Erstellt am: 25. 4. 2015 - 11:47 Uhr
Männlich, weiß, hetero
Unter dem Titel "Männlich Weiß Hetero" wird das Phänomen vom 21. April bis 3. Mai, auf alle möglichen Arten ausgeleuchtet. Das Festival hinterfragt die Machtposition einer Figur, die lange Zeit das Privileg besaß die "standardisierte Benutzeroberfläche westlicher Gesellschaften zu sein" wie es im Programm heißt.

HAU
Besonders unangenehm wird diese Figur - auch bekannt als "weißer, alter Mann" oder als "zorniger weißer Mann" - bei drohendem Privilegienverlust. Das kennt man aus dem deutschen Feuilleton, wenn der alte weiße Mann Journalist ist und die Welt nicht mehr verstehen will. Eine Welt, in der er nicht automatisch als Maß der Dinge gilt, in der er nicht mehr diskriminieren darf. Oder der zornige junge Mann im Verteilungskampf, der wettert, er habe es schwer in einer Welt, die von Feministinnen und Schwulen regiert wird.
Es ist auch schwer für den weißen heterosexuelle Mann. Sehr, sehr lange war er schließlich die unangefochtene Normexistenz, an der sich alles zu orientieren hatte. Und nun kratzen Feminismus, Gender- oder Colonial-Studies an dieser Norm. Aber trotz aller Dekonstruktionsversuche, trotz der Bemühungen um Gleichberechtigung und dem Kampf gegen Diskriminierung: Den Ton in der Gesellschaft geben nach wie vor weiße, heterosexuelle Männer an.
Einer der Ausgangspunkte des "Festivals über Privilegien" ist das Theaterstück "Straight White Men" der US-Dramatikerin Young Jean Lee, das am Donnerstagabend im HAU Premiere feierte. Zuvor war es bereits beim Steirischen Herbst in Graz gezeigt worden. Young Jean Lee, laut New York Times die "experimentierfreudigste Theatermacherin ihrer Generation", hatte bereits 2013 mit ihrer "Untitled Feminist Show" - ein Tanzstück zwischen Queerness und Neo-Burlesque - mit großem Erfolg im HAU gastiert. Bei "Straight White Men" geht es aber ganz konventionell zu: Lineare Erzählstruktur in drei Akten, realistisches Bühnenbild und traditionelle Darstellung.

STRAIGHT WHITE MEN von Young Jean Lee's Theater Company Foto: Julieta Cervantes
Irgendwo in einer US-amerikanischen Vorstadt in einem in Brauntönen gehaltenen amerikanischen Mittelschichtswohnzimmer treffen sich ein paar typische Vertreter der Gattung. Der Vater und seine drei Söhne mittleren Alters kommen an Weihnachten zusammen. Einer der drei hat nicht die Karriere gemacht, die die anderen von ihm erwartet hätten. Darum kreisen die Gespräche. Bald sehen sie sich mit der Frage konfrontiert: "Was kann ein privilegierter, heterosexueller, weißer Mann tun, um gegen den Fortbestand eines ungerechten Systems zu kämpfen?" Die vier Männer reden ausgesprochen gern über ihre Privilegien. Sie werfen sich gegenseitig vor, nicht politisch genug zu sein, "checkbook activism" zu betreiben und üben sich in abgedroschener Neoliberalismuskritik. Während sie ihre Weihnachtsrituale abhalten, sinnieren sie über ihr unternehmerisches Selbst, zwischendurch erleiden sie arge Testosteronsschübe, dann müssen sie immer wieder aggressiv miteinander rumbalgen und rumschreien. So ziehen sich die drei Akte dahin, die altbekannten Einsichten und Ansichten der neuen heterosexuellen Männer werden ausgebreitet und an Weihnachten spitzt sich natürlich auch die Familienkrise zu.
"What's the point?" und "Wo bleibt die Pointe?" fragt sich die Zuschauerin am Ende und so verpufft dieses pädagogische Stück irgendwie im Belanglosen, auch wenn ein paar unterhaltsam alberne Momente dabei sind.

Foto aus "The Host" von Andros Zins-Browne, © Raymond Mallentjer
In den nächsten Tagen wird im HAU aber auch in experimentelleren Formaten dem Thema nach gespürt. So untersuchen die südafrikanischen Tänzer Habitus Heccius Pule und Hector Thami Manekehla in ihrer Performance "P.E.N.I.S-P.O.L.I.T.I.C.S." diverse Männlichkeitsklischees und die südafrikanische Choreografin Mamela Nyamza evoziert in ihrer Performance "Insinqala" Bilder von Macht, Krieg, Armut und Korruption, die für sie auf der Kehrseite des Männlichkeitsbegriffs entstehen.
"Die Aufführungen des Festivals sollen verstören, aber auch Spaß machen" schrieb Festivalleiterin Annemie Vanackere im Programmheft. Deshalb hat sie wohl auch die Produktion "sexyMF" des Lissabonner Künstlerpaares Ana Borralho und Joao Galante eingeladen. Hier werden in einer sehr intimen Performance gängige Männer- und Frauenbilder demontiert. Die Zuschauer werden nackten Performern gegenübersitzen, bei denen nicht so ganz klar ist, ob sie Männer oder Frauen sind. Ein Highlight könnte auch das Genter Gastspiel von Luk Percev werden: eine Deutung von Tschechows "Platonow", die ein schon ziemlich angeschlagenes Modell der Spezies Straight White Man präsentiert.
Am Ende des Festivals steht eine Revue, die der Berliner Musiker Jens Friebe zusammengestellt hat: Weiße Heteromänner - auch Friebe selbst - singen über ihre Nöte und Ängste. Passenderweise gibt es dabei auch einen Auftritt des Projekts "Der Mann", hinter dem die Berliner Band "Die Türen" steckt. Für "Der Mann" haben sie sozusagen einen gemorphten Durchschnittsmann rechnerisch ermittelt - den mittelalten, mittelschweren, mittelreichen Mann. Dieser ideelle Gesamtmann wird in "Der Mann" zum Singen kommen. So endet das Festival mit den Befindlichkeiten der Spezies "melancholischer Mittelschichtmann". Den hört man auf Berliner Musikbühnen allerdings schon das ganze Jahr hindurch.