
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Jene, die mittels Beschwörung vor Ort Kontakt mit dem Meister aufnehmen wollen, können das im Poe Park erledigen und dort auch die Raben anraven. Apropos Vögel. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem zweihundertsten Geburtstag des dunklen Dichterfürsten und der Notwasserung des mittlerweile legendären US Airways Fluges mit der Nummer 1549 nur wenige Tage zuvor unweit der letzten Wohnstätte Poes im Hudson River konnte bis dato noch nicht hergestellt werden. Trotz Federvieh im Triebwerk, das ginge dann doch zu weit.
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Obwohl, "ich glaube ja nicht an das Paranormale, doch bei Poe ist alles möglich", meint der Historiker Green verschmitzt und erzählt zum Abschluss der Führung die Schnurre von einer Mitarbeiterin, die an einem Geburtstag Poes in der Cottage übernachtete. "Seither wagt sie sich nicht mehr allein ins Haus". Kein Geringerer als der Meister selbst habe ihren Schlaf gestört.