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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 1. 2009 - 18:56

Blind vor Hass

'Blindness - Die Stadt der Blinden' untersucht menschliches Verhalten im Angesicht der Apokalypse.

Wie reagieren Menschen in Extremsituationen? Gibt es so etwas wie angeborenes Mitgefühl? Oder verwandelt sich der Homo sapiens in bedrohlichen Ausnahmefällen in ein egoistisches Raubtier? Ist der kultivierte Umgang miteinander nur eine zivilisatorische Fassade? Können wir ohne strenge Regeln und Gesetze überhaupt miteinander umgehen?

Würde man hier im Forum solche Fragen stellen, die Reaktionen fielen wohl denkbar konträr aus. Auch in meinem Freundeskreis finden sich grundsätzliche Schwarzseher ebenso wie unerschütterliche Humanisten, die die Gründe für die allgegenwärtige Gewalt in der Welt einzig in sozialen Umständen suchen. Oder dem Kapitalismus die Schuld zuweisen, der Opfer in Täter verwandelt.

Ich bin, wie in vielen Bereichen, ein Zerrissener, allerdings in diesem Fall mit einem starken Hang zum Pessimismus. Ich freue mich über jeden Lichtblick, über jeden alltäglichen Moment der Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit, der meine Vorurteile ins Schwanken bringt. Ich weigere mich auch, gewisse Hoffnungsschimmer aufzugeben.

Auf der anderen Seite rennen all jene Philosophen und Künstler, die in ihren Arbeiten dem Menschen einen erbärmlichen Befund ausstellen, bei mir schon immer offene Türen ein.

Auch der portugiesische Literaturpreisträger José Saramago entwirft in seinem Buch 'Die Stadt der Blinden' ein katastrophales Szenario, in dem alle gesellschaftlichen Ordnungen zusammenbrechen. Es beginnt mit einem Mann, der am Steuer seines Autos plötzlich erblindet. Nicht schwarz wird ihm vor Augen, sondern eine Welle von weißem Licht überstrahlt alles.

Julianne Moore und Mark Ruffalo

Kinowelt

Wie eine Epidemie breitet sich die geheimnisvolle Krankheit in der Stadt aus, immer mehr Bewohner erblinden ohne erkennbare Ursache. Auch ein Augenarzt und seine Frau landen dabei in einem der primitiven Quarantänelager, die die hilflose Regierung errichtet. Ganz auf sich allein gestellt, ohne Betreuung jeglicher Art, werden die Blinden in einer verlassenen Heilanstalt eingesperrt, jeder Fluchtversuch endet mit dem Tod.

Die zentralen Protagonisten von José Saramagos allegorischem Roman bleiben namenlos, so wie die anonyme Stadt einfach den Prototyp einer riesigen Metropole darstellt.

Regisseur Fernando Meirelles, durch sein Favela-Drama 'Cidade de Deus' ('City Of God') berühmt geworden, hält sich in dieser Hinsicht genau an die Buchvorlage. Aber er gibt den Erkrankten in 'Blindness' natürlich Gesichter. Der stets beeindruckende Mark Ruffalo spielt den Arzt, der selber erblindet, die große Julianne Moore schlüpft in die Rolle seiner Frau, die als einzige ihr Augenlicht nicht verliert.

Gael Garc?a Bernal symbolisiert als kleiner Durchschnittsbürger, der sich zum Herrscher der Heilanstalt aufschwingt, jene Unerbittlichkeit, von der Film und Buchvorlage grundsätzlich erzählen.

Es sind diese und andere Akteure und ihr Einsatz, die 'Blindness' sehenswert und stellenweise wirklich erschütternd machen. Wenn das Chaos in der Quarantänestation ausbricht und die rohe Brutalität regiert, wenn die Masken des Alltags fallen und sich alles nur noch um Nahrung und rohe Triebe dreht, wenn Julianne Moore dann als vernünftige Frau zur heftigen Gegengewalt greifen muss, dann ist dieser Film am stärksten.

Gael García Bernal

Kinowelt

Es gibt, neben solchen intensiven Szenen, aber auch etliche nervige Momente, in denen 'Blindness' gänzlich zu einer platten Parabel wird. Wir Menschen sind dem Unglück in der Welt gegenüber schon immer blind gewesen, will uns Fernando Meirelles auf den Spuren von Saramago dann sagen.

Der Sehverlust als Holzhammer-Metapher für Ignoranz und Verantwortungslosigkeit: Danny Glover darf dazu als alter blinder Sandler prätentiöse Monologe absondern und immer wieder die beklemmende Atmosphäre zerstören.

Auch formal ist 'Die Stadt der Blinden' eine zwiespältige Sache. Der Film bemüht sich redlich, mit Filtern und Überbelichtungen, die gleißende Helle zu erzeugen, in der die Menschen versinken. Aber die visuellen Spielereien, die zum Markenzeichen des ehemaligen Werbefilmers Fernando Meirelles gehören, werden dem Horror der Erblindung nicht gerecht. Es wäre allerdings vermessen, vom Kino so eine Erfahrung zu verlangen.

Mehr zum Film

Was bleibt letztlich von 'Blindness'? Stellenweise packendes Schauspiel, einige beängstigende Augenblicke, die man nicht so schnell vergisst, aber auch viel manieristisches Kunstgewerbe. Die essentiellen Fragen über unser Zusammenleben in heftigen Krisenzeiten bleiben natürlich weiterhin offen.

Szenenfoto aus "Stadt der Blinden": Die Internierten beratschlagen sich in ihrem Schlafsaal.

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