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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

19. 1. 2009 - 12:18

Edgar Allan Poe (1809-1849)

Am 19. Jänner wäre Edgar Allan Poe zweihundert Jahre alt geworden. Aus Jubiläumsanlass eine skizzenhafte Annäherung an den eindruckvollsten amerikanischen Klassiker.

Von einem gewissen deutschen Buch hat man gesagt: 'Es lässt sich nicht lesen.' So gibt es auch manche Geheimnisse, die sich nicht erzählen lassen.
(E.A. Poe, "Der Mann in der Menge")

Analog zu diesen ersten Sätzen von "Der Mann in der Menge" lässt sich auch vom Autor Edgar Allan Poe (1809-1849) selbst sagen, dass seine Person, sein Schaffen und Wirken sich nicht vollständig fassen lassen. Wenn man in die damalige Welt des amerikanischen Schriftstellers, in seine Familiengeschichte, seine eruptive Arbeitsweise und persönlichen Kämpfe tiefer vordringt, ergibt sich ein zerbrechliches und komplexes Psychogramm.

Edgar Allan Poe

DPA

Edgar Allan Poe gilt nicht nur als Erfinder der Horror- und Detektivgeschichte, erster Theoretiker der Kurzgeschichte und Ahnherr phantastischer Erzählungen, sondern auch als unamerikanischster und zugleich einflussreichster Klassiker Amerikas. Dieser scheinbare Gegensatz wird verständlicher, wenn man hinter die Werke des in Europa warscheinlich bekanntesten amerikanischen Literaten des neunzehnten Jahrhunderts blickt.

Poes Makrokosmos

Zur Lebzeit Poes wuchs die amerikanische Bevölkerung von rund sieben auf über siebzehn Millionen Einwohner. Vor allem die territoriale Erweiterung in Richtung Westen veränderte das Land, das sich nach dem Friedensschluss von Gent 1814 immer mehr von Europa abnabelte und alle Kräfte in seine Emanzipation steckte. Ökonomisch erzeugten Innovationen wie die Dampfschifffahrt und die Eisenbahn eine enorme Schubkraft, wobei mit der Ansiedlung im Westen auch das dunkle Kapitel der Vertreibung der Cherokee Indianer geschrieben wurde. Und in den 1830igern bildete sich eine Anti-Sklaverei-Bewegung heraus, die in weiterer Folge zum Bürgerkrieg führte.

Die politische Lage Poes erster Lebenshälfte wurde vor allem von der Präsidentschaft Andrew Jacksons geprägt. Seine "Jacksonian Democracy" fußte auf einem demokratischen Egalitätsprinzip, dass allerdings nur für weiße Bürger galt. Poe selbst, überzeugter Südstaatler, zeigte sich in seiner Schaffensphase als Gegner der Demokratie, indem er dieser "Herrschaft des Mobs" mit verschiedenen Satiren immer wieder Seitenhiebe verpasste. Darüber hinaus stand Poe dem damals herrschenden, moralischen Pathos des Puritanisums ebenso ablehnend gegenüber wie der Vernunftgläubigkeit der Aufklärung. Allein dadurch wird schon verständlich, warum Poe mit seinen teils grausamen Horrorgeschichten und utopischen, grotesk phantastischen Erzählungen auf massive Ablehnung stieß.

Poes Mikrokosmos

Auch Poes Familiengeschichte hat seine Werke maßgeblich geprägt. Seine Eltern Elizabeth Arnold und David Poe zogen als Schauspieler von Stadt zu Stadt, wobei damals das Theater noch immer als sündhafte Einrichtung galt. Deshalb war David Poes Beziehung zu seinem Vater, der ihn aus der Familie verstieß, von flehenden Bettelbriefen, Aussöhnungsversuchen und enttäuschten Anklagen geprägt. Ein Bild, das sich in Edgar Allan Poes Leben wiederholen sollte.

Als Edgar 1809 in Boston auf die Welt kam, hatte sich sein Vater bereits aus dem Staub gemacht und ihn mit seiner schwerkranken Mutter und seinem Bruder Willian zurückgelassen. Zwei Jahre darauf stirbt Poes Mutter an Tuberkulose, wobei der kleine Edgar an ihrem Totenbett saß. Das Bild der schönen, sterbenden Frau, das den damals dreijährigen Buben nicht mehr losließ, wurde zur obsessiven Vorstellung von Edgar Allan Poe. Immer wieder tauchen in seinen Geschichte Beschreibungen junger Frauen auf, die auf seine Mutter und seine Cousine Virginia, die er später heiratet, passen und die geisterhaft aus der Welt der Toten ihren Weg ins Diesseits zurückfinden. So bildet sich über die Zeit ein zweigeteiltes Verlangen heraus, das einerseits durch mütterliche Zuneigung und andererseits durch die Annerkennung seiner männlichen Seite gestillt werden will.

Poes restliches familiäres Leben war in entscheidenden Momenten von Demütigungen geprägt. Denn sein Ziehvater John Allan hält Edgar nach anfänglicher Unterstützung an so kurzer Leine, dass er schließlich sein Studium hoch verschuldet abbrechen muss. Als Poe dann seinen aus Geldgründen angetretenen Militärdienst abbricht, wiederholt sich in der Beziehung zu seinem Pflegevater das Wechselspiel zwischen Versuchung einer Aussöhnung, demütigenden Bettelbriefen und harten Attacken.

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Einzig die Heirat mit seiner Cousine Virginia und die enge Bindung an ihre Mutter Maria Clemm, Poes Tante und zugleich Schwiegermutter, scheint ihm in seinem von Abstürzen und Selbstzerstörung geprägten Leben einen gewissen Halt und zeitweilig festen Boden unter den Füßen gegeben zu haben.

Poes Arbeit

Für Schriftsteller wurde das neunzehnte Jahrhundert in Amerika durch die Formel der diffusion of knowledge, also der Verbreitung von Wissen, geprägt. Damit ging die Idee einher, Zeitungen kostenlos und Zeitschriften verbilligt zu verschicken. Dementsprechend florierte das Zeitungs- und Zeitschriftenwesen, das sich während Poes Lebenszeit versechsfachte. Selbst in Poes dunkelsten und ärmsten Zeiten gelang es ihm, sich und seine Familie durch das Schreiben von Erzählungen, Essays und Rezensionen über Wasser zu halten. Doch letztgenannte waren auch Poes Fluch. Mit seinen harten Kritiken an damaligen Schreibern machte er sich immer wieder mächtige Feinde und schoss nicht selten mit untergriffigen Formulierungen derart übers Ziel hinaus, dass auch sein öffentliches Ansehen litt.

Selbst wenn Poe mit seinen Erzählungen und der intensiven Arbeit bei Zeitschriften Erfolge verzeichnen konnte, wirkten sie sich nicht finanziell aus. Denn einerseits wurde ihm nie der Status eines Herausgebers zuerkannt, auch wenn er dessen verantwortungsvolle Arbeit eigentlich verrichtete, und andererseits weigerte sich die damalige Regierung, ein internationales Copyright anzuerkennen. So sah Poe weder von den Kopien seines weltbekannten Gedichts "Der Rabe", noch von Abschriften seines Glanzstücks "Der Goldkäfer" je einen Penny.

Vielleicht erklärt sich daraus auch sein unglaublicher Machthunger und seine extremen Machtspiele, mit denen er versuchte, der Welt seine literarische Überlegenheit zu demonstrieren.

Poes Themen

Die Vielfältigkeit von Poes Werk ist nicht nur für die damalige Zeit beeindruckend. Bekannt ist er vorrangig für sein unglaubliches Geschick, den Leser das Gruseln zu lehren und ihn mit kunstvoller Sprache in einen Sog des Horrors zu schleudern. Zum Beispiel wenn durch das alte unheimliche Haus Usher die gequälten Todesschreie einer lebendig begrabenen Frau schallen. Oder wenn der rote Tod sich auf den Maskenball eines Schlosses einschleicht, um die feiernden Gäste, die sich dort vor der unheilvollen Pestilenz verstecken, qualvoll dahinzuraffen.

Auf der anderen Seite des Grauens stehen seine Werke der ratiocination. Darin klärt sein Amateurdetektiv Dupin die "Die Morde in der Rue Morgue" und lüftet "Das Geheimnis um Marie Rogêt". Diese Erzählungen gelten als Vorläufer der Krimiromanliteratur, wobei Poes Held durch logisch-analytische Aufklärung scharfsinnig jedes noch so schwere Rätsel zu lösen weiß.

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Die meisten seiner Werke sind jedoch Satiren und Grotesken, die auf einen hoax, einen Witz hinzielen, und mit denen er den Leser irreführt und damit seine Machtposition demonstriert. Auch sein einziger Roman "Der Bericht des A. Gordon Pym" wird von einigen Literaturwissenschaftern dem grotesken, phantastischen Jux zugeschrieben. Weit weniger bekannt ist sein im Prinzip ambitioniertestes Werk "Eureka", in dem er versucht, den Kosmos von seinem Ursprung bis zu seinem Ende zu erklären.

Darüber hinaus gibt es viele Themen, die immer wieder in all seinen Werken auftauchen. Ihnen gemeinsam sind Grenzüberschreitungen, entweder zwischen Leben und Tod, Vernunft und Wahnsinn oder Macht und Ohnmacht.

Quellen:

Hans-Dieter Gelfert, Edgar Allan Poe. Am Rande des Malstroms, Verlag C.H.Beck 2008.

Frank T. Zumbach, E.A. Poe - Eine Biografie, Patmos Paperback 2007.

Edgar Allan Poe, Sämtliche Erzählungen, Insel Taschenbuch Verlag 2008. Herausgegeben von Günter Gentsch. Aus dem Amerikanischen von Barbara Cramer-Nauhaus, Erika Gröger, Heide Steiner, Andrea Sachs und Ruprecht Willnow.

Was wohl die meisten Menschen an Edgar Allan Poe faszinieren mag, sind neben seiner erzählerischen Kraft die Mythen, die sich um sein Leben und vor allem seinen Tod 1949 in Baltimor ranken, der bis heute ungeklärt bleibt. Seine Flucht in Alkoholexzesse, die Poe immer genau dann angetreten hat, als ihm das Leben eigentlich Gutes widerfahren ließ, angebliche Liebschaften und seine Obsession für kindliche Frauen, gescheiterte Selbstmordversuche und sein plötzliches Ableben, das viele Theorien heraufbeschworen hat, das alles mischt sich mit Poes Figuren, die von einem imp of the perverse, einem "Kobold des Perversen", beherrscht werden. Einer wie Poe es ausdrückt "radikalen, primitiven, ununterdrückbaren Neigung", die in der Psyche jedes Menschen verankert ist. Dieser Kobold scheint sich auch in Poes Innerem zu spiegeln. Nicht umsonst antwortete der amerikanische Literat auf den Vorwurf, er stehe in der Tradition der Deutschen Schauerromantik:

"Wenn in vielen meiner Produktionen der Schrecken das Thema ist, so behaupte ich, dass dieser Schrecken nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele kommt."
(E. A. Poe in einem Vorwort der ersten gesammelten Ausgabe seiner Erzählungen)