Erstellt am: 15. 7. 2015 - 11:19 Uhr
Patti Smith in der Wiener Arena
Die Arena in Wien ist eine Lieblings-Konzert-Location der US-Musikerin Patti Smith, das sagt sie an diesem Konzertabend auch wieder. Für die Spätgeborenen unter uns: Patti Smith ist jene Künstlerin, die gerne als Punk-Poetin bezeichnet wird, und die bis heute, mit fast 69 Jahren, aktiv ist. Noch immer wilden Geistes spielte Patti Smith also gestern ihr Debütalbum "Horses" live, anlässlich des 40.Geburtstagstages dieser Platte, die als eine der bedeutendsten der Rockmusik gilt.

Arista Records
Mitte der 70er Jahre von Velvet-Underground-Mann John Cale produziert, war "Horses" ein riesengroßer Meilenstein in der Musik von New York und machte Patti Smith zu einer international verehrten Figur. Ohne Patti Smith vielleicht keine P.J. Harvey, ohne Patti Smith vielleicht keine Band wie R.E.M. Michael Stipe sagte in Interviews immer wieder über "Horses": "It tore my limbs off and put them back on in a whole different order." Courtney Love ist ebenso erklärter Patti Smith Fan wie das deutsche Duo Boy, und die Libertines hatten einen Song namens "The Boy Looked At Johnny", benannt nach einer Zeile aus dem Titelstück von "Horses".
In die ausverkaufte Arena sind nicht nur ältere, intellektuelle, schwarzgewandete Menschen gekommen - ein Patti Smith Konzert kann ja mittlerweile eine Art Hochkultur-Event sein - sondern da seh' ich etwa auch einen jungen Mann im Blood Red Shoes T-Shirt oder junge Frauen in schwarzen Lederjacken, die später der warmen Temperatur wegen ausgezogen werden. Das Wort "hingepilgert" darf aber wohl für die meisten unter uns, die in die Arena gekommen sind, verwendet werden. Dieser Auftritt sollte so etwas wie ein Hochamt werden, zu dem eine schamanenartige, predigerhafte Lichtgestalt der Popkultur rief. Bisweilen mutete dieser Abend aber auch wie ein Volksfest an - ein freudiges Open-Air-Zusammenkommen, samt Bier, Kebab und Pommes. So what.

Michaela Kuch
Das Konterfei der jungen Patti Smith findet sich auf dem T-Shirt eines jungen Mannes. Patti Smiths jugendliche Schönheit ist heute Vergangenheit. Das ikonenhafte Bild von Patti Smith am "Horses"-Album, vom Fotokünstler Robert Mapplethorpe, wird aber wohl für immer und ewig lebendig bleiben.
Tosender Applaus als Patti Smith mit Schlabber-Sakko die Bühne betritt: "Glad to be back in the Arena!" Und straight geht's hinein in den ersten Song von "Horses": "Gloria". "Jesus died for somebody´s sins but not mine" heißt diese legendäre erste Zeile des Songs. Heute ist das in recht armen Verhältnissen aufgewachsene Arbeiterkind Patti Smith ein bekennender "Fan" von Papst Franziskus. Weiter geht es mit dem nächsten Song am "Horses"-Album: "Redondo Beach". Redondo Beach ist ein Strand im Süden von Los Angeles, an dem sich gerne Schwule trafen. Die Außenseiter der Gesellschaft, zu ihnen fühlte sich Patti Smith hingezogen. Das lange "Birdland" - nach dem sich einmal eine britische Band benannte - folgt, und dann "Free Money", jener Song, in dem Patti Smiths Stimme auch heute noch Gänsehaut macht, wenn sie singt, "Every night before I go to sleep". Im Song holt sie dann Perlen aus der Tiefe des Ozeans, tauscht sie gegen Geld ein und kauft jemandem "everything you need".
Damals, erzählt Patti Smith nun, hat man auf eine Platte, eine Vinyl-Scheibe, oft nicht mehr als acht Songs getan, mehr Platz war nicht. Es gab eine A-Seite und eine B-Seite. Die A-Seite von "Horses" haben wir nun gehört, drehen die imaginäre Platte um, nehmen den Arm des Plattenspielers "and we put the needle in the groove!", meint Patti, und sogleich singt sie "Sister....". "Kimberly" heißt dieses Stück von "Horses", benannt nach Patti Smiths Schwester. Klatschen, Mitsingen, ja, fast Mitschunkeln mit Patti Smith und ihrem, ja, Hippie-Vibe. Obwohl La Smith insgesamt als Punk-Ikone zusammengefasst wird, so war sie stets auch tief verwurzelt im Hippie-Spirit der späten 60er Jahre. Da passt der nächste Song von "Horses" gut, das für Jim Morrisson von den Doors geschriebene "Break It Up".

Michaela Kuch
Dann wird´s heftig. "Land" steht an - eines der Herzstücke von "Horses", bestehend aus "Horses", "Land Of A Thousand Dances" und "Le Mer(de)". Als ich als bisher Pop hörender Teenager das erste Mal "Land" hörte, war ich verstört: Nicht nur wie das Stück klang, ich hatte auch über das Stück gelesen: Es geht um einen jungen Mann namens Johnny, der am Schulkorridor von einem anderen jungen Mann vergewaltigt wird; Johnny wird drogenabhängig, und Johnny nimmt sich schließlich das Leben - so wie sich im - interessanterweise leicht von Reggae beeinflussten - Song "Redondo Beach" ebenfalls jemand das Leben nimmt. Diese Inhalte sind schmerzliche. "Horses! Horses! Horses!", singt/schreit Patti Smith da also nun auf der Bühne der Arena: Johnny bricht emotional zusammen, in seinem Kopf galoppiert eine Herde Pferde: "White shining silver studs with their nose in flames". "Horses! Horses! Horses!" ruft Patti Smith also, strahlt dabei eine große Kraft aus, vielleicht gar größer als damals vor vierzig Jahren. Die Straßen, in denen Johnny geht, die sind nun "Viennese streets", in denen - so die Wien-begeisterte Patti Smith - einmal Mozart ging. Ja, ja, ja, Mozart, Klassik, die große alte Architektur der Stadt - Patti Smith kann's nicht lassen das einzubinden. "Gloria! Gloria!" nochmals, und "Jesus died for somebody's sins. But not mine." Da haben wir nun fast ein Moshpit. Applaus, tosender Applaus mit einem Meer aus klatschenden Händen.
Es folgt der letzte Song von "Horses", das ruhige "Elegy". Patti Smith hatte es damals zum Tod von Jimi Hendrix geschrieben. Viele haben wir seither verloren, so Patti Smith von der Bühne sprechend. Und sie vergisst auch nicht auf geliebte Haustiere, die wir verloren haben könnten. Wir singen für sie alle! Dies ist tatsächlich nun eine Art Hochamt, wo die Gitarre weint und Patti Smith mit Gänsehaut-Stimme von "trumpets and violins" singt, die sie in der Ferne hört. Tote des Rock'n'Roll zählt Patti Smith nun auf: Alle Mitglieder der Ramones - von Joey bis zu Dee Dee, Joe Strummer von The Clash, Lou Reed, ihren verstorben Mann Fred Sonic Smith und auch ihren Bruder Todd. Berührend.
Das war also "Horses". Das war ein Abend, der wichtig war, eine gewisse Bedeutung hatte, in vielerlei Hinsicht.
In zehn Jahren wird "Horses" dann 50 sein, und Patti Smith fast 80. Ob sie da noch einmal "Horses" spielen wird? Vielleicht nicht mehr. Dieser Abend war auch so gesehen einer der wahrgenommen werden musste. Warum diese Platte namens "Horses" noch immer so viel Kraft ausstrahlt? Vielleicht auch deswegen, weil Patti Smith damals dachte, dass es ihre einzige Platte bleiben würde.

Michaela Kuch
Patti Smith und Band - darunter Lenny Kaye und Jay Dee Daugherty von der Originalbesetzung aus der "Horses"-Zeit - spielen noch ein paar weitere Songs zum "Horses"-Album dazu, etwa "Ghost Dance" von "Easter", ihrem letzten 70er Jahre Album, bevor sie sich zurückzog, um Mutter zu werden und einige Jahre lang "nur" noch Gedichte zu schreiben.
"Summer Cannibals", ein poppiger Song, wird noch gespielt, von Patti Smiths "Gone Again"-Album von Mitte der 90er Jahre, als sie ihr zweites Comeback feierte. Dann noch "Rock ´n´Roll" von The Velvet Underground oder "Ain´t It Strange" von Patti Smiths "Radio Ethiopia"-Album, der Nachfolgeplatte zu "Horses".
Am 4. August ist Patti Smith mit ihrer Band noch einmal in Österreich zu sehen. Im Alten Schl8hof in Wels wird sie auch dort "Horses" zum Besten geben.
Außerdem noch Songs wie "People Have The Power" von Patti Smiths erstem Comeback-Album Ende der 80er Jahre, ja, und dann das allerletzte Stück, der CD-Bonus-Track von "Horses": "My Generation" von der britischen Mod-Band The Who, ein Song der damals vielleicht schon nicht ganz zum Album passte, aber Patti Smith macht ihn wieder zu ihrem: "Bring my dreams back! A new Generation, you can do it!" appelliert Patti Smith an das Publikum. Neben mir stehen zwei Frauen - Mutter und Tochter: Tosender Applaus, während Patti Smith noch ruft "Have no fear!" und "Drink plenty of water!". Viel Wasser trinken, ja, viel Wasser trinken und hinaus in die Nacht.