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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

27. 10. 2013 - 05:39

Papierflankerl-Regen und akustische Nebeldecke

Musikalisches Wechselwetter am FM4 Fest in München. Mit vielen Bildern und den Konzerten zum Nachhören.

Alle zwei Jahre wieder kommt FM4 nach München und übernimmt für eine Nacht die weitläufigen Räumlichkeiten der Muffathalle. Und wenn FM4 verreist, dann hat es österreichische Bands, DJs, Redakteure und einen ganzen Stab an Menschen im Gepäck, die es braucht, um das FM4 Fest in die Isarstadt zu exportieren.

Und wenn ein Radiosender aus Österreich in die bayerische Hauptstadt kommt, dann hüpfen und springen die Klischées und Stereotypen schon am Zaun wie verrückt auf und ab und wollen rein und mitfeiern. Die Brezen und das Schnitzel kratzen an der Tür. Und wir sagen: „Nein, geht weg, ihr Klischées! Wir wollen euch hier nicht!“ Doch dann schaun sie uns an, mit ihren traurigen, abgedroschenen Augen und wir sagen: „Na gut, kommt rein, aber verhaltet euch ruhig! Wir beobachten euch.“

Effi @ Fm4 Fest München

Conny Lee

Aber nicht nur die Klischées, sondern vor allem Trauben, nein ganze Weinstöcke von Besuchern harren geduldig auf Einlass. Die sind uns herzlich willkommen, und um ihnen das Anstehen vor der Kasse zu verkürzen, spielt Effi ihnen ein Ständchen. Effi der Warteschlangen-Beschwörer. Und für die, die eine Karte erstanden und die Absperrung überwunden haben, spielt noch Kristian Davidek ein österreichisches Begrüßungs-Set.

Der Ombudsmann, so österreichisch, dass er eine ganze Stereotypen-Schublade für sich hat, eröffnet die FM4 Feierlichkeiten zu München. Das Münchner Publikum, das ihn nur als Stimme aus dem Radio kennt, die täglich ihre Fragen beantwortet, sieht sich plötzlich mit der leiblichen Gegenwart des FM4 Ombudsmanns konfrontiert: in Anzug, Glatze und voller Pracht. Doch anstatt Fragen zu beantworten, gibt er auf der Bühne stattdessen Handlungsanweisungen: Allemann Handy raus, fallen lassen und wir tanzen die restliche Nacht "auf den Trümmern unserer Knechtschaft“. Da der Zuschauerraum weniger beleuchtet ist als die Bühne, bleibt die Anzahl derer, die dieser Anweisung Folge leisten, (wortwörtlich) eine Dunkelziffer.

Ombudsmann @ FM4 Fest München

Conny Lee

Effi der Eiszerschmetterer

Effi ist der erste musikalische Akt des Abends. Damit obliegt es ihm, das Eis zu brechen und die Gelenke des Publikums aufzutauen, damit sie sich in Bewegung setzen. Und schon nach den ersten Paar Takten von „Distance“ ist von Eis und steifen Gelenken nichts mehr zu merken. Das vermeintliche Eis ist augenblicklich nicht nur gebrochen, es ist zerschmettert. Sofort wippen Köpfe, beugen sich Knie, es wird geschunkelt, getanzt, gesungen, bis bei seiner dritten Nummer „Muzik“ auch schon erste Juchitzer nicht mehr unterdrückt werden können.

Ein Knaller folgt auf den anderen, und zwar wortwörtlich bei „Beach“ und Papierflankerl-Regen. Und bei „Happy“ ist Effi kurz so im Schwelgen, dass er sich gar am FM4 Geburtstagsfest wähnt. Auch der Astronaut ist mit nach München gereist und tanzt zu „Mars“ über die Bühne.

Effi @ FM4 Fest München

Conny Lee

Effi @ FM4 Fest München

Conny Lee

War Effis Auftritt noch so sonnig wie dieser ganze Tag schon hier in München, wo es kitschig aber tatsächlich gelbe Blätter auf Alleen regnet, so nebeln Francis International Airport als nächster Act das Publikum herbstlich ein.

Francis International Airport

Eine dicke Wolke aus Gitarren und Synthesizern schwappt übers Publikum und dämpft das wilde Tanzen. Die Leute bleiben stehen und konzentrieren sich nur mehr auf ein Körperteil: ihre Ohren. Und das, was sie damit hören, nämlich die flächigen Gitarren-Indiepop-Klänge, die Francis International Airport seit ihrem letztem Album „Cache“ verstärkt anschlagen.

Exkurs zum Austropop

Währenddessen (ent-)führt der Ombudsmann diejenigen, die sich führen lassen, hinter das Muffatwerk in den Biergarten, wo Hannes Duscher ihrer bereits harrt, die Gitarre im Anschlag und mit den feinsten Austropop-Schmankerl gewappnet. Hier sind sie also, alle Klischées, die wir bei der Tür hereingelassen haben. Wie die Clique von Leuten, die sich auf jeder Party in der Küche zusammenrottet, haben sich hier, hinter dem Club Ampere, in dem gerade Madchen Brunner auflegt, die München- und Österreich-Klischées versammelt. Ein Biergarten, Austropop und Wiener Lieder und dazu Gratis-Wein aus dem Doppler. Qualtinger, Heller, Ambros, Fendrich, Danzer – alle sind sie da. Und alle singen mit. Und lernen von Hannes Duscher über die qualitative Climax von „leiwand“, „ur leiwand“ und „ur leiwand oida!“.

Zurück in der Muffathalle genießt das Publikum das angenehme Gewicht der Musik von Francis Internatinoal Airport, das die Leute wie eine dicke, schwere Daunentuchent zugedeckt hat.

Naked Lunch

Naked Lunch heben den Rock-Level noch einmal weiter an. Vor zehn Jahren haben sie schon einmal am FM4 Fest in München gespielt. Was damals ein Comback nach künstlerischer Krise in die Musik war, ist heute ein Comeback auf die Münchner FM4-Bühne. Die Bewegung im Publikum ist jetzt eine Mischung aus den zwei vorangegangenen Konzerten. Bei einigen ein Tanzen, Hüpfen und Singen, bei anderen ein andächtiges Lauschen. Und die österreichischen Vorzeige Alternative-Rocker spielen das Publikum wie ihre Instrumente. Abwechselnd bringen sie die Menge zum Mitsingen mit „41“ zum Beispiel oder „Story of our Romance“ oder „Military of the Heart“, dann wieder werden wir vom Gitarren-Dröhnen und von Rhythmen, die unseren Puls synchronisieren, hypnotisiert. Den Herbstnebel, den wir im letzten Konzert inhaliert haben, Naked Lunch bringen ihn zum vibrieren, in unseren Brustkörben.

Elektro Guzzi

Während DJ Beware im Ampere und DJ Phekt im Café Muffathalle die Tanzflächen füllen, betreten Elektro Guzzi die Bühne, die mit ihrem instrumentalem Techno das Publikum endgültig in Trance versetzen. Aber aus dem gebannten Stillstand wird langsam, von analogem Loop zu Loop, wieder Bewegung. Spätestens zu „Pentagonia“ tanzt die ganze Halle. Und bei allen im Publikum kann man dieselbe Diskrepanz beobachten, zwischen dem in die Musik versinken einerseits und dem staunenden Blick zur Bühne andererseits, um sich zu versichern, dass diese Musik tatsächlich akustisch gespielt wird.

Das Publikum hat sich bisher auf alle Bands eingelassen, ist mit allen Acts mitgegangen. Doch an diesem Punkt des Abends, während Elektro Guzzi die Leute wie der Rattenfänger von Hameln immer tiefer in den Wald ihrer Musik hineinführen, fragt man sich, ob irgendjemand die Leute da jemals wieder herausholen kann.

Bauchklang

Und dann kommen Bauchklang. Das Prinzip, elektronische Musik mit akustischen Mitteln herzustellen, haben sie mit Elektro Guzzi gemeinsam. Das Vocal Groove Project gastiert bereits zum dritten Mal beim FM4 Fest in München. Und angenommen, sie haben jedes Mal eine ganze Wagenladung neuer Fans mit ihren Auftritten gewonnen, dann sind die heuer allesamt gekommen. So hat es sich zumindest angefühlt, so eng wie es im Zuschauerraum war.

Vielleicht wollten sich auch nur alle verabschieden, da Bauchklang mit Ende dieses Jahres in eine undefinierte Auszeit gehen werden, weil Gründungsmitglied Alex Böck aussteigt. Aber von Abschieds-Wehmut ist während des Auftritts nichts zu spüren. Seit Jahr und Tag arbeiten Bauchklang nach demselben Kochrezept: Beatboxing, Stimme, Körpersounds. Und damit haben sie jedes Publikum für sich gewonnen. Da ist München heute natürlich keine Ausnahme.

Als Frontman Andreas Fraenzl irgendwann die letzte Nummer ankündigt, schlägt ihm bloß eine Welle der Inakzeptanz entgegen. Kommt gar nicht in Frage, dass ihr jetzt aufhört! Wenn ihr schon aufhört! Bauchklang fügen sich dem Publikumswillen und geben Zugabe über Zugabe zum Besten. Und bei der letzten Nummer ist die Stimmung so weit aufgeheizt, dass selbst die Barleute nur mehr tanzen. Wer zu diesem Zeitpunkt ein Getränk bestellen will (was kaum jemand tut, weil alle in Bauchklang-Euphorie sind), der bekommt lange nichts und dann etwas von der tanzenden Barfrau gut Durchgeschütteltes.

Davidecks & Drums

Den ganzen Abend lang haben in der Halle die Instrumentalisten dominiert und das Ampere und das Café war DJ-Revier. Doch jetzt, zum Abschluss des Lineups, werden die Elemente zusammengeführt bei Davidecks & Drums. Kristian Davidek und Daniel Schreiber (Waxolutionists, The New Tower Generation) kombinieren mit ihrem Act Musik von den Decks mit Live-Schlagzeug. Diese Kombination macht total Sinn und nimmt die Leute, die heute Abend schon so viele musikalische Gebiete bewandert haben, an die Hand und bittet sie zum letzten Tanz, der den Rest der Nacht lang dauern soll.

Und die DJs Functionist, Florian Blauensteiner, DSL und Joe-Joe bevölkern weiter die übrigen Tanzflächen. Das Publikum schwimmt und schwappt nun einfach von Raum zu Raum des Muffatwerks und reagiert auf das, was dort passiert.

Und da heute Nacht Zeitumstellung ist, wird uns noch eine ganze Stunde zum Feiern geschenkt. Von wem? Wir wissen es nicht. Aber wir sagen danke.

Und was wurde eigentlich aus unseren ungeladenen Gästen, den Klischées und Stereotypen? Die haben sich unters Volk gemischt und waren jetzt schon länger nicht gesehn. Feiern mit den anderen. Gut so.

FM4 Fest zum Nachhören

Ausschnitte aus der Liveübertragung aus der Muffathalle. Mit Francis International Airport, Effi und Naked Lunch!

Live vom FM4 Fest München