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Susi Ondrušová

Preview / Review

8. 10. 2015 - 14:10

Soundtrack für den Neuanfang

Americana made in Sweden. Das neue Album "Dark Bird Is Home" von Tallest Man On Earth.

Er ist zu Hause in Schweden, als das Telefon klingelt und er zu mir spricht. Zuhause heißt umgeben von Natur. Aus frühen Interviews ist überliefert: rechts von seinem Haus ist ein Fluss, links ein Berg. Ich bilde mir fest ein, im Hintergrund Singvögel zu hören. Und Geschirrwasser. In meiner Vorstellung vom Leben auf dem Land hört man entweder immer Vögel zwitschern oder wäscht das Geschirr. In meiner Vorstellung von Leben aauf dem Land koche und trinke ich sehr viel Kaffee aus sehr vielen Tassen.

TAllest man on earth album cover

Cameron Wittig

"Dark Bird Is Home" ist auf Dead Oceans erschienen.

Dem Musiker Kristian Mattson, der als Tallest Man On Earth Alben veröffentlicht, die Welt bereist und die Menschen mit offenen Kinnladen bei Konzerten zurücklässt, kann ich die Frage nach seiner Freizeitbeschäftigung nicht stellen. Die Interviewzeit ist knapp, zu besprechen gibt es vieles und man wurde vorgewarnt: Interviews gehören nicht zur liebsten Freizeitbeschäftigungen des Musikers. Vielleicht bedeutet Interviews geben für Kristian Mattson das, was für mich Abwaschen heißt: Man ist einfach sehr froh, wenn man es hinter sich hat.

Wer nicht gerne spricht, seufzt viel. „We´ve done around sixty shows this summer, it´s been amazing, yeah.” Seufz. Es ist schon sehr viel gesagt worden über Tallest Man On Earth. Seit der Veröffentlichung seiner ersten selbstbetitelten EP wird er in fast jedem Artikel mit dem näselnden Bob Dylan verglichen. Das B-Wort und das D-Wort dürfen in den nächsten fünfzehn Minuten des Gesprächs nicht fallen. Es ist ja auch sehr einfach, sich an dem zu orientieren was man kennt: So wie in jeder zweiten Review über eine Band mit einer Sängerin an der Gitarre die öden Vergleiche mit PJ Harvey kommen, kommen bei Folksängern die mit einer Gitarre durchs Land ziehen, die Vergleiche mit Dylan.

TAllest man on earth auf rolltroppen

Cameron Wittig

Am 14. Oktober kann Tallest Man On Earth vor seinem Konzert in der Arena Wien über eine ähnlich schöne Rolltreppe die Plattform der U3 Station Erdberg erreichen und Richtung City Center fahren.

Die Assoziationskette ist letztlich ein bisschen egal, denn mit dem letzten Album von Tallest Man On Earth, ist der Sänger endlich zu einer Band geworden. Während viele frühere Tallest Man On Earth-Songs so klingen, wie eine fragile schwarz-weiß Strichzeichnung, ist "Dark Bird Is Home" wie ein Gemälde, bei dem in dicken Schichten Öl-Farbe aufgetragen wurde.

Auf dem Album sind viele verschiedene Instrumente zu hören: E-Gitarre, akustische Gitarre, Pedal Steel Gitarre, Banjo, Bass, Klarinette, Schlagzeug, Percussion, Harmonika, Althorn, Waldhorn, Omnichord, Piano, Synthesizer, Trompete, Saxophon, Geige, Bratsche.

Neues Leben, neues Album

Heuer ist Tallest Man On Earth erstmals nicht alleine auf der Bühne, sondern wird von Kollegen unterstützt. Einen neuen Bandkollegen hat er sich von Bon Iver ausgeliehen: Mike Noyce hat als Gitarrist auf der Platte auch die Falsett
-Gesangsparts übernommen. Die meisten Songs auf dem Album sind zwar in Schweden aufgenommen, finalisiert wurden die Aufnahmen allerdings in Eau Claire. Das ist jener Ort in Wisconsin, von dem die meisten nur wissen, dass es ihn gibt, weil Justin Vernon aka Bon Iver dort ein Studio hat.

"It is a big thing for me to challenge myself. With that album (seufz): just to allow myself to put in all those instruments and knowing that I have to go out with a band, which is something I never did before. When the album was done and shows started to be booked I didn’t have a band. I personally enjoy the feeling sometimes, when you say "yes" to something and you don’t know how to do it. You just have to figure it out. Of course that creates a lot of stressful insomnia nights. But I´m always thinking about (how to challenge myself)… Actually right now I´m figuring out new ways of how to play the guitar." sagt Matsson ins Handygerät.

Also doch kein Geschirr abwaschen.


This is not the end. This is fine

Für einen Singer/Songwriter ist das vielleicht kein allzu großes Kompliment, aber textlich wird das Album von drei Worten zusammengehalten: "Fuck", "dream" und "home". Von allem kann man nicht genug haben.

Verarbeitet werden in den Songs unter anderem der Tod eines Familienmitglieds und die Scheidung von seiner Frau. "Darkness of the Dream" besingt den Punkt, an dem man merkt, dass man für das Gegenüber nur mehr eine Erinnerung an ein "früher" ist. Ein Traum. Eine Dunkelheit.

Der Titelsong, der sich als Schlussnummer verbirgt, ist der Abgesang an eine zerbrochene Beziehung. Darin wird auch der gezwungene Neuanfang besungen "This is not the end. This is fine."

Tallest Man On Earth dazu: "Thinking about home was a big part of this album. There is one comfort in life, and it´s the one place you know. Everything else is just not that. This is what a lot of the subjects of the album are about. It´s about family life not working out. You grow up and realize that not even that is a fixed thing, that you can rely upon. So "home" (for me) is now turning into trying to find peace in yourself - so you can feel at home in more places."

Diese Sätze könnten der Schlüssel für ein höchst weinerliches Album sein, aber "Dark Bird Is Home" ist das Gegenteil davon. Wenn Kristian Matsson von "It´s just all this fucking doubt" singt oder "Fuck it, I´m afraid" oder einfach nur ein "fuck" ins Mikro seufzt, dann sind das überraschenderweise die Momente auf dem Album, die einen nach vorne blicken lassen.

I´m not sad. Just disappointed

Man muss unweigerlich an eine kleine, sehr simple Ode aus der Feder von Glen Hansard denken. Im Song "Dissappointed" singt der Frames-Frontman "I´m not sad, I'm just disappointed".

Angesprochen auf die emotionale Grundstimmung dieses simplen Songtextes im Vergleich zu seinen eigenen Songs und meine Erfahrung, dass es schon eine Leistung ist, als Hörerin von der Schwere der Thematik nicht runtergezogen zu werden, antwortet der Tallest Man On Earth: "There is a tremendous power in the ending of something and the start of something new! (Like) a storm has come through and all the trees are blown down and your house disappears: it´s actually a blank slate. There is a lot of power in that and I think I did try to manifest that (seufz) in the new album. There is a power in new hopes - even though you don’t know what´s ahead of you.”

Wir verstehen uns also. Bald danach erklingt schon das Freizeichen - tüt tüt. Der Abwasch ist als nächstes dran. Fuck it. Noch sieben Mal Geschirr waschen, dann gibt es ein Tallest Man On Earth-Konzert in der Arena Wien.