Erstellt am: 4. 11. 2015 - 23:45 Uhr
Let them all talk...
Eigentlich hat ja Erich Möchel hier schon alles gesagt. Unter den verschiedenen europäischen Vorstößen in Sachen staatlicher Überwachung des Internets sind die Briten wieder einmal vorneweg.
Sie sind dabei, wie Edward Snowden heute getweetet hat, das „zudringlichste und am wenigsten überprüfbare Überwachungsregime im Westen“ einzuführen.
Laut einem heute präsentierten Gesetzesentwurf soll jede URL, die den Briten unter die Finger kommt, künftig ein ganzes Jahr lang gespeichert und von der Polizei eingesehen werden können.
Gegen eine von der Innenministerin angewiesene nähere Ausspionierung sollen bestimmte Richter (allerdings nur falls kein augenblicklich dringlicher Anlass besteht) ein Veto einlegen können. So der letzte kolportierte Stand.
Wie voraussehbar, finden sich prompt britische Politiker, die nach Herzenslust Goebbels zitieren (Nein, nicht „Nobody move nobody get hurt“, das ist von Yellowman, die andere Gangster-Weisheit mit dem Verbergen und dem Befürchten meinte ich), und in allen Nachrichtensendungen dieses Landes hör ich aufgeregtes Gerede von Pädophilenringen und Terrornetzwerken, die darauf warten, aufgedeckt und gesprengt zu werden, und dass die Polizei ja immer schon Telefone abhören konnte und das neue Gesetz bloß ein technologisches Update derselben Geschichte sei.
Andererseits spüre ich, während ich dies schreibe, schon förmlich die müden Blicke der aufgeklärten, abgeklärt gläsernen Lesenden.
Ja, wir sind schon ein paar Mal um diesen Maulbeerbusch herumgelaufen, und der GCHQ macht mit Tempora eh schon die längste Zeit, was er will. Insofern ist das auch wieder alles egal bzw. jede rechtliche Klärung immer noch besser als Schnüffeln im Geheimen (erst heute etwa kam wieder eine Meldung, dass MI5 schon seit zehn Jahren Metadaten über alle Telefongespräche in Großbritannien sammelt).
Ein mit der Überwachungsstaatsdebatte gar nicht zwingend verknüpfter, sehr banaler, aber mindestens so wichtiger Aspekt dieser Geschichte kommt hier im öffentlichen Diskurs allerdings erstaunlicherweise fast gar nicht vor:
Nämlich dass diejenigen, die die hochsensiblen "internet connection records" aufbewahren und bündeln, gar nicht Bond oder Moneypenny heißen, sondern Telefonie- und Medienmischbetriebe in wechselnden Besitzverhältnissen sind, die ihre Finger in alle kommunikationstechnologische Kuchen stecken.
Zum Beispiel eine sympathisch aber zufällig nach einer ziemlich großartigen Band der 1980er benannte, aus der Kette Carphone Warehouse hervorgegangene Firma namens Talk Talk, die ein Mobil- und Festnetz, Breitband-Internet und PayTV anbietet.
Erst vorletzte Woche wurde Talk Talk im großen Stil gehackt. 1,2 Millionen Datenpakete seiner Kund_innen (Adressen, Email-Adressen, Telefonnummern) inklusive 21.000 Bankverbindungen konnten die Hacker absaugen.
Ihr Fehler war offenbar, zu versuchen, die Firma damit zu erpressen. Die Polizei hat mittlerweile vier Verdächtige aus England und Nordirland im Alter zwischen 15 und 20 Jahren festgenommen, zweifelsohne unter Verwendung ihrer bereits bestehenden Überwachungsbefugnisse.
Nun kenn ich mich ja mit sowas nicht aus, aber man sagt, der Hack - schon der dritte, den Talk Talk in einem Jahr erlitten hatte - sei ein sehr, sehr simpler gewesen.
Der Internet Provider hatte sich einfach nicht genug um seine Sicherheitsvorkehrungen geschert, weil sowas ja Geld kostet.
Dido Harding, die Chefin von Talk Talk, konnte ihrer Kundschaft nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob die geklauten Daten verschlüsselt oder unverschlüsselt aufbewahrt worden waren.
Und das sind dann genau jene Leute, die die vertraulichsten Informationen der vernetzten Bevölkerung auf ein Jahr handlich bündeln und zur Seite legen sollen.
Selbst beim reinsten Glauben an die Weisheit des Staates, nur die Bösen zu beschnüffeln, sowie unter Voraussetzung ausschließlich ehrenwerter Absichten aller, die für Polizei und Geheimdienst arbeiten, und der Annahme der absoluten Unbestechlichkeit aller Richter_innen, scheint dieses grenzenlose Vertrauen in die Datensicherheit der Internet Provider und all ihrer Angestellten dann doch ein klein wenig fahrlässig.
Eigentlich undenkbar, dass keine_r auf die Idee kommen könnte, sich an dieser Schatzkiste sensibler Informationen zu bedienen. Wer darin nichts zu befürchten sieht, muss schon ein, sagen wir es schmeichelhaft, sonniges Gemüt haben.
Aber wir haben es hier mit Leuten wie Premier David Cameron zu tun, der allen Ernstes Verschlüsselungen mit Hintertüren fordert und erwartet, dass Facebook und Twitter für ihn Terrorfahndung betreiben.
Folglich geht so ein Irrsinn auch durchs Unterhaus. Noch dazu im Namen der Sicherheit, das ist der wahre Witz.