Erstellt am: 12. 5. 2015 - 16:44 Uhr
"Wir sind die Kuratoren"
Das 1997 in Wien gegründete Popmagazin The Gap feiert 150 Jahre. Natürlich sind es in Wahrheit 150 Ausgaben, aber auch das ist eine stolze Geschichte für ein Magazin, das als kleines Fanzine begonnen, sich über die Jahre stetig entwickelt hat und bis heute für vielseitige alternative Popkultur steht.
Diesen Freitag, am 15. Mai, feiert The Gap sein Jubiläum mit einer Party in der Grellen Forelle mit Actress sowie Liveacts von Elektro Guzzi, Cid Rim und der Newcomerin Mavi Phoenix. Bevor ausgiebig gefeiert wird, hat Claudia Unterweger The Gap Herausgeber Thomas Weber und Stefan Niederwieser, einen der beiden Chefredakteure, zum FM4-Interview gebeten.

Monopol Verlag
150 Ausgaben von The Gap. Könnt ihr ein bisschen von den Anfängen erzählen?
Thomas Weber: Ganz zu Beginn war niemand von uns dabei.
Stefan Niederwieser: Es sind bereits mehrere Generationen am Werk. Gegründet haben es Thomas Heher, den kennt man heute vom Waves Vienna Festival, und Manuel Fronhofer. Es ranken sich Mythen um die genaue Gründung.
1997 war das. Es gibt ja immer wieder Fanzines, die sich gründen und dann ein, zwei Jahre lang bestehen. Auch The Gap hat als kleines Fanzine begonnen. Euch gibt es aber immer noch. Wie habt ihr es geschafft, so lange durchzuhalten?
TW: Wir waren stur, beharrlich, konsequent ...
SN: Es gab ja zwischendurch sogar Pläne, es aufzulassen. Wir haben das selbst erst vor kurzem erfahren. Das war zur Ausgabe 58, die nie erschienen ist! Im Zuge der Recherche zur 150. Ausgabe, haben wir an verschiedenen Stellen gefragt. Niemand weiß mehr so ganz genau die Geschichte, wie das wirklich war. Leute haben unter Flippern geschlafen, haben zuletzt noch diese große 15-Seiten-Story über FM4 gemacht, und danach hätte eigentlich Schluss sein sollen.
TW: Dann haben wir überlegt, aufzuhören, aber dann hat es uns wieder gefreut!
The Gap ist inhaltlich immer breiter geworden, es geht jetzt schon lange nicht mehr nur um Musik. Es geht um Games, Literatur, Mode, usw. Ist das notwendig, oder könntet ihr - wenn ihr wolltet - immer noch ein klassisches Musikmagazin sein?

Thomas Weber
TW: Nein. Wollten wir aber auch nie. Wenn man den Altvorderen bei uns zuhört, war das auch immer mehr als Experimentierwiese gedacht. Und viele Leute sind auch nach der zweiten, dritten Ausgabe auch gleich wieder abgebogen. Manche sind zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgekehrt. Ein klassisches Musik-Zine, wie es in den 90ern noch viele gab, wollten wir eigentlich nie machen. Heute könnten wir das auf keinen Fall mehr machen. Die Welt ist ja komplett anders als vor bald 20 Jahren.
SN: Die Stories, die die Leute interessieren, sind auch ganz andere. Früher hat man ja wirklich sonst keine Möglichkeit gehabt, Hintergründe zu irgendeinem weirden Release zu erfahren. Damals waren Magazine und Zines oft die einzigen Quellen. Heute kann man sich das bequem im Netz holen. Für uns ist das eine große, aber auch schöne Herausforderung, andere Stories zu erzählen - solche, die drum herum passieren: Clubkultur, neue Leute zu entdecken mit ihren Biografieren. Was sie mit ihrer Musik machen wollen. Genau das sind die Geschichten, die immer noch funktionieren. Uns interessiert allgemein einfach viel zu viel.
Wie sieht das in eurer Redaktion in Bezug auf Honorare aus. Ihr seid ein Gratismagazin. Wie finanziert ihr das?
SN: Es ist nicht ganz einfach, das ist klar. Wir bekommen keine Presseförderung und wollen uns mit Dingen auseinandersetzen, die nicht dem Mainstream entsprechen. Wir versuchen etwa, interessante Kunst und Filme rauszugreifen und wollen darüber hinaus Modelle entwickeln, wie das online funktionieren kann. Natürlich wird online immer wichtiger und wir haben mittlerweile auch gute Zugriffe. Es freut einen, wenn die Dinge, die man macht, auch gelesen werden und offenbar andere Leute auch interessiert. Man kann sich bei uns ausprobieren, man bekommt Feedback. Das ist mal das, womit man einsteigt.
TW: Wir bezahlen Leute auch. Früher hätte man gesagt: lausiges Honorar! Mittlerweile muss man leider sagen, dass sich die Standards uns angenähert haben und wir eigentlich marktübliche Honorare zahlen. Das ist zwar nicht zum Lachen, sondern traurig, aber es ist eine Tatsache.
Ihr seid vor allem werbefinanziert. Wie schafft man es da, redaktionell unabhängig zu bleiben?
SN: Wir haben relativ klare Richtlinien: Ein Advertorial ist ein Advertorial. Wenn ein Werbekunde irgendwie vorkommen möchte, dann muss das gekennzeichnet sein.
TW: Wir haben es ganz gut geschafft, das Werbekunden entsprechend zu kommunizieren. Die wollen immer unsere Glaubwürdigkeit und ein glaubwürdiges Umfeld, hätten dann aber oft für sich selbst die eine Ausnahme und das zugedrückte Aug', und da muss man halt konsequent sein. Das hat bislang aber ganz gut funktioniert.
Was auch immer öfter vorkommt, ist eine Art Gonzo-Journalismus: sehr persönlich gefärbte Geschichten, Clickbaits, Listenjournalismus à la "Zehn Gründe, warum ich das neue Tocotronic-Album lieben/hassen muss". Wie ist euer Ansatz diesbezüglich?
TW: Es ist ein Spagat.

Stefan Niederwieser
SN: Mal so, mal so. Es gibt extrem coole Listicals, es kommt drauf an, was man draus macht. Man kann da genauso Stories erzählen oder Hintergründe aufarbeiten. Wenn man jetzt einfach nur 17 Katzen-GIFs zusammenkopiert, ist das halt natürlich was anderes. Das tun wir definitiv nicht. Eines meiner Lieblingsbeispiele war, neun österreichische Filmemacherinnen vorzustellen. Damals gab es eine große Debatte um den Frauenanteil im Filmbusiness. In Österreich sieht diese Situation relativ rosig aus, und da nutzt man einfach einerseits das Listical als Möglichkeit, weil es Aufmerksamkeit für ein Thema bringt, und andererseits, um Leuten auf eine Art Wissen zu vermitteln, die nicht abschreckt.
Ihr seid sehr präsent im Netz, habt eine große Facebook-Community. Warum gibt's euch immer noch als Printmagazin?
TW: Weil Print nach wie vor einen anderen Stellenwert hat in der Wahrnehmung vieler Menschen. Nicht aller - es ist eher so die Zielgruppe 30+. Aber man kriegt schon mit, wenn Autor/innen zu uns kommen, dass die schon heiß drauf sind, mal in Print zu publizieren und nicht nur online, wo das jede und jeder permanent kann. Und was Print nach wie vor auszeichnet - ich sehe das auch an der Mediennutzung der Menschen aus unserem Umfeld -, ist, dass Print eine Momentaufnahme zu einem besonderen Zeitpunkt bietet im Gegensatz zum permanenten Strom, in der Wahrnehmung oft gleichförmig daherkommenden Geschichten. Es hilft besser, Prioritäten zu setzen.
Aber man muss trotzdem sagen, dass auch bei The Gap das sich in den letzten zwei, drei Jahren umgekehrt hat. Die Leitimpulse gehen von online aus und Print sehen wir eher als reflektierte Nachlese oder zur Setzung von Schwerpunktthemen. Unser 150. Heft ist "Queer Vienna" mit Gabaliers Arsch drauf. Diesen Schwerpunkt werden wir natürlich online auch setzen, aber da gibt für uns im Rhythmus des Arbeitens Print auch weiterhin einen guten Takt vor. Es ist eine Taktung, die sehr viele verinnertlicht haben und die noch lange nicht weggeht. Was nicht heißen soll, dass sich nicht viel verändern wird - quer durch die gesamte Medienwelt.
SN: Und es gibt einfach auch eine Möglichkeit, Themen mittelfristiger aufzugreifen. Nicht so hochgekocht.
TW: Print ist auch "journalistischer", weil du da ganz klar die Akzente und Schwerpunkte der Wahrnehmung setzen kannst. Du kannst einfach was aufs Cover tun und sagst damit automatisch: Das ist Thema. Wenn du genau denselben Artikel online veröffentlichst, kann das trotzdem sein, dass der von sich aus keinen einzigen Menschen erreicht, weil durch die zeitgenössische Nutzung des Web ganz eigene Wege der Verbreitung üblich sind. Im Print sind aber wir auf jeder Ebene die Kuratoren. Online aber sind es auf der unmittelbaren Ebene die Leserinnen und Leser.