Erstellt am: 4. 12. 2014 - 19:55 Uhr
Nachruf auf Gravenhurst
Gerade vorhin in der FM4-Redaktion: Kollegin Jenny Blochberger, die auch Teil der Vienna Songwriting Association ist und somit zu den Veranstalterinnen des Blue Bird Festivals gehört, überbringt mir die traurige Nachricht: Gravenhurst ist tot. "Was?" sage ich. Eigentlich wollte ich mich ja bei Jenny entschuldigen, was längst überfällig ist, weil ich an einem der Blue-Bird-Abende mehr oder weniger davongelaufen war, ohne ein von Jenny extra für mich organisiertes Interview wahrzunehmen. Es war nicht ein Interview mit Gravenhurst. Ihn hatte ich - aus Zeitgründen - erst gar nicht angefragt, obwohl ich seine Musik über alles liebe.
Vor zwei Jahren hatte ich Gravenhurst beim Waves Vienna Festival interviewt, es war also, in der Radio-Journalistenspache, eh noch OT-Material zu Gravenhurst da. Aber ich war an jenem Abend, an dem Nick Talbot, wie Gravenhurst ja heißt, im Porgy & Bess, am ersten Abend des kürzlichen heurigen Blue Bird. Ich wartete auf auf jemanden heroben an der Treppe, und da ging er vorbei, mit jemandem vom Blue Bird und noch, zwei, drei Leuten. Die Gitarre hatte er in der Hand, und er sprach mit den Menschen, die mit ihm Richtung Tür gingen. Den Kopf hielt er tief gegen seine Brust gesenkt, während er sprach.
Einen Moment lang wollte ich die drei Schritte zu ihm eilen und ihn begrüßen, ihm sagen, dass ich mich freue, dass er wieder in Wien spielt. Aber ich traute mich nicht. Nicht etwa weil Nick Talbot ein unnahbarer Star mit strenger Entourage wäre, sondern weil er in sich versunken schien, während er redete. Ich hätte mich als Eindringling gefühlt. Später an jenem Blue-Bird-Abend war ich schwer nervös, weil Gravenhurst schon spielte, ich aber nicht dort war, weil ich in der Redaktion ein Interview schnitt. Ich wollte ihn spielen sehen. Als ich schließlich hinkam, erwischte ich gerade noch den Schluß des Gravenhurst-Konzerts. Die Zeit ist knapp, sagte Nick Talbot on stage, als ich mich niedersetzte, und er sagte, ein Song geht sich deshalb nicht mehr aus, aber das hier würde der letzte sein. Jetzt werfen sie uns von der Bühne, sagte er dann noch, noch immer zu Boden blickend. Ein guter Freund sagte später, dass dieses Konzert nicht richtig in Gang gekommen war. Es hatte Probleme mit der Gitarre gegeben.
Weiterlesen:
Andreas Gstettner-Brugger über Gravenhurst:
8.12.2005: Fires In Distant Buildings Ein Album der Woche von Gravenhurst
27.11.2007: "Maybe God is desperate too ..." Gravenhurst live im Atomic Cafe München
Eigentlich bin ich ja etwas verspätet in das Universum des Nick "Gravenhurst" Talbot eingestiegen. Es war eigentlich Andreas Gstettner-Brugger, über den ich mich so richtig in die Musik von Gravenhurst verliebt habe, vor allem sein letztes Album "The Ghost In Daylight". Es war seine Stimme, sein Gitarrespiel. Die unendliche Zärtlichkeit in seiner Musik. Es waren seine Texte, und vielleicht auch sein gewisses Außenseitertum in Großbritannien. Dass er beim Electronic-Label Warp veröffentlichte, und dass ich nie seitenweise Artikel über ihn im Q-Magazin fand.
Beim Waves-Vienna-Festival vor zwei Jahren traf ich ihn dann, wie gesagt, zum Interview. Im Hof des Ibis-Hotels Nähe Praterstern standen wir. Es war die Budget-Variante dieser Hotelkette, und Gravenhurst hatte große Verspätung, dennoch nahm er sich viel Zeit. Seine Antworten waren lange und ausführlich. Wir redeten über Grant Hart, seinen Hüsker-Dü-Song "Diane" und die Interpretation von Gravenhurst von eben diesem Stück. Ich hatte es hier mit einem Intellektuellen zu tun, nicht einfach mit irgendeinem netten Indiepop-Künstler. Ich sagte ihm, er sollte an einer Uni unterrichten, und dass ich diesen Kurs mit ihm als Vortragenden gerne besuchen würde. Ich weiß nicht mehr, ob er darauf sagte, dass er schon einmal an einer Uni in Großbritannien vortrug, oder dass er plane, Dozent zu werden. Ich weiß nur mehr, dass das Waves-Konzert von Nick "Gravenhurst" Talbot im Odeon in Wien sehr hübsch war. Und ich weiß noch, dass ich erstaunt war, dass die Musik und die Person, die diese Musik erschuf, für mich nicht zu 100% kongruent waren. Ich hatte mir Gravenhurst irgendwie anders vorgestellt gehabt, ohne aber nun "enttäuscht" zu sein.

Warp
Aber als ich hörte, dass Gravenhurst beim heurigen Blue Bird spielen würde, freute ich mich auf ein neues Album - dass es zum Blue Bird noch nicht da war, machte nichts, sondern "nur" ein wundervolles Box-Set mit Musik, die Gravenhurst bisher gemacht hatte, schließlich konnte ich Songs wie "The Prize" immer und immer wieder hören, ohne ihrer überdrüssig zu werden. Dass diesem wunderschönen Box-Set jetzt nie wieder ein neues Gravenhurst-Album folgen wird, macht noch trauriger.