Erstellt am: 9. 1. 2009 - 17:14 Uhr
Böse Jugend
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APA / Georg Hochmuth
Die Kriminalität ist in Österreich 2008 verglichen mit dem Jahr zuvor zurückgegangen. Doch das Minus von mehr als 21.000 Strafanzeigen oder 3,6 Prozent lässt Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) "nicht in Jubelstimmung" verfallen.
Sorgen macht sich die Ministerin vor allen wegen des "rasanten Anstiegs der Kinder-und Jugendkriminalität": 25,8 Prozent mehr Kinder (unter 14 Jahre alt) wurden angezeigt und 8,6 Prozent mehr Jugendliche (14-18 Jahre alt). Wie aussagekräftig dieses Zahlenmaterial ist, wollte ich von Dr. Arno Pilgram, Forscher am Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, wissen.
Christoph Weiss (CW): Jedes Jahr erscheint die Kriminalstatistik. Welche Erwartung haben Sie als Kriminalsoziologe an deren Publikation?
Arno Pilgram (AP): Für jemanden, der sich wissenschaflich im Bereich der Kriminalsoziologie bewegt, ist sie natürlich eine ganz wichtige Information - die Frage ist nur worüber? Es ist im wesentlichen eine Statistik über Anzeigenerstattung.
(CW): Nun geben Jugendliche in dieser Statistik seit einigen Jahren kein so gutes Bild ab. Heuer fällt besonders eine Zahl auf: Bei den 10- bis 14-Jährigen gibt es im Vergleich mit dem Jahr 2007 einen Anstieg der Strafanzeigen um 25,8 Prozent. Ist das nun eine Zahl angesicht derer man sagen muss: Unsere Kinder werden immer krimineller?
(AP): Das hat nichts mit einer in dieser Größenordnung gesicherten Kriminalitätsentwicklung in dieser Altersgruppe zu tun. Sondern es hat sehr stark damit zu tun, dass inzwischen selbst Strafunmündige angezeigt werden, dass die Anzeigen auch von der Polizei entgegengenommen und der Staatsanwaltschaft weitergemeldet werden - obwohl die Staatsanwaltschaft diese Verfahren, weil es sich um Strafunmündige handelt, sofort einstellt.
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Arno Pilgram
(CW): Das war früher nicht so?
(AP): Dass man Kinder anzeigt und mit Kindern Konflikte nicht pädagogisch oder durch Intervention an Ort und Stelle bewältigt, sondern gleich die Polizei anruft, ist ja an sich etwas Sonderbares. Normalerweise werden Schwierigkeiten mit Strafunmündigen anders abgearbeitet. Man muss also die Frage stellen: Was führt dazu, dass in diesem Ausmaß Schwierigkeiten, Probleme und Konflikte, die Kinder verursachen, jetzt mit Hilfe der Polizei gelöst werden sollen.
(CW): Gilt das, was sie über Kinder gesagt haben, auch für Jugendliche? Denn in der Altergruppe der 14- bis 18-Jährigen gibt es in der neuen Statistik ja auch einen Anstieg der Strafanzeigen um 8,6 Prozent.
(AP): Man muss auch bei den Jugendlichen überlegen: Was ist bedingt dadurch, dass man anders mit ihnen umgeht? Und was ist im jugendlichen Sozialverhalten neu? Ein Großteil der Kinder- und Jugendstraftaten passiert innerhalb der Altersgruppe. Wie konflikthaft eine solche Altersgruppe ist hängt auch damit zusammen, wie homogen oder inhomogen sie zusammengesetzt ist. Wenn hier die soziale oder ethnische Heterogenität zunimmt, gehen manchmal Mittel verloren, Konflikte innerhalb der Altergruppe selbst zu bewältigen. Also kommt aus Hilflosigkeit zur Konfliktlösung öfter der Notruf bei der Polizei. Das andere ist, dass auch im Gesundheitswesen jetzt stärker darauf geschaut wird, bei Verletzungen Regressforderungen für entstandene Gesundheitskosten durchzusetzen. Daher kommt es auch hier zu mehr Strafanzeigen als früher.
(CW): 2002 hat die blau-schwarze Regierung den Jugendgerichtshof aufgelöst. Der damalige Präsident des Jugendgerichtshofs, Udo Jesionek, hat damals gewarnt, dass diese Auflösung langfristig zu einem Anstieg der Jugendkriminalität führen wird. Sehen sie heute so einen Zusammenhang?
(AP): Eine Rolle spielen kann die Ausstattung der Jugendwohlfahrt, die bei Anzeigen gegen Kinder und Jugendliche Erziehungshilfe leistet. Die Kapazität dieses Systems ist im Bereich der Kriminalprävention wichtig. Zu diesem System der Jugendwohlfahrt gehören auch der Jugendgerichtshof und die Jugendgerichtshilfe, so würde ich das einordnen, - das war ein wichtiger Bestandteil, da waren Kompetenz und Knowhow vorhanden. Ihre Abschaffung hat sicher nicht dazu beigetragen, im Bereich der Jugendkriminalprävention die Dinge zu verbessern. Ob die Abschaffung wirklich schuld ist an dem jetzt koloportierten Anstieg der Jugendkriminalität? So weit würde ich dann wieder nicht gehen.
(CW): Danke für das Interview.
Zum Nachhören
Das Gespräch mit Arno Pilgram gibt's auch als FM4 Interview Podcast.