Erstellt am: 13. 7. 2015 - 11:11 Uhr
30 Jahre Live Aid

G.Stone
Text: Urbs
Paul Nawrata ist Urbs. Der Wiener DJ und Produzent macht großartige Remixes und Alben ("Toujours Le Même Film" / G.Stone), setzt sich außerdem bei FM4 immer wieder mit Höhepunkten der Musikgeschichte auseinander (Der Sex Muezzin und The History Of Blue Monday). Urbs kuratiert auch die Filmclubserie "Strahler 80" im Gartenbaukino Wien.
"My fucking Begonias!", entfuhr es Elton John, als der Hubschrauber, der ihn von seinem Anwesen zum Wembley-Stadion fliegen sollte, endlich abhob. Zwar hatte der Rockstar, in Sorge um sein Toupet, sich geweigert, das Fluggerät zu besteigen, solange sich die Rotorblätter noch bewegten, doch dass der Abwind alle Gartenarbeit der letzten Tage zunichte machen würde, damit konnte selbst der Rocketman nicht rechnen.

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Szenenwechsel: Wie ein überfahrener, orientierungsloser Pfau irrt ein dubioser Ex-Popstar durch ein endloses afrikanisches Flüchtlingscamp, eine graue Zeltstadt, so unbegreiflich groß, dass sie wie das Set eines Monumentalfilmes auf ihn wirkt. Letztendlich musste er doch noch dorthin, sich doch noch mit den Sterbenden und den zum Tode Verurteilten ablichten lassen. Erst jetzt sieht er, wohin seine Anmaßung und sein Narzissmus ihn geführt haben.
1985 war alles SUPERSIZE in der glitzernden Welt des Pop: die Frisuren, die Schulterpolster, die Verdienste, die Lines und auch die Egos. Selbst Ex-Punks wie Bob Geldof, Sänger der Boomtown Rats und Celebrity-Partner von TV-Star Paula Yates, genossen die Vorzüge von Thatchers England der Reichen, statt sich, wie viele andere Kollegen, an den Protesten gegen deren soziale Kriegsführung zu beteiligen.

AP/Joe Schaber
Nein, Popstar wäre Bob Geldof im Leben nicht mehr geworden, solche Gedanken waren sogar diesem ehrgeizigen, irischen Großmaul zu kühn. Die Karriere war vorbei, der Haussegen hing schief und die Stimmung war schlecht, als er eines Abends im Jahr 1984 zufällig eine BBC-Reportage sah, die sein Leben für immer verändern sollte. Drei Jahre Dürre hatten in Eritrea eine Hungersnot verursacht, die zu einer Massenflucht in äthiopische und sudanesische Flüchtlingscamps führte. Vor den Augen der Menschheit spielte sich dort eine Katastrophe biblischen Ausmaßes ab und die Berichterstattung des TV-Zeitalters brachte die Bilder von sterbenden Kindern direkt in die Wohnzimmer der wohlhabenden Nationen. Eine gigantische humanitäre Katastrophe bekam erstmals - und vielleicht auch letztmals - die Aufmerksamkeit, die ihr gebührte.
Tipp
Strahler 80 präsentiert Live Aid, auf den Tag genau 30 Jahre danach, am Montag, den 13.7.2015, ab 12 Uhr im Wiener Gartenbaukino.
Geldof beschließt, dass man da etwas tun müsse, wenn die Regierungen schon nichts tun. Er ruft seinen Spezl Midge Ure von Ultravox an, und schnell ist man sich einig, dass das, was man am besten kann, wohl auch das Zielführendste wäre. Midge Ure hat einen halbfertigen Song in der Schublade und dank Geldofs berüchtigter Überredungskunst ist die Pop-Elite des Landes schnell zusammengetrommelt, um als Band Aid "Do They Know It's Christmas" einzusingen. Die Nummer schießt rund um die Welt auf Platz eins der Charts und löst eine beispiellose Welle der Spendierfreudigkeit aus. Zahlreiche weitere Länder schicken ihre Popstars ins Charity-Rennen. Grober Plan ist, den gesamten Erlös den Opfern der Katastrophe zugute kommen zu lassen.
"It's an indictment for us and a pathetic way of living that the price of a piece of plastic seven inches across is the price of someone elses life this year."
Man kauft Nahrungsmittel und ein Schiff und segelt gen Afrika, doch die Hilfsgüter verrotten letztlich im Hafen von Port Sudan, weil sie von erpresserischen Speditionen nicht weitertransportiert werden. Alle Eisenbahnstrecken sind Jahre davor von einer Flut zerstört worden, und eine eigene LKW-Flotte scheitert am fehlenden Geld. Obwohl USA For Africa, die amerikanische Variante des Allstar-Benefizprojekts sogar 45 Millionen Dollar - das Vierfache von Band Aid - einspielt, zeigt sich schnell, dass Summen dieser Größenordnung nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Mehr Geld muss her.
Geldof wird klar, dass er aus der Nummer so schnell nicht rauskommt und tritt wieder ins Rampenlicht, wenn auch auf andere Weise, als ursprünglich vielleicht ersehnt. Er fliegt nach Äthiopien und wird dort von einem verbrecherischen Diktator samt Ehrengarde in Empfang genommen - in Hausschlapfen, nachdem seine Schuhe auseinandergefallen waren und sich die englischen Kameraleute in Erwartung eines guten Motivs weigerten, ihre Schuhe herzuborgen - oder aus purer Berechnung. Jedenfalls: Der Mann kommt an.
Der gesamten Aktion mag der kindlich-naive Wille zur Weltverbesserung zugrunde liegen, doch im Endeffekt treibt sie die Quasi- Privatisierung jener Hilfsleistungen voran, die eigentlich der Staat übernehmen müsste.
Zurück in England schiebt Geldof sich auf einem Empfang zwischen Thatcher und deren Gesprächspartner und drangsaliert sie zum Thema Butter- und Tomatenberge. Während in den Krisenregionen Baumwolle für den Westen angebaut wird, werden in Europa Millionen Tonnen an Lebensmittel vernichtet, um die Preise unter Kontrolle zu halten. Thatcher mag diesen unausgeschlafenen Verrückten und sie kann ihn auch gut brauchen, so wie die ganze westliche Welt ihn gut brauchen kann. Geldof wird zum Gewissen der Nation.
Thatcher liebt junge, waghalsige Unternehmer und im Prinzip ist Geldof genau so ein waghalsiger Unternehmer. Wie die Yuppies in London mittels Wertpapierspekulation scheffelt er Geld mittels Musik und Öffentlichkeitsarbeit. Damit liegt er voll auf Linie mit der Privatisierungsfanatikerin Thatcher. Der gesamten Aktion mag der kindlich-naive Wille zur Weltverbesserung zugrunde liegen, doch im Endeffekt treibt sie die Quasi- Privatisierung jener Hilfsleistungen voran, die eigentlich der Staat übernehmen müsste.
Im Mai 1985, nur 8 Wochen bevor Satus Quo mit "Rockin All Over The World" das Spektakel eröffnen sollten, hat Geldof die Idee zu einer Show der Superlative: Zwei Konzerte in London und New York mit allen namhaften Stars des Pop-Universums sollten es sein, einen ganzen Tag lang sollte das dauern und via Satellit live in die gesamte Welt übertragen werden. Der größte und unterhaltsamste Spendenaufruf der Geschichte.
Um das zu erreichen, blufft sich Geldof durch etliche Sitzungen, Pressekonferenzen und Telefonate, lügt der ganzen Welt vor, wer nicht aller zugesagt hätte - noch bevor er überhaupt angefragt hatte. Er verkündet eigenmächtig die Reunion von The Who, das Bühnen-Comeback von Paul McCartney, die Teilnahme der Rolling Stones, von Led Zeppelin und Bob Dylan. Zeitgenössische Acts ködert er mit der Ansage "If McCartney, Jagger, Dylan and Bowie are in it - who the fuck are you to say no?" Doch je näher das Event rückt, desto mehr Acts ahnen ohnehin die kulturelle Signifikanz des Spektakels und glauben, es sich gar nicht leisten zu können, nicht dabei zu sein. Letztlich rauft man sich um die letzten zu vergebenden Gigs, zumindest in London.
Die Fernsehstationen - BBC in England und ABC in Amerika - schütteln anfangs nur die Köpfe oder lachen die Organisatoren einfach aus. Die Satellitentechnik steckt in den Kinderschuhen, und bei der Übertragung der Olympischen Spiele in Los Angeles 1984, bis dahin das größte Event des Sat-Zeitalters, nutzte man gerade einmal zwei Satelliten für eine Location. Bei Live Aid sollten es 16 Satelliten für zwei Locations plus diverse Zuschaltungen aus aller Herren Länder sein; man hat berechtigte Zweifel an der Machbarkeit.
In den USA gerät das Event ins Stocken, weil der berühmt-berüchtigte Promoter Bill Graham die Stars entweder vergrault oder gar eigenmächtig von der Teilnahme abrät, nachdem er mit der Organisation des Events nicht zufrieden und sowieso ein bisschen gaga ist. Die schwarzen Künstler, die bei USA For Africa noch bereitwillig dabei waren, drohen en bloc abzusagen, und ihr Fehlen, sowie das Fehlen afrikanischer Acts, bringt dem Konzert im Vorfeld eine Menge schlechter Publicity, vor allem von Seiten des NME, ein.
Die Veranstalter machen es der Presse aber auch leicht, die Haare in der Suppe zu finden. Man plant Phil Collins nach seinem Auftritt in London in eine Concorde zu setzen, damit er sechs Stunden später in Philadelphia, wohin ABC die Show gegen den Willen von Geldof verlegt hatte, nicht nur "In The Air Tonight" singen, sondern sich hernach auch noch an Stelle des verstorbenen John Bonham hinter das Drumkit von Led Zeppelin setzen konnte und Teil deren öffentlichen Verfalls wurde. "We thought if it could be done wouldn't it be good to do it?"
Sechs Tage vor dem Event betritt man erstmals das Wembley-Stadion und muss erkennen, dass man keinen Plan hat, wie man ein solches Konzert logistisch überhaupt abwickeln könnte. Eine eilig errichtete Drehbühne ist fehleranfällig und so schwer, dass die gesamte Konstruktion einzustürzen droht. Die Tickets sind binnen Minuten ausverkauft, 72.000 Menschen würden allein im Stadion anwesend sein, doch noch herrscht Mangel an allem, vor allem an technischer Ausstattung und Koordination.
Es sollte gut gehen. Erst drei Tage vor Showtime sagen die letzten amerikanischen Acts zu. Springsteen und Jackson sind zwar nicht dabei, aber nicht zuletzt unter Mithilfe einiger britischer Acts, die sich gerade auf US-Tour befinden, kommt ein anständiges Line-Up zustande. Die Sonne scheint in London, in Philadelphia und auch in Wien, es ist ein perfekter Tag.
England kommt bei Live Aid in den Genuss des jungen, frechen, zwar überforderten aber doch schlauen Moderatoren-Teams des Old Grey Whistle Test, während Österreich von einem wahren Horrortrio aus Vera Russwurm, Rudi Dolezal und Wolfgang Fellner als Musikexperten betreut wird. Da ist die Liveschaltung zu Austria For Africa trotz der unfassbaren Mode noch verhältnismäßig unpeinlich. Doch was soll's - nur nicht vergessen, die VHS-Kassetten rechtzeitig zu wechseln, eine Tätigkeit, an der an diesem Tag die halbe Welt verzweifelt.
Austria For Africa - bitte besonders auf die Schnurrbartmode von Opus zu achten.
U2 on the rise, die waren ja damals grad mal erst am Anfang.
Die meisten Künstler kommen mit den schwierigen Umständen gut zurecht, manchen gelingt gar der Auftritt ihres Lebens. U2 zum Beispiel kommen erstmals einer breiten Öffentlichkeit zu Ohren (Bad!) und Augen (Bonos Vokuhila!). Trotz - oder gerade wegen - des Sängers Wanderlust - er verschwindet, für den Rest der Band unsichtbar, minutenlang im Graben vor der Bühne, um auf diversen Umwegen einige Mädchen im Publikum zu herzen, die später gestehen sollten, eigentlich wegen Wham! dagewesen zu sein - gehört ihr Auftritt zu den prägendsten Ereignissen jenes Tages.
Es gibt viele Stimmen, die meinen, der Auftritt von Queen war der beste ihrer Geschichte.
Oder Queen, deren lange Karriere am Abflauen zu sein schien, bevor der gute Freddie Mercury allen anderen anwesenden Künstlern zeigte, wie das geht. Niemand hat Live Aid so gerockt wie Queen und der Auftritt ist heute so etwas wie der Inbegriff ihrer Größe, wenn nicht der Inbegriff eines Stadionkonzerts schlechthin. Geldof selbst genießt seine Wiederauferstehung und sichert seinen Boomtown Rats eine gute Auftrittszeit.
Charles and Diana
Obwohl die Kameras bei David Bowies Zeile "I would be king, and you'll be my queen" gerade auf Prince Charles und Diana geschwenkt haben und das Spektakel so richtig Fahrt aufnimmt, bleiben die Spenden weit hinter den Erwartungen zurück. Geldof wird grantig und spricht vor laufender Kamera seinen wohl berühmtesten Satz: Sein wütendes "gimme your money" wird von staunenden Zeugen heute meist als "gimme your fucking money" zitiert. Es hilft. Die Spenden ziehen an, und spätestens als der Machthaber von Dubai eine Million Pfund beisteuert, ist man wieder im Soll. Am Höhepunkt der Übertragung kommen 20.000 Pfund pro Minute herein, etwa 150 Millionen Pfund sollten es am Ende sein. Aus heutiger Sicht war der größte Fehler jedoch, das Geld in die Hände der Staaten selbst und somit in die Hände diverser korrupter Regimes zu legen, statt es westlichen Hilfsorganisationen anzuvertrauen.
Ansonsten wird heute meist beanstandet, dass die Umwegrentabilität für die Stars - im Gegensatz zu ihrer Wohltätigkeit - gerne verschwiegen wird. "Tue Gutes und schweige darüber", möchten jene Kritiker den Künstlern wohl raten, und sie haben nicht unrecht. Dass diese Fehler 1985 begangen wurden, mag zu verzeihen sein, dass man 2005 jedoch eine fragwürdige Neuauflage startete, wohl eher nicht.
Der Rest ist - wie alles davor auch - zumindest Musikgeschichte. Man vergisst McCartney das Mikro aufzudrehen und der trällert "Let it be" für sich alleine. Keith Richards, Ronnie Wood und Bob Dylan pfuschen sich auf drei ungestimmten Gitarren durch die unsäglichste Version von "Blowin in the Wind", die die Menschheit je gehört hat. Eine junge Sade verzückt schüchtern und kokett zugleich die Welt. Simon LeBon von Duran Duran ist sein vokaler Ausrutscher noch heute peinlich, Spandau Ballet ist ihr Outfit bis heute nicht peinlich. Die Sowjetunion zeigt bei ihrer Live-Schaltung versehentlich minutenlang Bilder von einer Kirschernte in Bulgarien statt der populärsten Band des Landes. Too many Stories to tell - wo warst du an diesem Tag?
Live Aid ist ein schönes Beispiel für die Verwirrtheit jener Zeit, für die Macht der kindlichen Naivität, die in einer Unschuld wurzelt, die von Events wie diesem letztlich jedoch ausgelöscht wurde. Immer neue Katstrophen und immer neue Großevents haben uns desensibilisiert. Doch wenn anstelle dieser optimistischen Blauäugigkeit nur blanker Zynismus bleibt, dann muss man sich fragen, ob die Welt heute besser mit Problemen dieser Art umgeht.
Wir von Strahler 80 jedenfalls haben uns einer kindlichen Betrachtungsweise verschrieben und freuen uns darauf, dieses Spektakel ganz unzynisch wiederaufzuführen und dabei ein bisschen Geld für Ärzte Ohne Grenzen zu sammeln.
Strahler 80 präsentiert Live Aid, auf den Tag genau 30 Jahre danach, am Montag, den 13.7.2015, ab 12 Uhr im Wiener Gartenbaukino.