Erstellt am: 14. 2. 2011 - 16:41 Uhr
Netzfilter in Algerien und der EU
Meldungen, dass sich in Algerien eine Totalsperre des Internets wie in Ägypten anbahne, erwiesen sich am Sonntag als übertrieben bis falsch. Nach übereinstimmenden Berichten war der Netzverkehr zwar stellenweise langsam, eine unbekannte, aber eher kleine Anzahl Websites war vorübergehend nicht erreichbar. Am Sonntagabend hatte sich alles normalisiert.
Das deutet nicht auf eine bevorstehende Totalsperre, sondern vielmehr darauf hin, dass an einem bestehenden Filter- und Blockiersystem Parameter verändert wurden. Es wurde gewissermaßen an mehreren Schrauben des Internetüberwachungssystems gedreht.
Schutz der Jugend vor Porno
Denn über so etwas muss eine technisch verhältnismäßig gut aufgestellte Gewaltherrschaft wie die in Algerien ganz einfach verfügen. Bereits 2009 hatte das Regime zudem öffentlich angekündigt, eine zentrale Infrastruktur zur Filterung des gesamten Internetverkehrs einzurichten. In Ägypten hat man über eine solche ganz offensichtlich nicht verfügt, denn sonst wäre diese für die Wirtschaft ruinöse Totalabschaltung des Netzes nicht notwendig gewesen.
Der erklärte Zweck war damals: gezielte Blockierung von Websites zur Terrorbekämpfung im Speziellen sowie der Schutz der algerischen Jugend vor Pornografie im Allgemeinen.
Blockaden gegen "Kinderporno"
In der europäischen Union wird heute im Ausschuss für "Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres" über die Einführung einer europäischen Internet-Sperrinfrastruktur abgestimmt. Es ist noch ziemlich unklar, welche "Muss"- oder "Kann"-Bestimmungen der Richtlinienentwurf der Abgeordneten Roberta Angelilli (EVP) in seiner neuesten Fassung enthält.
Erklärtes Ziel dabei: Schutz der Internetbenutzer vor zufälliger Begegnung mit "Kinderporno"-Websites. Was nicht dazugesagt wird: Die relativ wenigen (500-1.000) dieser ebenso schnell auftauchenden wie verschwindenden Sites bleiben nur dann eine Zeitlang verfügbar, weil sie die ermittelnden Behörden des jeweiligen Landes aus Ermittlungszwecken dort belassen. Im Klartext: Die Strafverfolger benutzen diese unter Beobachtung stehenden Websites als "honey pots", um einschlägig Interessierte abzugreifen.
Internetsperren gegen Kinderporno-Sites sind technisch wirkungslos, weil sie mit zwei Mausklicks und einem Eintrag in den Netzwerkeinstellungen auch von absoluten Laien umgangen werden können. Dass Teile der EU-Politiker sie trotzdem einführen möchte, lässt darauf schließen, dass mit der dazu nötigen Sperrinfrastruktur andere Ziele verfolgt werden.
"Elterliche Kontrolle"
In Algerien wiederum hatte Informationsminister Hamid Bessalah dem Newsportal für Nordafrika al-Magharebia schon 2009 erklärt, dass die neu ausgelieferten Router von Algerie Telecom bereits "Anwendungen zur elterlichen Kontrolle" des Internets installiert hätten.
Die Bürger müssten vor "schädlichen Inhalten" schließlich geschützt werden. Eingeführt wurde das System mit einem nach europäischem Muster gestrickten Gesetzpakets zur Bekämpfung von "Cybercrime", in vorderster Linie der von "Kinderpornografie".
Überwachen statt abdrehen
Während man sich davor begnügt hatte, die algerischen Internetprovider zu einer Art freiwilligen Vorzensur zu verpflichten, setzte man ab 2008 also zunehmend auf technische Filtertechnologien.
Im Moment begnügt man sich damit, die Vorgänge im Netz vollständig zu überwachen und gezielt einzelne, auffällig gewordene Benutzer abzugreifen. Man tut sich dabei wesentlich leichter als das ägyptische Regime. Während aus Ägypten 3.500 verschiedene Routen ins Ausland führen, sind es im hoch zentralisierten algerischen Netz gerade einmal 135, die bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels sämtlich "up and running" waren.
"Liberalisierung" in Syrien
Syrien wiederum, wo nach der internationalen Medienhype angeblich die nächsten "Tage des Zorns" bevorstehen, hat vor einer Woche die gesperrten Zugänge zu Facebook und anderen Websites freigegeben. Das ist freilich überhaupt nicht als Liberalisierung anzusehen.
Die Netzwerkspezialisten von Renesys erwarten statt Abschaltungen in Algerien den Einsatz ähnlicher, subtilerer Methoden, wie sie im Iran angewendet werden. Das Nordafrikaportal al-Magharebia wiederum verfügt über gute Informationen aus dieser Weltgegend, das Portal wird vom Pentagon finanziert.
Wie in Erfahrung zu bringen war, wurde an der das Land umgebenden Firewall gleichzeitig mindestens eine entscheidende Einstellung verändert. Hatten die Syrer die gesperrten Sites vordem schlicht umgangen - auch die Präsidentengattin unterhält eine Facebook-Präsenz - so wird die Verwendung ausländischer Proxyserver zunehmend unmöglich gemacht.
Proxys gesperrt, Facebook offen
Nach übereinstimmenden Angaben wurde die Eingabe des Wortes "Proxy" in allen verfügbaren Suchmaschinen gesperrt, auch jede Webadresse, die diese Buchstabenkombination enthält, ist unzugänglich.
Im Grunde hat das syrische Regime durch diese Maßnahme die Überwachung also nur effizienter gemacht, den Rest erledigt dann der gefürchtete Militärgeheimdienst Mukhabarat auf "individueller Basis".
Es ist also mehr als unwahrscheinlich, dass in Algerien oder Syrien Internetblackouts wie in Ägypten zu erwarten sind. In beiden Staaten fehlt den Protestbewegungen der Druck der Straße, denn dort - und nicht auf Facebook - finden die Revolutionen statt.
Heute in Strassburg
Die Tagesordnung des parlamentarischen Ausschusses für "Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
Netzsperren in der EU
Eigentlich hätte das Thema bereits in der Sitzung des LIBE-Ausschusses am 3. Februar abgehandelt werden sollen. Böse Zungen behaupten, dass die vielen Abänderungsanträge nicht der eigentliche Grund waren und die Ursache der Verschiebung nicht in Brüssel sondern in Kairo zu suchen sei.
Weil am 3. Februar in Ägypten noch die Totalsperre des Internets in Kraft war, wollte man das Thema "Internetsperren" nicht gleichzeitig in Brüssel aufs Tapet bringen.