Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wider das Angelsportsyndrom"

Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

2. 1. 2009 - 16:24

Wider das Angelsportsyndrom

Mit "mögliche filme" erscheinen posthum die gesammelten Essays des österreichischen Filmers Jörg Kalt.

Mehr Lesestoff auf fm4.ORF.at: - fm4.orf.at/buch

Innerhalb des Zirkels der jungen österreichischen Filmschaffenden gab es einen, der durch seinen bizarren Humor herausgestochen ist - Jörg Kalt, der vergangenes Jahr im Alter von 40 Jahren Selbstmord begangen hat. Sein cineastisches Vermächtnis besteht aus einer Handvoll Kurzfilmen und zwei Lang-Spielfimen, "Richtung Zukunft durch die Nacht" und "Crash Test Dummies". Seine film-journalistischen Essays, die er zwischen 1992 und 2007 monatlich für die Zeitschrift "du" verfasst hat, sind weniger bekannt - zu Unrecht - denn sie sind großartig: nun gibt es die Möglichkeit, die Leselücke zu füllen.

"Der gängigen Meinung nach ist das Leben kein Film," lautet der erste Satz des Buches, "nicht einmal - wie man vermuten möchte - ein schlechter," heißt es noch. Innerhalb der nächsten vier Seiten beweist Jörg Kalt ebenso poetisch wie logisch das Gegenteil. Er gelangt zur Schlussfolgerung, dass das Leben doch ein Film ist-

Nur sehen wir ihn nie

Buchcover "mögliche filme"

Czernin Verlag

Gleich dieser erste Text ist - vor allem für jene, die bisher nur das filmische Werk von Jörg Kalt kannten - eine Entdeckung, die einen baff macht, vor allem dann, wenn einem seine Filme, etwa der letzte "Crash Test Dummies" kein "Wow!"entlockt hat. Ganz anders dieses ziegelrote Bändchen mit den Umrissen eines schielenden und/oder beleidigten dicken Osterhasen am Umschlag. Da also glitzert die Phantasie, die Inspiration, die in den Filmen blass schimmerte.

Das Kapitel "abspann" erklärt uns Filmjobs. Wir lernen etwas. Wir lernen zum Beispiel, wie peinlich genau die für das Script zuständige Person arbeiten muss. So zu lernen ist natürlich furchtbar langweilig. Doch wenn die Essenz des Gelehrten darin liegt, dass die Scriptfrau von Hanekes Funny Games schlecht geschlafen hat, lernt man nicht, man fühlt. Weil sie musste ja bei dem Grauen, von dem Haneke sich gewünscht hat, dass die Menschen das Kino verlassen, am allerallergenauesten zuschauen, obwohl die für das Script zuständige Person eigentlich am allerbesten ausgeschlafen sein muss, um wiederum am allerallergenauesten zuschauen zu können, damit keine Anschlussfehler entstehen. Dann, ja dann hat man gelernt und es gar nicht bemerkt, weil man als Funny Games-Geschädigte das Grauen dieses Scriptjobs körperlich nachempfunden hat. Diesen Beobachtungen wohnt etwas Emotionales inne, das generell nah an der Körperlichkeit liegt.

Die Welt erklären

Jörg Kalt hat keine Erklärstücke hinterlassen, sondern anekdotische Essays, die die Welt erklären möchten. Was immer und nur dann gelingt, wenn dem Erklärenden klar ist, dass das Welt-Erklären unter dem Angelsport-Syndrom leidet: langweilig und nach drei Stunden hat noch immer keiner angebissen. Die Welt lässt sich naturgemäß über nichts und von niemandem erklären. Aber die vermeintlichen Nebensächlichkeiten halten gegenüber der news-verseuchten Welt die Inspiration hoch. "mögliche filme" inspiriert einen zu allerhand profanen und weniger profanen Gedanken.

Und dann sind da noch die möglichen Filme, bei denen manchmal schon eine Überschrift reicht, um sie vor sich zu sehen: das schöne Nest
(mit den Stimmen von Isabelle Huppert - Vogel - und Gerard Depardieu - Bär) oder die Eckdaten von Dejan: zwei Männer in einem Auto. Als sie einen schweren Unfall haben, gibt der Beifahrer dem Fahrer seine Brille und stirbt am Weg ins Krankenhaus. Der überlebende Fahrer lebt sein restliches Leben in der Identität des verstorbenen Beifahrers. Da rattert die Phantasie gleich los wie eine Dampflock und bremst nur schwer wieder ab.

"mögliche filme" ist im Czernin Verlag erschienen

Dass "mögliche filme" das Licht des Projektors nicht sehen werden, ist gut, weil sie in unserer Phantasie viel heller, bunter, viel lustiger und bedeutungsvoller strahlen.