Erstellt am: 25. 10. 2014 - 14:31 Uhr
Morrissey in Wien
Vor dem Eingang des ausverkauften Wiener Konzerthauses, das zur Feier des Tages sogar auf Bestuhlung verzichtet, werden Postkarten von der Tierschutzorganisation PETA verteilt. Genau, "Meat is Murder", eines der ewigen Themen von Morrissey, genauso wie die alten und großteils toten Heldinnen und Helden die zu einer Art Ouvertüre auf die Bühne projiziert werden. Ramones, Nico, die New York Dolls, Pasolini, Charles Aznavour oder X-Ray Spex. Dazwischen noch ein böses Margaret Thatcher-Tribut (unterlegt von "Ding Dong the Witch is Dead"), dann fällt der Vorhang, und die Band beginnt den Abend mit "The Queen is Dead".

Franz Reiterer
Morrissey ist ganz in Weiß gekleidet, das Hemd wie immer eine Spur zu offenherzig aufgeknöpft. Das öffentliche Statement zu seiner Krebserkrankung vor einigen Wochen ("If I die, then I die. And if not, then I don’t.") spielt an diesem Abend keine sichtbare Rolle. Es bleibt vielleicht als Schatten über diesem Abend hängen. Mich beschleicht der bizarre und morbide Gedanke, dass die Queen Morrissey vielleicht wirklich überleben könnte. "The First of the Gang to Die" würde eine völlig neue Bedeutung bekommen.
Die Konzerte der aktuellen Tournee geben jedenfalls keinen Anlass, weinerlich zu werden. Seit vielen Jahren ist Morrissey ja so etwas wie der Bob Dylan der britischen 80er Jahre Indie-Stars. Er ist mehr oder weniger permanent auf Tour, veröffentlicht regelmäßig neue Alben, die mehr oder weniger gut geraten und hat eine immerwährende Fanbase, die dem Mann für immer und ewig Treue geschworen hat. Es ist natürlich immer bewegend, wenn ein Raum voller Liebender dem fantastischen Sänger an den Lippen (und den Hüften) hängt.
Morrissey und seine Fans gehören unbedingt zusammen, das eine ohne das andere würde weit weniger bedeuten. In dieser gegenseitigen Anbetung steckt einerseits eine unglaubliche Kraft, andererseits auch etwas latent Konservatives, es bleibt ein leeres Ritual der totalen Affirmation, das für "Zweifler und Andersdenkende" kaum mehr zu vermitteln ist. Am Schönsten ist das am Schluss des Konzertes zu sehen: Morrissey hat seine finale Zugabe für heute Abend gegeben ("Everyday is Like Sunday"), sein "letztes Hemd" in die Fans der ersten Reihe geworfen, die sich pflichtgemäß zumindest einen Fetzen davon holen wollen. Der Roadie bringt die Schere, teilt säuberlich auf. Morrissey ist schon längst in der Garderobe verschwunden.
Setlist:
- The Queen Is Dead
- World Peace Is None of Your Business
- The Bullfighter Dies
- Speedway
- Kiss Me a Lot
- I'm Throwing My Arms Around Paris
- Earth Is the Loneliest Planet
- Istanbul
- How Soon Is Now
- Trouble Loves Me
- Yes, I Am Blind
- Neal Cassady Drops Dead
- Kick the Bride Down the Aisle
- Suedehead
- I'm Not a Man
- Staircase at the University
- Meat Is Murder
Zugaben:
- Asleep
- Everyday Is Like Sunday
Morrisseys Band wird seit Jahren von Gitarrist Boz Boorer angeleitet - eine eingeschworene Gang, die es sich optisch zwischen Kellner, Bully und Rockabilly-Gangster eingerichtet hat, Hosenträger über weiße Hemden und Pomade im Haar. Für die Songs des aktuellen Albums “Worldpeace is None of Your Business“ müssen sie gelegentlich ein Akkordeon, eine spanische Gitarre, ja sogar eine Oboe auspacken. Die musikalische Palette wird in Spurenelementen erweitert, ein breitbeiniger Glamrock dominiert allerdings live weiterhin den Sound. "Ja genau, Marc Bolan!", hab ich mir an einer Stelle gedacht.
Der Großteil des Abends wird mit den Songs des neuen Albums bestritten. Als sich Morrissey mit aller gebotenen Vehemenz in den Smiths-Klassiker "How Soon is Now" wirft, spürt man das leichte Aufatmen des Publikums, endlich was Altes! Es bleibt allerdings die Ausnahme. Neben "Suedehead", "Everyday is Like Sunday" und dem alten Teenage-Lebensretter "Asleep" kommt nur noch "Meat is Murder" zu Ehren. "This beautiful creature must die!" singt Morrissey, während im Hintergrund verstörend explizite und grausame Videoaufnahmen aus Tierfabriken laufen. Manche Menschen im Publikum schauen betreten zu Boden. Das Riff dröhnt bleischwer, man möchte kurz meinen, sich auf einem Konzert der Swans zu befinden. Das mit dem Tierschutz meint er immer noch bitterernst. Für nächstes Jahr hat Morrissey einen echten Roman versprochen - mehr schreiben als Musik machen. Man möchte ihn unbedingt weiter singen hören.