Erstellt am: 17. 11. 2013 - 20:04 Uhr
Blue Bird Tag 3
Gescholten, weil ich den – dem Vernehmen nach ehrenwerten – Paul Armfield nicht gesehen und daher auch nicht erwähnt hatte, musste ich mich gestern im Morgengrauen, also gegen halb acht, zum dritten Tag des Blue Birds begeben, um ja nichts zu verpassen. Und das sollte ich nicht bereuen.
Band Of Buriers spielt am Montag in der Bäckerei in Innsbruck. Eine Empfehlung.

VSA/Hanna Pribitzer
Die Begraber
Die Band Of Buriers (a.k.a. the Buriers) sind die erste wirkliche Entdeckung beim Blue Bird. James Honey ist ein witzig- lässiger Brite mit einem Gasthausschmäh, der ohne weiteres nebenbei von Altersheim bis Hiphop-Schule jede Gruppe unterhalten und auf seine Seite ziehen könnte, aber zugleich in der Tradition der britischen Rap-Anklage steht, sein Vortrag besteht zum Teil aus wortreichen Sermonen, tonlos vorgetragen, mit Dringlichkeit und einem gnadenlosen, lauten Schnarren, das dann wieder Cohen- haft zärteln kann. Dazu würde man Beats oder zumindest Lärm erwarten, vielleicht eine dramatische Rock-Choreografie, stattdessen hüllt sich dieses Organ in zärtlich leise Songs voller kaum hörbarer Cello-Flächen und Ukulelen-Zerlegungen. Das Nebeneinander von Intimität und öffentlicher Message, von Grusel, Angst, Liebe und Sarkasmus ist für mich nahezu beispiellos. Der seelenlose Bud Grosman in mir wünscht sich für diese Band mehr Dynamik und instrumentelle Vielseitigkeit, Drehleiern und Zerhackbeats, Spoken Word Gastauftritt bei den Gorillaz, XX Remixes und eine Duettplatte mit Tim Eriksen, Will Oldham oder Diamanda Galas – irgendwas, was dieser Stimme und diesem lyrischen Talent den Glamour verleiht, der die Band richtig groß machen könnte – aber Sänger James Honey kann auch bleiben, wie er ist, in 20 Jahren werden sich wenige an ihn erinnern, aber dafür mit Emphase und Verklärung, während die Anderen, die dieses grimmige Pathos nicht aushalten, sich weiter so etwas wie Arcade Fire oder Muse oder was anderes Unnötiges reinziehen mögen.

VSA/Hanna Pribitzer
Rachel Sermanni
Auch hier unerwartet: Power! Rachel Sermanni malträtiert das Hauptinstrument des Blue Bird, die Westerngitarre, als müsste sie die Maschine, die Faschismus bekämpft, niederringen. Zwischen all dem Gezupfe und Gezwitscher, das ihrer schon arg süßlichen Musik so innewohnt, blitzt nicht selten ein wütend expressives Geschrei und besagte Saitengewalt hervor, die diesen Gig so unerwartet und interessant machte. Eine Parallelität zur guten alten Melanie Safka, die auch für ihre von Daliah Lavi gecoverten Ditties und das Kerzen-im-Regen-hoch-Halten bekannt war und dazwischen, auf B-Seiten, hysterisch-weises und intensives wie „Some say I got devil“ oder “Leftover Wine“ buchstäblich rausgepresst hat. Aber eigentlich ist Rachel (wie Mel) ein wohlgeratenes Mädchen, das weder ihren Eltern noch der schottischen Bardentraditon noch den netten Mitmusikern, die für sie Klaviere aus Pubs herbeischaffen und in alten Bootshäusern Lieder aufnehmen, Schande macht. Freundlich, intelligent, romantisch und – wie gesagt – mit einem britischen (so merkwürdig das klingt) Laddism- Schmäh ausgestattet – was man wollte, hat man bekommen.
Rachel Sermanni hat auch ein Lied des alten Schottenmachos Robert Burns gespielt, und mit einer (für Festivals) unüblichen Auffälligkeit des Blue Bird Festivals gebrochen: nämlich mit der naheziu völligen Abwesenheit von Coverversionen. In einem Genre, wo ganze Karrieren von Fremdrepertoire leben, war diese Burns-Nummer (mit Amanda Palmers Lou Reed und I-Wolfs Liz Phair) eine Ausnahme. Aber ich habe nicht alles gesehen und lasse mich gerne belehren.
Noch was allgemeines: Weg mit den Tischen! Wie die Buriers begeistert feststellten, kommt man sich in diesem Venue vor wie im Ronnie Scott’s. Das Porgy & Bess hat den Flair dieses alten Londoner Jazz Clubs, wo man der Musik bei Tisch gepflegt während des Essens lauschen kann … Was von der Bühne so toll aussieht, ist hier unten tatsächlich die Drängelhölle: Alle, die nicht einen Platz an einem Tisch ergattert haben, stehen sich im Weg, drängeln sich nach vor oder stehen auf den Zehenspitzen. Vielleicht kann man in Zukunft den Gedanken erwägen, die Dinner Tables zumindest aus dem Bühnengraben zu verbannen - die Tische auf der Balustrade können ja bleiben - damit alle zumindest dort rumstehen können, wie man es gewohnt ist - so sieht es zwar nicht mehr so voll aus, aber alle sehen was und sind nächstes Mal noch glücklicher. Oder wie es eine Besucherin formulierte: „Mehr Platz für Redner und Raucher, weniger für Esser“.
So ein Songwriter Festival befriedigt ja auch die kleine Subfreude, dass hier nicht unansehnliche elektronische Instrumente, die wie Toaster aussehen, das Bühnenbild bestimmen, sondern allerlei kunstvoll gedrechseltes oder sonst nur aus Museen Bekanntes. Heuer gibt es da nicht viel Seltenes zu sehen: Eine elektrische Ovation-Ukulele, eine Harfe, das war's. Keine Drehleiern, Lauten, Ouds, Balalaikas oder Schellenbäume. Doch jetzt kommt zumindest eines der schönsten und seltensten Blasinstrumente zum Einsatz.
Paper Beat Scissors spielen Sonntagabend im Innsbrucker P.M.K. – noch eine Empfehlung.

VSA/Hanna Pribitzer
Paper Beat Scissors==
Warum das Papier die Schere besiegt, weiß niemand ... hier sind vielleicht LiteraturstudentInnen am Werk, die was gegen ihre KonkurrentInnen aus der Origamiklasse in der Hand haben wollten ... so ein Quatsch, Bandnamen müssen Rätsel sein, basta. Bei der kanadischen Band um den exaltierten Sänger Tim Crabtree wird es jetzt an diesem Abend erstmals richtig laut. Eine Rockband und Fagott, Tuba, Lap Steel und Geige unterstützen den Sänger, es geht dynamisch zur Sache, richtig in die Gänge wollen sie lange nicht kommen, aber nach ein paar allzu langen Intros schöpft die Band ihr ganzes Klangkörperpotential aus und rockt fast, ein zweiter Drummer betritt die Bühne, geschminkt wie Brian Viglione, und man muss stellenweise an Spiritualized denken, die ihre Dynamik auch hinterhältig und unmerklich einzusetzen verstehen. Die Band bekommt den Lärm- dafür nicht gerade den Modepreis des Abends - doch wir sehen über hautenge, gelbe Jeans, Denimsack, türkises T-Shirts und die Schrecklichkeit von Wams-Kleid der Fagottistin gnädig hinweg.
Dafür kann man beim Rauchen vor der Tür einen leicht gebrechlichen Gutgekleideten erspähen, der sich auf einen Stock mit Silberknauf stützt und langsam das Porgy betritt. Er ist da.
Der Bandleader der einst feschesten Band der Welt trägt auch seine schlaganfallbedingte, rechtsseitige Körperlähmung mit Stil. Er ist wohlgelaunt und freut sich sichtlich, als er den schönen Club mit den netten Menschen davor betritt.

VSA/Hanna Pribitzer
Julia A. Noack
Und noch ein schönes Instrument: Neben den Gitarren der Sängerin und dem unerbittlich zwingenden Loop Pedal, spielt eine meist zart gedämpfte Posaune lichte Hooks zu Noacks uplifting Schlechte-Laune-Songs. In einer Ansage bezeichnet sich die in Berlin lebende Songwriterin als professionelle Melancholikerin, während ihr Schlagzeug hüpfend die 4x4 schlägt. Das Wiener Publikum fühlt sich stark an eine ihrer Heroinnen erinnert und schon lüftet sich des Rätsels Lösung: Das jüngste Album von Julia A. Noack war in Wien unter den Ägiden des Ex-Clara-Luzia-Pianisten Alexander Nefzger aufgenommen worden. Bestimmt nicht die schlechteste der Referenzen in der Songwriterszene im deutschsprachigen Raum.
Jetzt ein kleiner Schock: Das Schlagzeug wird weggeräumt, stattdessen schieben sie einen riesigen Flügel auf die Bühne, keine Ahnung wie man den überhaupt in den Keller gebracht hat.Wird also nichts mit dem Tanzbarkeitsabschluss des Festivals - auch Edwyn Collins wird an diesem Abend ein leises Konzert geben.

VSA/Hanna Pribitzer
Edwyn Collins
Man musste sich ja fürchten. Als Zeuge eines der letzten Konzerte, die Townes Van Zandt noch hackedicht und als schwacher Widerschein seines Genies gespielt hatte, mag ich nicht mehr Zeuge sein, wie Leute zu Konzerten gehen, weil sie voyeuristisch wissen wollen, ob der Künstler wohl noch lebt oder vielleicht nicht mehr kann, mehr noch, da Collins in diversen Vorabpublikationen als eine Art „Live-Feuerwerk“ bezeichnet wurde, ohne seinen körperlölichen Zustand auch nur zu erwähnen. Völlig falsch gedacht. Edwyn Collins ist, wie er selber singt, froh am Leben zu sein und macht aus seiner Spielfreude keinen Hehl. Er ist ein Live-Feuerwerk, nur eben keines, das noch selbst tanzt. Er lehnt an einem Verstärker, begleitet von zwei Gitarrenheroes und spielt sich durch das ganze Blue-Eyed-Soul-Leben, würde er nicht öfters nervös an seine offenbar gelähmte rechte Hand tippen, man hätte schnell vergessen, dass dieser Mann zwei Schlaganfälle überlebt hat und eine Zeit lang außer dem Namen seiner Frau nicht viel sagen konnte.

VSA/Hanna Pribitzer
Die Leute kriegen natürlich auch das, weshalb sicher einige gekommen waren, den zufälligen Northern-Soul-Welthit "A Girl like You“, der Collins – damals schon wohl dazu verdammt, mit Pete Burns in einer „Decade of Pop“-Nostalgie-Show aufzutreten – 1995 mitten in der Britpop-Euphorie zum Mod- Hero werden ließ und die recht unbekannte Band Orange Juice nachträglich zum nationalen Erbe erklärte.
Auch von denen spielt Edwyn einiges, allen voran deren einzigen "Hit" "Rip it Up (and start again)", der wohl ohne das gleichnamige Buch nicht ganz so berühmt geworden wäre – vielleicht ist das auch so eine Art Lebensmotto dieses Mannes, denk ich mir, er spielt ihn jedenfalls zur Zugabe auch ein zweites Mal.
Zu seinem und auch meinem Erstaunen wird das Konzert vor diesem zweiten Mal jäh abgebrochen, als eine der Veranstalterinnen zur Band auf die Bühne kommt und das Festival für beendet erklärt. Klar, Sperrstunde, Sachzwänge, aber das hätte die Polizei auch nicht charmanter machen können.
Adam Green liebt Wien und das Blue Bird, I-Wolf singt und das Porgy & Bess birst förmlich: Das Blue Bird Festival ist ein großer Erfolg.
Dann eben wieder Torte.
Bis zum nächsten Jahr, hoffentlich wieder mit so gutem Line up, ohne Tische und ohne magiezerstörende Rauswurfmoderation. Sonst war es doch schön.