Erstellt am: 25. 9. 2013 - 13:37 Uhr
Days are gone
Hotpants, Sonnenbrillen, Collegejacken, Jeansgilets, Kalifornien, Vintage-Mopeds, Instagram-Filter, die Band Haim ist einem gut konstruierten Hipstertraum entsprungen, ästhetisch einem Traum von vielleicht beispielsweise Sofia Coppola nachempfunden. Nach zwei Singles, einer EP, allerlei Support von Künstlern wie Julian Casablancas und vielumjubelten Touren mit Rihanna, Mumford & Sons oder Florence & The Machine erscheint nächste Woche ihr Debütalbum "Days are gone". Zu diesem Zeitpunkt sind Haim bereits ihre eigenen Headliner und stehen vor einer ausgiebigen USA- und Europatour. Journalisten und Fans werden weiterhin nicht müde geworden sein, die Live-Qualitäten der Band zu unterstreichen. Haim waren, auch darüber wird man noch lange sprechen, neben Bands wie den Chvrches oder AlunaGeorge nicht einfach Teil der BBC Sound of 2013 Liste, sie waren dort die Nummer Eins. Der vielversprechendste Popact des Jahres.

Haim
Begonnen hat die Karriere der drei Schwestern schon früher. Ihr erstes Musikprojekt, die Rock'n'Roll-Coverband Rockinhaim, gründeten sie im Alter zwischen vier und zehn Jahren zusammen mit ihren Eltern. Damals noch an Cowbell und Tambourin, haben Este, Danielle und Alana Haim heute mit Bass und zwei Gitarren ihre Instrumente gefunden. "They're bringing back guitars" titeln britische Magazine, "Days are gone" nennen die jungen Frauen ihr Album. Die Reduktion auf den Blick zurück tut der Platte nicht Genüge, die Fokussierung der Band auf das sehr präzise Referenzieren und auch, ja, Nachbauen von vergangenen Ästhetiken liegt aber auf der Hand. "Ah!" haucht Danielle Haim, die mittlere der drei Schwestern und Hauptsängerin der Band und zieht dabei die Oberlippe hoch. Der Bass funkt vorwärts, der Synthesizer unterstreicht das titelgebende Fallen mit einer kleinen Glockenspiel-Kaskade, die direkt aus einem frühen Madonna-Lied entsprungen zu sein scheint, die Gitarre bekommt ein ordentliches Solo. "Falling" ist, wie Vieles von Haim, ein sehr guter Song.
Die Nummer eröffnet, gefolgt von den zwei anderen Singleauskopplungen "Forever" - neben "Falling" die zweite beste Idee der Schwestern - und "The Wire" das Album. Die Richtung kennt man, die Refrains sind dennoch ungebrochen catchy. Die Rede von Haim gibt es schon so lange, dass der Longplayer sowieso schon längst überfällig erscheint. Fünf der Songs wurden in der Blog- und Radiowelt bereits auf und ab gespielt, richtige Überraschungen verstecken sich auch in den übrigen elf Tracks keine. "Seems strange to recall it now, but there was a time before Haim, you know", schreibt das britische Musikmagazin The Fly. Es ist, als seien sie schon ewig da gewesen.

Haim/Polydor Records
Die zahlreichen und berechtigten Vergleiche mit Fleetwood Mac, Phase frühe achtziger Jahre, haben Haim mit vielbeachteten Coverversionen angenommen und bestärkt. Neben frühem Softpop beziehen sich die Schwestern auf "Days are gone" auf R'n'B und Soul-Pop der Neunziger Jahre und da sie auch dies vom kleinsten Soundbaustein der Produktion bis zu Details in Akzentuierung des Gesangs verstanden haben, gelingt auch dieser Dekadensprung mühelos.
"My Song 5" hebt sich mit schwerem Hip Hop-Beat und Tuba-Samples am meisten von den anderen Tracks des Albums ab, insgesamt bleiben Haim auf ihrem Album aber in der Welt der Handclaps, Softrock-Gitarren und Windmaschinen. "Days are gone" ist in dieser Hinsicht wahrscheinlich ein makelloses Album. Weil makellos aber nie der Idealzustand einer Platte ist, ertappt man sich beim Abdriften und hat Songs wie "Go Slow" oder "Running if you call my name" schon vergessen, während man sie hört. Es ist interessant, dass sich einer der meistgehypten Popacts des Jahres so sehr an vergangenen Ästhetiken orientiert, dass, trotz des hohen Niveau des Songwritings, seine eigene Note verloren geht.