Erstellt am: 5. 2. 2015 - 17:00 Uhr
"Matador", das neue Album von Gaz Coombes
Im Englischen sagt man ja gerne, wenn jemand den kreativen Hunger verliert und etwas träge geworden ist, dass es Zeit ist, die Schlapfen anzuziehen, sich im Lehnstuhl vor dem Kamin zu platzieren und eine Pfeife anzuzünden. Ein Szenario, von dem Ex-Supergrass-Sänger Gareth "Gaz" Coombes aber noch weit weg ist. Sein neues Album "Matador" ist ein richtiges kleines Meisterwerk geworden.

Caroline Rec
Ich habe Supergrass ja als ewig Zweitgereihte in der Zeit des Britpop von Mitte der 90er Jahre an in Erinnerung. Dieser Eindruck mag zwar aufs Erste stimmen, wo doch Oasis und Blur die alles beherrschenden Player waren, dazu gehypte Namen wie Menswear oder Northern Uproar. Aber Supergrass aus Oxford hatten in der Tat in Großbritannien zwanzig Top 10 Hits ("Alright" u.a.) und alle sechs Alben der Band fanden sich in den Top 20 der Charts wieder. Auch als die Britpop-Ära längst vorbei war, machten Supergrass noch Musik. Ihr letztes Album, "Diamond Hoo Ha", ist vor sieben Jahren erschienen. Das Solodebut von Gaz Coombes, "Here Come The Bombs", vor drei Jahren - ein erster Schritt weg von Supergrass.
Und jetzt das: "Matador", das zweite Album von Gaz Coombes. Aus dem jungen Mann mit den großen Koteletten und dem frischen, schnellen, frechen Gitarrenpop (der damals auch in den USA Anklang gefunden hatte, etwa das Grunge-ige "Richard III") ist fast so etwas wie ein Elder Statesman geworden, einer der besten Songwriter, die Großbritannien wohl zur Zeit hat.
Die gewisse Unruhe und Rastlosigkeit in sich hat Gaz Coombes noch von Supergrass in sein zweites Solo-Album mitgenommen, und auch ein wenig von der Euphorie, die selbst von der Düsternis in diesen Songs nicht vertrieben werden mag.
Sing From The Heart
Gaz Coombes ist heute fast vierzig Jahre alt, hat ein Home-Studio zuhause in Oxford, mit vielen analogen Synthesizern, die der Ex-Britpopper über Jahre hinweg angesammelt hat. "Worry fades the soul away", singt er in "20/20", der aktuellen Single seines neuen Albums. Ein hibbeliger Beat setzt in der zweiten Hälfte des Songs ein, eine Wall of Sound baut sich auf, Wortfetzen wie "God knows" bleiben im Ohr hängen, und wieder "worry fades the soul away".
Gaz Coombes: "Life is full of moments of fear, loss and longing, but it´s how you get through those things and triumph over them which define you. But there´s as much light as there is dark on this record; there´s beauty in both of those states and that has always intrigued me."
Gaz Coombes hat in der Vergangenheit manchmal ausgedrückt, welch großer Bewunderer vom US-Musiker Beck er ist. Musikalische Abenteuer, wie Becks "Sea Change" eines ist, daran orientiert er sich vielleicht auch jetzt mit seiner Musik, zumindest unterbewusst. Von "astraler Pracht" sprechen MusikkritikerInnen gar bei einem Coombes-Song wie "The Girl Who Fell To Earth", und davon, dass er selbst noch im Koma liegend einen Popsong schreiben könnte, einen richtig guten, im Old-School Sinn.
Gaz Coombes: "There´s this disposable vibe around music at the moment, which is odd, because it´s so obviously central to most people´s lives."
Der Song "The Girl Who Fell To Earth", eines der Highlights am neuen Album von Gaz Coombes, ist inspiriert von Coombes elf Jahre alter autistischer Tochter, mit der er zuletzt bei einem Konzert der Boyband One Direction war. Ich schwöre, so Gaz Coombes in einem Interview, da waren viele erwachsene Frauen, ohne Kinder. Aber das ist wieder ein anderes Kapitel. In "The Girl Who Fell To Earth" singt Gaz Coombes Zeilen wie "You´re like a circle, cut in half. I know you´re there, I know it´s you, the girl inside is breaking through", und auch bekennt er: "At times we couldn´t see the light, we only wipe our tears dry."
Life After Britpop
Die Supergrass-Jugend war nun endgültig vorbei für Gaz Coombes. Und da sind wir schon bei seinem nächsten Songthema: Ein Rock´n´Roll Lifestyle, der sich mit allem was dazugehörte, oder man glaubte, dass es dazugehöre, hatte sich wie ein dunkler Schleier über Supergrass auszubreiten begonnen. Im treibenden Stück "Detroit" singt Gaz Coombes von "poison, the powder and the lies".
Sehr schön ist auch das euphorische "Needle´s Eye". Einmal durch das Feuer und wieder zurück, durch den brennenden Reifen, wie ein angeschlagener Zirkuslöwe. Es folgt eine Ballade, "Seven Walls" - Erinnerungen an frühere Tage, als alles noch eine gewisse Leichtigkeit hatte - "the night is ours". Im Auto sitzen auf einem Parkplatz irgendwo in Oxford, zusammen mit der Freundin, ein Bier in der Hand, den Blick in Richtung Sternenhimmel gewandt. Die Freundin ist übrigens heute die Frau von Gaz Coombes.
Im nächsten Song, "Oscillate", zirpen gleich die Synthesizer los, aber nicht popindustriell, sondern atmosphärisch "spaced out", so wie Gaz Coombes eben ist, so wie er schon bei Supergrass war, anders als die anderen. Welcher Britpopper, außer Damon Albarn, ist noch immer kreativ so hungrig wie Gaz Coombes das auf diesem neuen Album ist? Keiner. Gaz singt hier an gegen die Synthies: "Take a walk, far away."
Es folgt mein persönliches Lieblingsstück vom "Matador"-Album: "To The Wire", samt der Textzeilen "I wanna cut myself, wanna cut myself down, before it´s too late, I wanna touch solid ground." Soulige Backing Vocals, sanft erst alles, dann wütet Gaz beinahe wie ein Berserker bis zum Ende.
Gaz Coombes: "Lyrically I wanted to keep it very raw and emotive and the music reflects that. I´d start with a loop or a litle riff, then use this little blue box I´ve got to take it in various directions - whether it was using different time signatures, adding orchestral samples or speeding songs up and slowing them down."
Der Opener, "Buffalo", ist das älteste Stück am Album, bereits vor mehr als einem Jahr war es ein neues Lebenszeichen von Gaz Coombes nach seinem ersten Solo-Versuch. "A giant leap into the dark, I´m an acrobat on the wire", heißt es gleich am Anfang dieser Kollektion höchstpersönlicher Songs, die aber nicht in einem Elfenbeinturm steckenbleibt, sondern in die Welt hinausdrängt.
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Das Titelstück "Matador", eine Songminiatur von einer Minute und zwanzig Sekunden, stellt Gaz Coombes ganz an das Ende vom Album. "Matador" ist ein sehnsuchtsvolles, leicht klaustrophobisches, aber hoffendes Stück. Von Träumen, in denen sich Gaz Coombes unter einem Wasserfall wiederfindet ist in "Matador" die Rede, das Wort "avalanche" kommt vor, eine Lawine also, und von "heart and soul" ist die Rede in diesem herrlich scheppernden, an Neil-Young erinnernden Stück. "I face the beast and fight like a matador." Mit diesen Worten und keinen anderen beschließt Gaz Coombes sein Album. Von einem Meisterwerk zu sprechen, ist nicht falsch.