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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

26. 2. 2015 - 13:48

Christine And The Queens

Héloise Letissier steckt hinter Christine And The Queens. Starke neue Popmusik aus Frankreich.

Die britische Zeitung The Guardian titelte letztes Jahr über Christine And The Queens: "The summer sensation of the French music scene". Nun ja, das Wort Sensation im herkömmlichen Sinn wird Christine aka Héloise Letissier eher nicht so gefallen. Die Sensation als das französische Wort "la sensation", also "das Gefühl", hingegen mag sie sicher. Ein gutes Gespür, wie denn heute Popmusik, die aus Frankreich kommt, aber international Anklang findet, klingen könnte, hat Christine aka Héloise allemal, auch wenn da gar keine große Planung dahinterstand.

Da ist ein bisschen etwas von Camille, aber da ist noch viel mehr, etwa ein Cover von einem französischen 70er Jahre Hit aus der Feder des legendären Elektronikers Jean-Michel Jarre, das dieser einst zusammen mit einem gewissen Christophe schrieb. Letzterer war ein blonder Mann mit großem Schnauzbart und Fistelstimme, und der Song hieß "Paradis Perdus", also "Verlorene Paradiese".

Paradise Lost

Albumcover Christine And The Queens

Because / Warner

"Chaleur Humaine", das Album von Christine & The Queens, jetzt auch endlich bei uns erschienen.

Eigentlich ist es aber etwas unfair, hier gleich mit dieser Coverversion, die Christine And The Queens von diesem alten französische Hit machte, zu beginnen, denn alle anderen Songs auf ihrem Album "Chaleur Humaine" hat Christine aka Héloise selbst komponiert. "Paradis Perdus" ist aber insgesamt so einnehmend, etwa in seinem Mix aus Englisch und Französisch. Vom "rock sophistiqué" singt Christine, und von diesem Klavier ("ce clavier") und wie hübsch es ist ("c'est joli"). Im Text heißt es weiter, ich versuch mich zu erinnern, an die Akkorde von diesem Rock, "qui bétonnait, comme les anglais". Aha, der Rock, der mauert, wie die Engländer. Ob die Guardian-Rezensenten das gelesen haben? Macht nix.

Sprachbarriere hin oder her, Christine And The Queens ist allein schon deshalb eine "Sensation", so wie sie in diesen French-Pop-Song lässig locker Textzeilen von Kanye West, dem US-Rapper, mischt. Der Refrain kommt von Kanye-Superstar: "In the night I hear them talk, the coldest story ever told... Heartless, how could you be so heartless?" Das Wort "heartless" singt Christine oder Héloise - wie jetzt? - eher wie "aarlees". Tausend Kleinigkeiten, die dieses Album so unwiderstehlich machen.

Als "locker" und "lässig" würde sich Héloise Lettissier wahrscheinlich selbst nicht beschreiben. Die aus dem südwestfranzösischen Nantes stammende Lehrerpaar-Tochter ist eher eine Grüblerin, die - so wirkt sie jedoch in französischen Interviews - dem steilen Pop-Sensations-Aufstieg mit all dem dazugehörigen Rummel recht gelassen begegnet. Sie ist gesprächig und freundlich, gar nicht wie die junge Frau, aus der Christine And The Queens entstanden ist, unsicher, unglücklich.

Ein KünstlerInnenname war ihr von Anfang an wichtig, sagt Héloise Letissier, und weil sie da mit ihren Freundinnen einmal diesen Running Gag hatte, wo sie untereinander sagten: "'Wie geht's Christine?' 'Gut, gut geht's Christine!'", war schließlich der Name Christine wieder aus dem Hut gezaubert. Aber die Queens? Wo sind die Queens? Tritt Héloise Letissier doch meist mit zwei jungen Multiinstrumentalisten bzw. Laptop-Musikmeistern auf. Die Queens, denen Méloise Letissier im Booklet zu ihrem Album zwar dankt, dürften noch immer in jenem dunklen Londoner Club sein, in dem Héloise ihnen vor ein paar Jahren begegnet war - drei Drag Queens, die die etwas unsichere junge Französin ermunterten, ihre Songs doch aufzunehmen. Héloise Letissier war etwas desillusioniert von der französischen Schauspielschule, auf der sie in Lyon Theater und Tanz studiert hatte, und fuhr nach London. Der Rest ist Christine And The Queens history.

Héloise Letissier, die von sich sagt, "wenn ich mich in jemanden verliebe, dann in die Persönlichkeit dieses Menschen, nicht in das Geschlecht", trägt meist strengen Hosenanzug und strahlt etwas Androgynes aus. Das Androgyne, meint Héloise Letissier, hat mich etwa auch an David Bowie fasziniert, nicht nur seine Musik allein. Als einen weiteren wichtigen Einfluss auf sie als Künstlerin gibt Héloise Letissier in Interviews gern Klaus Nomi an, den 1983 jung verstorbenen deutschen Popmusiktenor, den auch David Bowie bewunderte.

Héloise Letissier ist also fest verankert einerseits im klassischen britischen Pop, als auch in dem ihrer französischen Heimat, aber auch in dem, an dem man nicht vorbeikommt heute in der Popmusik: von Beyonce bis eben zu Kanye. Aber letztlich überwiegt das "Gute", etwa ein bisschen Air, ein wenig Kate Bush. La Roux meets Laurie Anderson. O Superwoman Christine. Songwriting, das Interpretieren, aber auch die moderne Technik der Popmusik, das alles interessiert Héloise Letissier stark und dort, wo Castingshow-SängerInnen stets gut gelaunt strahlen, schaut sie beim Singen schon mal böse in die Kameras. Das kommt etwa vor, wenn sie sich besonders reinsteigert. Daran, Héloise, musst du noch arbeiten, wenn du in die nächste Runde kommen möchtest. Nächste Runde? Welche Runde? Tststs.

Es ist der Gesamteindruck, den die Songs von Christine And The Queens vermitteln - ihr Sound, die leichte Melancholie, das Geheimnisvolle und die Stimme von Héloise Letissier -, die einen in das Album von Christine And The Queens hineinziehen. Französisch zu verstehen, braucht es dazu nicht unbedingt, auch wenn ihre Texte nocheinmal einen Deut dazutun, warum diese Platte so liebenswert ist.

In "Saint Claude" etwa singt Héloise Letissier von einem jungen Mann, der etwas "komisch" aussieht, sein Handgelenk ist tätowiert ("un seul de tes poignets est tatoués"), und sein Gesicht entstellt. Er sitzt im Bus, so wie Héloise. Jemand beschimpft ihn, sagt böse Dinge zu ihm. Eigentlich kommt die Haltestelle, Saint Claude, an der Héloise hier in Paris, wo sie heute wohnt, aussteigen wollte, aber sie fragt sich, ob sie weiter im Bus mitfahren soll, dem Angegriffenen helfen: "Here's my station, but if you say just one word I'll stay with you".

Das superschöne "Nuit 17 a 52", das schon auf dem Mini-Album von Christine & The Queens letztes Jahr war, hat Héloise Letissier für ihr komplettes erstes Album neu eingespielt. "Nuit 17 a 52" ist ein Trennungssong.

Das Christine And The Queens Album "Chaleur Humaine" - auf Deutsch "Menschliche Hitze", oder besser, "Wärme" - ist zusammen mit dem britischen Tontechniker und Produzenten Ash Workman entstanden, zum Großteil in London. Ash Workman hat etwa mit der englischen Band Metronomy gearbeitet und zuletzt auch das Album der französischen Band Francois & The Atlas Mountains produziert.