Erstellt am: 5. 7. 2014 - 14:22 Uhr
Die Pet Shop Boys spielen doch keinen Jazz!
Im Vorfeld war die Aufregung einigermaßen groß, als das Jazzfest Wien ausgerechnet die Halbplayback-Könige Pet Shop Boys in die Wiener Staatsoper buchte. Das Festival war ja schon in den letzten Jahren nicht gerade durch musik-programmatische Präzision aufgefallen. Aber jetzt die Pet Shop Boys, die sich noch dazu gerade in einer Art zweitem oder dritten Rave-Frühling befinden? Der Popfan kichert, der Jazzfan kocht, die Staatsoper ist ohnehin auf Urlaub. Aber an diesem Abend geht es nicht um imaginäre Geschmacks-Gräben, hier sollen wir alle zusammenkommen. Wir feiern die Idee „Nachtleben“ unter einem Himmel aus bunten Laserstrahlen. All night long.
„And everything about tonight feels right and so young
And anything I wanna say out loud will be sung“
(PSB: Vocal)
Man darf annehmen, dass Neil Tennant, die singende Hälfte der Pet Shop Boys, nicht zum ersten mal ein Opernhaus von innen sieht. Der Mann kann Giacomo Puccini sicher im Schlaf richtig buchstabieren und über das Verhältnis von Oper und Disco ließen sich mehrere Diplomarbeiten schreiben (während ich diesen Text schreibe, liest Tex Rubinowitz gerade beim Wettlesen in Klagenfurt einen Text vor, in dem Malcom McLarens Song "Madame Butterfly" eine wichtige Rolle spielt.) Beeindrucken lassen sich die Pet Shops Boys vom güldenen Rahmen der Oper jedenfalls nicht. Sie haben ihre Show zum Album „Electric“ mitgebracht. Da ist nix mit Unplugged- oder gar Swing-Versionen, dafür umso mehr Kostüm, Choreografie und Lasershow. Das funktioniert genauso gut in der mexikanischen Messehalle wie auf einem europäischen Sommerfestival. Unter dem gar nicht so leisen Ibiza-Tech-House vom Band nimmt das Publikum seine Plätze ein. Und dann kommen sie, die markanten Silhouetten von Neil Tennant und Chris Lowe, als bühnengroße Videoprojektion, ihre Köpfe als das ultimative Logo für „Synthie-Pop-Duo“, das Bandformat, das sie in den 80er Jahren zumindest miterfunden haben.

APA/Herbert Pfarrhofer
Strawinsky to a disco beat
Die Pet Shop Boys haben sich nie aufgegeben. Mit einer ewigen Greatest-Hits-Retro-Tour könnten sie bequem ihre sicher geschmackvoll eingerichteten Landsitze finanzieren. Stattdessen machen sie unverdrossen neue Alben, neue Songs, neue Videos. Nie unter Niveau, meist mit zumindest einer tollen Single, die dann doch nicht der ganz große Chartserfolg wird. Das aktuelle Liveprogramm enthält dementsprechend sehr viele Songs aus den letzten zwei, drei Alben. Die überdimensionale Hitliste wird verhältnismäßig zart angezapft. Die allerletzte Zugabe ist eben nicht „Go West“ sondern „Vocal“, die Single vom Electric-Album, die von Rihanna interpretiert ein unsterblicher Welthit wäre.
Personell fährt man Sparprogramm. Nur noch zwei TänzerInnen zappeln rund um Neil und Chris, meist mit Maske und choreografisch streng synchron und doch so weit von aktuellen Pop-Video-Dance-Moves entfernt wie die Pet Shop Boys von einem Gitarrensolo. Es war fast wie Hochkultur. Mit einem vertanzten Ausschnitt aus Strawinskys "Le Sacre du Printemps" wurden auch die alten Avantgarden mit dem melancholischen Discouniversum der Pet Shop Boys kurzgeschlossen. Alles natürlich im Geiste der unsichtbaren Linien queerer Campkultur, die von Nijinskis Ballett-Extasen des frühen 20. Jahrhunderts direkt zu einer rührenden High-Energy-Version des West-Side-Story Klassikers „Somewhere“ führt.

APA/Herbert Pfarrhofer
Kostüme, Nebel, Konfetti
Was an TänzerInnen gespart wurde, investierte man dafür in eine wunderbar bunte Lasershow, enorm viel Nebelmaschine und überbordende Kostüme. Nicht die schlechteste Idee, wenn man Chris Lowe im verspiegelten Disco-Helm auftreten sieht, hier allerdings wirklich als „Ganzkopfkugel“ umgesetzt. Sehr beeindruckend. Genauso wie das Eröffnungs-Outfit der Boys, breitschultrige „Jacken“, die zwischen Klaus Nomi und Adlersilhouette oszillieren und dabei aussehen, als wären sie aus tausenden schwarzen Strohhalmen zusammengenäht. Dass bei „Always On My Mind“ die Konfettikanonen ihr Bestes geben, hebt natürlich auch die Stimmung enorm.
Was sonst noch geschah
Ausgerechnet bei "It’s A Sin" streikt das Mikrofon von Neil Tennant (Batterieausfall!), ein Treppenwitz für diese doch strikt elektrisch betriebene Band. Es führt aber auch zum surrealen Moment, dass das Playback und die Lichtshow unverdrossen vor sich hin spielen, während die „Band“ schon die Bühne verlassen hat. Das hätten auch Kraftwerk im Burgtheater nicht schöner hinkriegen können. Ein Moment der - dann allerdings absichtlich - sich aufs allerschönste noch ganz am Ende wiederholen wird. Der Song „Vocal“ ist zu Ende, die Band hat sich in die Garderobe der Staatsoper verabschiedet und der Track morpht noch einmal in den Song „Alright“ und Neil Tennant singt vom Band „and the music plays forever...“.