Erstellt am: 17. 3. 2014 - 14:34 Uhr
What's in your head
Es war im Herbst 2011, als die Brüder Guy und Howard Lawrence - übrigens bereits in Begleitung von Kidnap Kid, der auch die gestrige Konzertnacht für sie eröffnet hat - zum ersten Mal in Wien spielten. Veranstaltet von den immer weit vorne dran seienden guten Menschen rund um Moun10, fand die Show damals in einem kleinen Hinterhofclub bei der Mariahilferstraße in Begleitung einer erwachsenen Aufsichtsperson statt, weil einer der beiden Lawrences noch nicht volljährig war, und wurde frühzeitig von der Polizei aufgelöst. Zweieinhalb Jahre, mehrere UK-Top-Ten-Singles und eine Grammy-Nominierung später stehen Disclosure an einem Sonntagabend auf der Bühne des vollen Gasometer und spielen sich durch ihr Debütalbum "Settle". "Settle", das Konsens-Dance-Album 2013, noch nicht einmal ein Jahr alt - "Settle", wie hat es sich gehalten?

Patrick Münnich
Bedachte man die Jubelhymnen und Blogpräsenz rund um Disclosure, vor allem im knappen Vor- und Nachfeld des Albumrelease vergangenen Juni sowie die unendliche Verheißung, die die beste Disclosure- und gleichzeitig beste AlunaGeorge-Nummer "White Noise" vorausgeschickt hatte, konnte man angesichts dessen, wonach "Settle" dann im Endeffekt klang, durchaus eine Spur ernüchtert sein. "Latch" als ihr größter Hit, und das, bevor dessen Vokalist Sam Smith von der BBC auf Platz Eins der "artists to watch" für das Jahr 2014 gehievt wurde, worin der Zauber dieses Liedes für tausende Menschen liegt, mögen andere erklären. Am Ende der gestrigen Nacht jedenfalls braucht es nur zwei Takte davon, um die Halle in Ekstase zu versetzen, eine Halle voll Menschen, die gar nicht so jung oder so Ö3-ig wirken, sondern zu einem guten Teil irgendwie aussehen wie Lawrence-Brüder selbst, also freundlich-hipsterig-britisch mit hochgenöpftem Hemd und properem Haarschnitt. Disclosure-Lieder, da kann man auch den Text mitsingen.

Patrick Münnich
Es ist dies der "hat trick" von Disclosure, nicht die Dance- oder gar Pop-Musik neu zu erfinden oder mit bestimmten Twists in nie geahnte Richtungen zu treiben, sondern so schöne und wichtige Einflüsse wie Chicago-House, Burial, Pop-Vocals einer Handvoll der angesagtesten KollaborateurInnen unserer Zeit sowie steppige Elektronik-Spielarten aus ihrer Heimat Großbritannien mit scheinbarer Mühelosigkeit unter einen Hut zu bringen und über die Landes- und Clubgrenzen hinaus bekannt zu machen. Disclosure halten, einem alten, auf eine andere Band bezogenen Sprichwort von Kollegen David Pfister folgend, die Jugend davon ab, brandschatzend durch die Straßen zu laufen, Brostep zu hören oder Muschihouse zu sagen, sie tragen J Dilla-Shirts und nehmen den vielen Erfolg scheinbar schulterzuckend zur Kenntnis (wie auch sonst?); vielleicht stehen sie sogar für gewisse W e r t e , den Wert einer sorgfältig produzierten Clap, die gute House-Idee statt dem effektvollen Bassdrop, die neue und durch das viele Besingen bereits bestens bekannte Produzenten-Generation 3.0, die zwischen der Plattensammlung der Eltern und "dem Internet", zwischen Ableton Live, Gitarre und MPC keine Genre- und Einflussschranken mehr kennt.

Patrick Münnich
Einige Gedanken dieser Rezension wurden im Lauf des Abends gemeinsam mit The Gap-Kollegen Stefan Niederwieser entwickelt, weswegen man die inhaltlichen Aussagen der beiden Texte durchaus vergleichen kann.
Das alte Problem des elektronischen Livesets, das nicht bloß an zwei Laptops stattfinden soll und durch Band-Auffettung eventuell nicht funktionieren würde, wird im speziellen Fall Disclosure dadurch erschwert, dass die vielen, berühmten Gastvokalisten von Jessie Ware bis Jamie Woon oder London Grammar weder alle auf Tour mitgenommen werden noch durch eine einzige Live-Stimme ersetzt werden können. Wieso der Funke trotz redlicher Bemühungen der Brüder an elektronischen Schlagwerken, Bass, Mikro und Synthesizer nicht so recht überspringen will, mag ganz einfach daran liegen, dass die Frage "Are you feeling good?" eben, ohne, dass das Gasometer etwas dafür könnte (der Sound ist übrigens, wenn auch etwas leise, sehr gut), besser um drei Uhr früh unter einem Sommersternenhimmel funktioniert als am Sonntagabend im stürmischen Wien.

Patrick Münnich
In Wahrheit ist die Peaktime, das aufbauende, funky DJ-Set, der Headliner-Slot am Popfestival die richtige Stunde für Disclosure, auch wenn die brillanten Visuals zwischen Winamp-Visualisierungen von vor zehn Jahren (das kennen diese beiden ja vielleicht gar nicht mehr) und den erstaunlich akkurat mitsingenden gezeichneten Köpfen der Plattencover die Show um einiges auffetten. Dass der Anspruch, einen Song auf der Bühne Baustein für Baustein so zu rekonstruieren wie auf Platte, bei der Live-Darbietung nicht unbedingt zu neuem Erkenntnisgewinn führt, ist für sie nicht wichtig, denn die Band Disclosure operiert auf einer anderen Ebene, nämlich auf einer perfektionistischen, die die Grenze zwischen Londoner fabric und Grammy-Verleihung, Coachella und Later... with Jools Holland, Ö3 und FM4 endgültig zum Verschwinden bringt.