Erstellt am: 8. 1. 2009 - 22:05 Uhr
Ich, der Pisten-Rowdy
Radio FM4 / Christian Lehner
Die Kante
Vom Sessellift aus ahnt man Schlimmes: die Beine breit im "Kacherl Stil" fetzt er schwunglos den Steilhang hinunter. Die Skier unruhig, der Körper wackelt. Trotzdem full speed. Den Sprung über die Kante steht der ungeübte Kachler nur knapp. Ein kurzer Aufschrei. Die darunterwartende Skigruppe mit einigen Kleinkindern entgeht der Filetierung nur um wenige Inches. Der Kachler heizt ungerührt weiter.
Es sollte der einzige Pisten-Bully bleiben, der mir in vier Tagen Skifahren in Vermont nahe der kanadischen Grenze begegnete.
Pistengaudi in den USA ist anders, angenehmer.
The Good American
Nach acht Jahren Bush-Regentschaft kann man ja nicht gerade behaupten, dass die Erdenbewohner-Kategorie des "US-Amerikaners" synonym für ein friedliches Miteinander unter dem Aspekt sozialer Gerechtigkeit steht. Niemand weiß das besser als die BewohnerInnen meines Gastlandes, die sich im November bekanntermaßen für eine Kurskorrektur entschieden haben.
File under president elect.
Eines kann man aber von den Amis nicht behaupten, nämlich dass sie auf den Skipisten Krieg führen. Im Gegenteil. Was jedem - aus Österreich kommenden - US-Erstbesucher auffällt: die Disziplin, Höflichkeit und der gegenseitige Respekt beim Anstellen vor Kinosälen, Konzerthäusern, der U-Bahn usw. gilt auch für das Verhalten beim Skilift und auf der Piste selbst.
Um Leben und Material
Da mögen sich die Hänge und die Ausdehnung des Killington Ski-Resorts im Vergleich zu den heimischen Skischaukeln und Gletscherparadiesen äußerst bescheiden ausnehmen.
Der Genussfaktor ist ungemein höher. Man muss sich weniger Sorgen um Leben und Material machen.
Natürlich gibt es auch hier die Aufzeiger und Aufgeiger, den ungeduldigen lokalen Nachwuchs, der mit Hochmut und Schmäh nach vorne drängt und mit steilen Turns und Schwüngen den Gästen eine etwas ärmliche Überlegenheit zu demonstrieren versucht, die Speedfreaks unter den Urlaubern und die sich selbst überschätzenden Anfänger und übermütigen Gelegenheitsläufer.
Grundsätzlich aber herrscht Rück- und Umsicht auf der Piste oder beim Anstellen am Lift. Ich habe mich beim Skifahren noch nie so sicher gefühlt, wie in diesen vier frühen Januartagen in Vermont und ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass mir irgendjemand hinten auf die Brettln gestiegen wäre. Von Animositäten zwischen Snowboardern und Skifahrern auch keine Spur. A great experience indeed!
Radio FM4 / Christian Lehner
Kein Warmsaufen
Gut möglich, dass diese Kultur des Pistenfriedens auf die Absenz von Alkoholika in den lokalen Skihütten zurückzuführen ist (zumindest dort, wo ich war).
"Warmsaufen" scheint im Gegensatz zu Österreich kein Thema.
Der ehemalige Skirennläufer in mir (OÖ-Jugendcup) tippt aber auch noch auf andere Ursachen.
Selbst wenn der Gesamtweltcup der Frauen und Männer 2007/2008 an US-Amerikaner gegangen ist: Skifahren bleibt im Amiland weiterhin eine Rand- bzw Familiensportart mit elitärem Charakter.
Weder die Mahre-Brüder in den 80er Jahren noch der in Sachen Rampensau sehr österreichische "Bode" oder Lindsey Vonn konnten und können das ändern.
Die mediale Präsenz des Skisports tendiert in den großen Networks gegen Null. Die bliebteste Wintersportart im US-Fernsehen bleibt das Kunsteislaufen der Damen.
Kein Massensport
Diese Marginalisierung sorgt nicht nur für lichtere Reihen auf den Pisten. Sie nimmt darüber hinaus dem Sport am so wichtigen Level der Anbahnung jenen kompetitiven Charakter, der das Bully-Tum auf die Stufe einer quasi-notwendigen Tugend hebt, um überhaupt wettbewerbsfähig zu werden (ähnlich verhält es sich in den USA - laut Chuck Klosterman - im Übrigen mit Soccer).
Der Initial-Druck fällt weg. Skifahren wird nicht automatisch mit Wettbewerb gleichgesetzt, die restlichen Pistensurfer nicht mit potentiellen Gegnern.
Klar, Sicherheit war in meiner kurzen, aktiven Zeit als Skirennläufer sehr wohl ein Thema. Sie wurde aber stets von den Trainern augenzwinkernd und im üblichen Jargon "burschikoser Motivation" unterlaufen.
Insofern ist die aktuelle Sicherheitsdiskussion in Bezug auf Skifahren in Österreich sicher notwendig aber auch ein bisschen verlogen - so wie jene übers Komasaufen. Behandelt werden Symptome statt Ursachen. Wohl auch deshalb, weil Sportverbände und Tourismusindustrie vom schneidigen Image des Skifahrens und seiner Athleten profitieren.
Ich hätt gern einen Helm mit Blaulicht.
Über Unfälle auf der Piste, Erste Hilfe, die FIS-Regeln, Helme und Schlepplifte.
Radio FM4 / Christian Lehner
Mea Culpa
Ich will mich davon gar nicht ausnehmen.
Da beobachte ich noch kopfschüttelnd den im ersten Absatz beschriebenen Kachler, nur um wenig später für ein Foto einen Einstauber in die Piste zu schneiden, der mit dem einzigen selbstverursachten Sturz des ganzen Urlaubs endete.
Ich, der Pisten-Rowdy.
Die linke Schulter schmerzt noch heute ...