Erstellt am: 5. 4. 2014 - 13:54 Uhr
Still breathing with you
„Body Butter“ heißt gleich der erste Song am Kevin-Drew-Album. Her also mit der „body butter“ und den Körper eincremen. Und dann wälzt sich Kevin Drew schon am Boden und bringt sich in Stimmung – im Video zu „Good Sex“. Du lieber Himmel? Oder the art of sex? Was möchte uns Kevin Drew sagen? Sex und Rock´n´Roll, das hat ja immer schon zusammengehört, sagt er. Kevin Drew gibt Popmusikgeschichte-Unterricht am Telefon, wo ihn FM4 zuhause in Toronto erreicht: „Die Menschen haben Elvis Presley gehört und dann Babies gemacht.“ Aber eigentlich ist die erste Single vom neuen Drew-Solo-Album, „Good Sex“, ja ein Liebeslied. Darauf besteht Kevin Drew. Es geht im Song eigentlich um verlorene romantische Ideale. Also doch Kevin Drew der Romantiker und nicht die Womanizer-Sex-Machine der wenig respaktablen alten Schule. Kevin Drew beklagt gar das komplette Ende der Liebe auf seinem Album, in das er eine Menge Zeit gesteckt hat.
Kevin Drew: "This record is a celebration of memories. It´s about the rise and fall of love and sex, in my own life and in today´s society. This topic has been with me for years. I approached it purely focussing on the songwriting itself and leaving all the tricks and explosions behind."
Bereits einmal gab es ein Drew-Soloalbum: „Spirit If“, 2007 erschienen. Es war aber insgesamt eher eine Broken Social Scene Extension als ein richtiges Solowerk. Mit „Darlings“ ist das jetzt anders. Erstens, weil das letzte Album der Band schon vier Jahre zurückliegt, und Broken Social Scene überhaupt auf Eis liegen. Eine offizielle Trennung gab es zwar nie, aber ein nahes Zusammenkommen ist auch nicht geplant. Den letzten Auftritt hatte das Bandkollektiv Ende letzten Jahres in Kanada, aber das war es dann auch schon wieder. Die Band, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Kanada als Alternative-Music-Land bekannt geworden ist, ist in alle Winde zerstreut.
Er sei stolz, dass eine Band mit so vielen Egos so viel geschafft hat, sagt Kevin Drew heute: Andere Bands trennten sich gleich, wenn bloß zwei Egos aneinderkrachten.

City Slang
„Darlings“ ist ein sehr persönliches musikalisches Statement von Kevin Drew. Die Platte ist weniger Wall-of-Sound als Broken Social Scene, und weniger gemeinschaftliches Werken, trotz der Mitarbeit von Ohad Benchetrit (Broken Social Scene), Charles Spearin (Do Make Say Think) oder Dean Stone (Apostle Of Hustle), weniger Miteinander-Jammen als profundes Soloalbum. Kevin Drew kann es noch immer - auch wenn er sich gern mal des Understatements und des Kokettierens bedient, wenn er sagt, dass sein Zenit wohl 2003 war.
Kevin Drew ist schlicht und einfach ein phantastischer Musiker, der nicht nur eine raumfüllende und herzerwärmende Stimme hat, sondern der auch etwas versteht von eleganten Gitarren, verträumten Synthies oder kraftvollen Drums. Die Texte sind wichtig, die Message der Songs.

Norman Wong
Im FM4-Interview präsentiert sich ein nach wie vor engagierter Mensch namens Kevin Drew. Hedonismus und das quasi Retten der Welt liegen bei ihm immer nahe beieinander. Das ist sehr ehrlich. Nein, Kevin Drew ist niemand, der etwas versteckt oder verschleiert. Er hat Spaß bei einer „Mexican Aftershow Party“ und er ist humanitär engagiert in Mexiko, seinem Lieblingsland überhaupt, wie er sagt. In keiner Stadt fühle er sich so wohl wie in Mexico City, meint er im FM4-Interview, obwohl diese Megacity eigentlich ganz und gar kein Wohlfühl-Ort ist, ihrer Armut und hohen Kriminalität wegen. Das Arts & Craft Plattenlabel, das Kevin Drew mitbegründete, hat mittlerweile auch eine Dependance in Mexico City, wo man vor allem auch lokale Talente fördern möchte.
Ein anderer Song auf dem neuen Album von Kevin Drew heißt „Bullshit Ballad“. Im Text des Songs heißt es, „Ich hab dich im Radio gehört. Du hast diesen Song gesungen. Deine Stimme war zu hoch; sie ist nicht mehr das, was sie einmal war. Du hast diese Bullshit-Ballade gesungen.“ Äh, was? „Nun ja“, holt Kevin Drew im FM4-Interview aus, „Ich liebe Balladen, aber es gibt auch all diese Balladen, die einfach nur furchtbar sind. Sie sind unehrlich, sie lügen dir ins Gesicht. Und du hörst sie ganze Zeit im Mainstream-Radio.“
Kevin Drew beklagt, dass wir heute die falschen Dinge feiern, die falschen Menschen, die falschen Ideale. Er steigert sich gern hinein, wenn er sich mal ein Thema vorgenommen hat, über Dinge, die ihm missfallen. Die Message seiner, ja, durchaus, Tirade: Wir müssen uns alle jeden Tag an der Nase nehmen und schauen, dass wir auf der richtigen Seite sind, uns daran erinnern, wie wir waren, was wir erst alles an Schönem, Gutem wollten, und was aber dann irgendwann aus uns geworden ist. Im wohl schönsten Song am Album geht es darum; im Math-Rock-artigen „You As You Were“, bei dem keine Geringere als Leslie „Superstar“ Feist mitsingt. Jeder Tag ist ein Kampf, den wir mit uns führen sollten, um nicht allzu weit von einem Weg abzukommen.
Mühsam? Ist dieser Kevin Drew vielleicht ein wenig "mühsam"? Ein bisschen ein "Hippie"-Prediger? Nein, eigentlich nicht. Wenn er über seine „causes“ redet, tut er das mit soviel Leidenschaft, da ist kein Von-Oben-Herab oder so etwas dabei, und wenn er es mit seinen Songs tut, dann kommt das in einem musikalischen Gewand daher, das wirklich hübscher Gitarrenpop ist. Gitarrenpop, der eigentlich am Klavier entstanden ist. Ein wenig Soft-Rock-Feeling hier und da – spät-70er und frühe bis Mitte der 1980er Jahre – kommt auf, wird aber dann gleich von moderner Elektronik abgefangen, die nie gezwungen oder bemüht klingt. You gotta feel it! So heißt ein weiterer Song auf dem „Darlings“-Album von Kevin Drew. Ja, das tun wir. Und jetzt wollen wir Kevin Drew Drew nur noch live sehen: Im Sommer ist es hoffentlich so weit.