Erstellt am: 6. 1. 2009 - 16:24 Uhr
Linz in Tracht und Pracht
Zwei fesche Madln in Dirndl mit traditionller Goldhauben-Tracht öffnen die Fensterläden und frei wird der Blick auf das oberösterreichische Donautal. Ein gastfreundliches Lächeln zurück in die Kamera und los geht's: Der Dachsteingletscher spiegelt sich im Gosausee, ein Schwenk über rustikale Vierkanthöfe mit noch viel rustikaleren Menschen davor, dann erstrahlt das Benediktinerstift Kremsmünster in vollem Glanze.
ORF
Der Beginn dieses Films ist nicht etwa die visuelle Untermalung der aktuellen Stadlgaudi oder eines ähnlichen Formats, irgendwo zwischen alpiner Fremdenverkehrs-Promo und volkstümlicher Hitschleuder, sondern der 'Pausenfilm' des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker, also einer der prominentesten Sendeplätze des österreichischen Medienjahrs. Ungefähr eine Million Zuschauer/innen saßen allein in Österreich vor dem Fernseher, als Linz sich dort als die europäische Kulturhauptstadt 2009 präsentierte. 70 Fernsehsender übertragen das Konzert für potentiell 50 Millionen Seher/innen weltweit.
ORF
Die Kühe grasen friedlich im Vordergrund, wenn sich der erste Blick auf die neue Kulturhauptstadt auftut. Und sie geben einiges über den Kulturbegriff preis, der hier transportiert wird. Sie sollen von den tiefen Wurzeln des Landes erzählen, der Bodenständigkeit, von seiner Verbundenheit zur bäuerlichen Lebensart, den klerikalen
Verpflichtungen und der Liebe zur Folklore.
Aber nicht nur davon handelt der Film. Auch die Kulturbauten der Stadt mit ihren leuchtenden Fassaden haben Platz. Lentos, Ars Electronica Center, Brucknerhaus, jedes Gebäude bekommt seinen eigenen Schwenk. Die Fassade muss allerdings reichen, um das Bauwerk zu begreifen, denn die Funktion, die Architektur hier spielen darf, wird auf eine rein repräsentative reduziert. Platz für inhaltliche Auseinandersetzung und für ambitionierte Projekte zeitgenössischer Kunst bleibt leider nur am Schluss, wo das Pixelhotel das Hintergrundbild für den Abspann sein darf.
Linz verändert?
Linz09
"Linz verändert" hat sich die Kulturhauptstadt als Motto auf die Brust geheftet. "Linz bleibt gleich", möchte man dem Pausenfilm antworten, denn der Mainstream kultureller Wertschöpfung und Produktion, wie man ihn aus Österreich kennt, wird bestärkt und darf weiter seinen repräsentativen Tätigkeiten nachkommen. Dabei wäre die Auswahl an ambitionierten Arbeiten, die dem entgegenwirken, groß genug, wie ein kleiner Rundgang in Linz zum Thema Gastfreundschaft beweist.
Patricia Marchart
Drei Königinnen
Die Drei Königinnen gehen in der Linzer Altstadt von Tür zu Tür und zeichnen dabei eine "(U)topografie der Linzer Gastfreundschaft". Ihr Kontext ist weniger der der heiligen Schrift, die drei Königinnen sind "eine dunkelhäutige Migrantin, eine junge Punkerin und eine Wirtschaftsfrau". Die Idee von Gastfreundschaft, wie sie auch der Pausenfilm so schön ins rechte Licht gerückt hat, wird hier reflektiert und zum Politikum gemacht.
Mit dem Klischee der heiligen drei Könige verschaffen sie sich Zutritt zu privaten Wohungen. Dort führen sie hartnäckige Rechercheinterviews und machen sich so auf die Suche nach Alltagsrassismen und nach Konflikten in der Linzer Altstadt. "Wir benutzen die Klischees und den damit verbundenen Exotismus der heiligen drei Könige nicht nur, wir besetzen sie", erklärt Marissa Lobo. Die Resultate ihrer Forschungen und die filmischen Dokumentation werden täglich im Kulturzentrum maiz diskutiert und zeugen von einem partizipatorischen, diskuriven Kunstbegriff irgendwo zwischen politischem Aktivismus und Sozialforschung.
Linz 09
Kommen und Gehen
An allen wichtigen Einfahrtsstraßen der Stadt werden die Besucher/innen von Linz 09 mit neuen Ortstafeln konfrontiert, die das Wort "Linz" in einer anderen Sprache und einer anderen Schrift zeigten. Social Impact will mit den für die Mehrheitsgesellschaft fremdsprachigen Schriftzeichen die Pluralität der in Linz lebenden Menschen sichtbar machen. Das offensive Agieren mit Mehrsprachigkeit fordert jene demokratische Grundhaltung ein, die, laut social impact, in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens wünschenswert und nötig ist.
Pixelhotel
Auf der Suche nach Geschichten abseits von rein repräsentativen Orten der Kulturhauptstadt macht sich das Pixelhotel. Die Zimmer und Suiten dieses Etablissements verteilen sich auf ganz Linz, finden sich in einem alten Geschäftslokal, in einer Hinterhofwerkstatt oder auf einem Schiff. Ungenutzte Räumlichkeiten im Zentrum, in Wohnvierteln, in Industrie- und Arbeiterbezirken werden zu Hotelzimmern umfunktioniert und dienen als Ausganspunkt für Touren durch die Kulturhauptstadt jenseits von Tracht und Pracht.
Pixelhotel
Aussitzen
Bei all diesen Projekten findet die Auseinandersetzung mit den Mechanismen kultureller Produktion genauso Platz, wie die Frage, inwieweit man sich zu einem Teil der "Kulturindustrie 09" macht. Eine Frage, die die Kapu Linz mit Aussitzen beantwortet. Sie haben sich die Räumlichkeiten des ehemaligen contrust Plattenladens geborgt, um einen Freiraum für Linzer Künstler/innen, Kulturarbeiter/innen oder Freund/innen der Kapu zuschaffen. Gegen (einen eher bescheidenen) Stundenlohn kann man den Protest am Kulturhauptstadtjahr direkt auf der Linzer Kulturmeile aussitzen. Einzige Vorraussetzung: Man darf kein Projekt bei Linz 09 eingereicht haben.
Der Soundtrack der ersten Tage des neuen Kulturhauptstadtjahrs
- Pummerin
- Reinhard Fendrich - I Am From Austria
- Orlando Gough - Raketensymphonie
- Attwenger - Ka Klakariada
- Tonträger Oldstars - Es kummt wie's kummt